Beitrag aus der Printversion des treffpunkt.europa zum Thema: „Baustelle Bologna – Warum der Reformprozess gerade erst begonnen hat ...“:

Bologna 2.0 – Brauchen wir eine Reform der Reform?

, von  Martin Luckert , Patricia Karl

Bologna 2.0 – Brauchen wir eine Reform der Reform?

Der Bologna-Prozess wurde vielfach verschrien. Doch was verbirgt sich tatsächlich hinter dem Gedanken der Reform? Und welche Probleme zeigen sich mit deren Umsetzung in Deutschland?

Der Bologna-Prozess soll ein einheitliches europäisches Hochschulwesen bis zum Jahre 2010 schaffen. Dieses Ziel wurde bereits 1997 durch die von Europarat und UNESCO erarbeitete Lissabon-Konvention formuliert. Hierin einigen sich die Signatarstaaten zur justiziablen Anerkennung von ausländischen Studienleistungen – nicht nur von Abschlüssen! 1998 folgte die von Vertreter(inne)n aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien ausgehandelte Sorbonne-Erklärung. In dieser Übereinkunft wurde dem Wunsch nach einem Mehr an Mobilität für Studierende und Lehrende im europäischen Raum Ausdruck verliehen. Als weitere zentrale Punkte wurden der Anspruch des lebenslangen Lernens sowie ein gestuftes Studiensystem reklamiert.

Am 19. Juni 1999 wurde nach Verhandlungen der Bildungsminister/-innen von 29 europäischen Staaten die Bologna-Erklärung verabschiedet. Diese nicht-rechtsverbindliche Übereinkunft rückt insbesondere den Mobilitätsaspekt, die Wettbewerbs- und nicht zuletzt die Beschäftigungsfähigkeit in den Mittelpunkt. Hierzu ist die Vergleichbarkeit der akademischen Abschlüsse und eine entsprechende Qualitätssicherung unabdingbar. Mit der Einführung des Bachelor sollten Studierende künftig schon nach drei bis vier Jahren einen berufsqualifizierenden Abschluss in der Tasche haben und sich über anschließende, bis zu zweijährige Masterprogramme fachlich spezialisieren können. Das Ziel aller Maßnahmen: eine steigende Attraktivität des Europäischen Hochschulraums. An den zweijährig stattfindenden Bologna-Nachfolgekonferenzen beteiligten sich 2009 im belgischen Leuven neben der EU-Kommission bereits 47 Staaten und acht beratende Organisationen.

Von der Theorie in die Praxis

In Deutschland wurde im Zusammenhang mit Bologna die Eigenständigkeit der Hochschulen gestärkt, sodass die konkrete Umsetzung der Reform größtenteils ihnen überlassen blieb. Demonstrationen und Hörsaalbesetzungen der Studierenden im vergangenen Jahr haben die Wissenschaftsminister/-innen im Bund und in den Ländern aufgeweckt. Bologna scheint nicht zur Zufriedenheit derer zu laufen, die unter den Ergebnissen der Reform das Fundament ihrer Zukunft errichten sollen. Ehe wir jedoch auf inhaltliche Aspekte der Kritik der „Bildungsstreik“-Bewegung zu sprechen kommen, möchten wir auf ein organisatorisches Defizit der Umsetzung von Bologna eingehen. Diese erfolgte nämlich maßgeblich durch die Lehrenden an den Hochschulen. Die Studierenden sind zwar in den meisten Selbstverwaltungsorganen beteiligt, doch stellen sie nur eine kleine Minderheit und können damit von den anderen Statusgruppen, insbesondere von den Hochschullehrenden, in den Senaten und Fakultätsräten überstimmt werden. Die Bewertung der Studierbarkeit der Fächer unter den neuen Voraussetzungen blieb häufig, auch wegen des Zeitdrucks, außen vor. Erschwerend kommt hinzu, dass Hochschullehrer/-innen die Beteiligung in den akademischen Gremien auf ihre Arbeitszeit angerechnet bekommen, wogegen Studierende dafür ihre Lern-, Forschungs- und Freizeit aufwenden müssen. Die Belegungen der Hörsäle zum Zweck des Austauschs innerhalb der Studierendenschaft, aber auch mit dem Lehr- und Verwaltungspersonal können somit als Hilfeschrei nach mehr Mitbestimmung gewertet werden.

Schule statt Studium…

Nicht selten wurden die bestehenden, auf fünf Jahre angelegten Diplom-Curricula in den i. d. R. auf drei Jahre angesetzten Bachelor gepresst. Hier kulminiert ein Kernpunkt der inhaltlichen Auseinandersetzung: die stark erhöhte Arbeitsbelastung („Workload“). So muss jedes Modul oder örtlich sogar jede Veranstaltung mit einer Prüfungsleistung abgeschlossen werden – und das wegen des rigiden Notenschlusses bis zum Ende des Semesters. Vielerorts stauen sich Klausuren und Hausarbeiten in den wenigen Wochen nach der Vorlesungszeit. Das dadurch induzierte „Bulimie-Lernen“ zwingt zum kurzfristigen Faktenwissen und sperrt Methodenkenntnisse weitgehend aus – ein Fakt, der gerade den angehenden Geisteswissenschaftler(inne)n später auf dem Arbeitsmarkt zum Verhängnis wird.

Am Arbeitsmarkt vorbei qualifiziert?

Wie sieht es in anderen Bereichen aus? Ingenieure, die mit dem als Regelabschluss angesetzten Bachelor für die spätere Tätigkeit nicht ausreichend qualifiziert sind, werden zwar laut Aussagen von Vertreter(inne)n der IHK begrüßt. Nur ist dies allzu verständlich. Die dort zusammengeschlossenen Betriebe nutzen das Basiswissen der Alumni und können sie dann – mit geringerem Gehalt als das eines Diplomingenieurs – für die Arbeit in den eigenen Betrieben spezialisieren. Damit erhalten sie zwar mitunter einen dem Master bzw. Diplomingenieur ähnlichen Qualifikationsgrad, ihnen fehlt aber der Abschluss, der zur innerbetrieblichen Mobilität beisteuert.

In der Humanmedizin, der Rechtswissenschaft und der Theologie existieren schon heute Insellösungen, da eine Ausbildung in diesen Fachbereichen aus gesellschaftlicher Verantwortung bzw. aus Gründen des umfangreichen Spracherwerbs in nur drei oder vier Jahren schlichtweg nicht zu erreichen ist. Für Lehramtsstudierende, die sich zu Beginn ihres Studiums noch nicht zwischen der wissenschaftlichen Vertiefung oder der Tätigkeit des Lehrers bzw. der Lehrerin entscheiden möchten, bietet die Zweiteilung allerdings die Möglichkeit, sich noch nach Abschluss des Bachelorgrads für einen der beiden Wege zu entscheiden.

Fazit

Bereits nach Erörterung dieser wenigen Aspekte bleibt nur der Schluss, dass eine Überarbeitung der Realität gewordenen Bologna-Vorgaben geboten ist. Die stärkere Ausrichtung auf die eigentlichen Ziele muss wieder ins Auge gefasst und die Reform zu breiter Akzeptanz bei Studierenden auf der einen und Wissenschaft und Wirtschaft auf der anderen Seite geführt werden. Nur durch eine Reform der Reform kann Bologna letztlich gelingen.

Nützliche Links rund um Bologna:

Übersichtsseite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) www.bmbf.de/de/3336.php Übersichtsseite der Europäischen Kommission http://tinyurl.com/ec-bologna Übersichtsseite des Europarats http://tinyurl.com/coe-bologna Die Bologna-Erklärung von 1999 im Original www.bmbf.de/pub/bologna_deu.pdf Der Deutsche Bildungsserver ist der zentrale Wegweiser zu Bildungsinformationen www.bildungsserver.de Studienführer der deutschen Bundesländer und der Bundesagentur für Arbeit www.studienwahl.de Pressedossier von Bildung + Innovation zu den Studentenprotesten http://tinyurl.com/dossierproteste Aktuelle Vorschläge der KMK zur Weiterentwicklung von Bologna http://tinyurl.com/weiterentwicklungbologna europass: Qualifikationen und Kompetenzen europaweit verständlich darstellen www.europass-info.de Stipendienangebote des DAAD www.daad.de/ausland Das Auslandsbafög erleichtert den Weg nach Europa www.das-neue-bafoeg.de

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