Europäischer Haushalt: Rote Karte für unsere 27 Staats- und Regierungschefs

, von  Chloé Fabre, übersetzt von Markus Breitweg

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Europäischer Haushalt: Rote Karte für unsere 27 Staats- und Regierungschefs
Nach dem nächtlichen Beratungsmarathon frisch hergerichteter Beratungssaal des Europäischen Rates. Bestimmte Rechte vorbehalten von Europäischer Rat.

Weil ihr meinen Glauben an das europäische Projekt ins Wanken gebracht habt, weil ihr euch wie Geschäftemacher verhalten habt, weil ihr die Europäische Union und ihr Handeln lächerlich gemacht habt – deshalb bin ich wütend.

Meine Damen und Herren Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union,

… ihr fahrt nach zwei europäischen Gipfeltagen und einer Gipfelnacht nach Hause und seid gewiss froh, diese Verhandlungsrunde hinter euch gebracht zu haben, zufrieden damit, ein paar eurer Verhandlungsziele erreicht zu haben und gewiss seid ihr bester Dinge hinsichtlich des Empfangs, den euch eure Bürger nach Bekanntgabe der Ergebnisse bereiten werden.

Ich hingegen, eine junge europäische Bürgerin, bin weder froh, noch zufrieden, noch zuversichtlich. Ihr habt heute, zum ersten Mal seit mehr als 60 Jahren europäischer Integration, beschlossen, den Realwert der europäischen Haushaltsmittel zu senken. Dabei habt ihr nicht etwa versucht, die Ausgabeneffizienz zu erhöhen oder Geldverschwendung zu verringern. Vielmehr werden die Einzelbudgets der verschiedenen europäischen Politikbereiche gesenkt, und das in Zeiten, da die europäische Bevölkerung weiter anwächst (nicht zuletzt mit dem EU-Beitritt Kroatiens am 1. Juli).

Weniger Geld für Landwirte (gemeinsame Agrarpolitik), weniger Geld für die Entwicklungshilfe, weniger Geld für die regionale Entwicklung (Struktur- und Kohäsionsfonds), weniger Geld für die Wettbewerbsfähigkeit (Ziele der Strategie Europa 2020), weniger Geld für Beschäftigung (europäischer Sozialfonds), weniger Geld für den Umweltschutz, weniger Geld für Forschung und Innovation und vor allem weniger Geld für die Jugend (Erasmus und die anderen Jugend- und Mobilitätsprogramme). Und das alles bedeutet: Weniger Geld für die 500 Millionen europäischen Bürger.

Nehmt mal wieder eure Wirtschaftslehrbücher zur Hand

Obwohl wir inmitten einer großen Wirtschaftskrise stecken, obwohl wir gerade erst wieder etwas entspannter auf die Zukunft des Euro blicken können, obwohl die Arbeitslosenzahlen in ganz Europa explodieren – trotz allem entscheidet ihr euch, die Haushaltsmittel zu kürzen.

Muss euch erst nochmal der Beweis erbracht werden, dass ein von der Europäischen Union ausgegebener Euro mehr Wirkung hat (Hebelwirkung) als ein Euro, der in einem Mitgliedsstaat ausgegeben wird? Braucht ihr eine erneute Vorführung des Skaleneffekts? Wenn eure Berater euch nicht an diese Offensichtlichkeiten erinnert haben, dann schickt sie besser zurück an die Uni und zu ihren Wirtschaftslehrbüchern.

„Aber meine Bürger wollen nicht mehr Geld an Brüssel zahlen“, antwortet ihr mir. Und warum, glaubt ihr, ist das so? Weil ihr nicht die entsprechende Politik gemacht habt, um euren Bürgern die europäischen Aktivitäten näher zu bringen, ihnen den Anteil darzulegen, der aus den Fonds wieder in eure Länder zurückfließt, und die Projekte zu benennen, die dank dessen finanziert werden können. Weil ihr nicht die Initiative ergriffen habt, die Bürger über das zu informieren, was ihr, die Parlamentarier, die Beamten und die Kommissare in Brüssel tut.

Das System ist Schuld

Naja, das stimmt schon, werdet ihr mir sagen, aber das ist eben Teil des Spiels. Die Verhandlungen über die EU-Mittel hängen von einer intergouvernementalen Entscheidung und von der Tatsache ab, dass ein Mitgliedsstaat seine Interessen verteidigt, um damit die öffentliche Meinung in seinem Land zu vertreten. Die Mitgliedsstaaten tragen in einer Höhe von 75% zur Finanzierung der EU bei und da ist es ganz normal, dass sie die Finger im Spiel haben wollen.

Nicht nur, wenn es darum geht, derlei Entscheidungen zu treffen: Dieses System kommt euch recht gelegen und erlaubt es euch, eure nationalen Egoismen zu verschleiern.

Wenn es euch nur daran gelegen wäre, diese sich alle sieben Jahre wiederholenden Schauspiele überflüssig zu machen, wäre es ausreichend, ihr würdet die Spielregeln ändern. Dazu müsstet ihr einfach nur die Eigenmittel der EU vergrößern und in der Folge eure nationalen Beiträge verringern.

Aber nein, ihr versteckt euch hinter dem System, hinter den politisch-administrativen Windungen einer Reform der Institutionen, anstatt eine Vision zu haben, eine politische Vision davon, was die Zukunft Europas sein sollte.

Dabei hattet ihr für die EU Zielvorgaben festgelegt

Ihr erinnert euch vielleicht nicht daran, dass ihr vor drei Jahren eine Strategie für die EU beschlossen habt, die Strategie Europa 2020. Dennoch hattet ihr mit Überzeugung ambitionierte Ziele mitgetragen:

  • Beschäftigung: mindestens 75% der 20-64 –Jährigen sollen beschäftigt sein
  • Forschung und Entwicklung (FuE)/Innovation: 3% des BIP der EU soll in FuE/Innovation fließen
  • Klimawandel/Energie: Treibhausgasemissionen sollen im Vergleich zu 1990 um 20% verringert werden (oder um 30%, wenn die Bedingungen hierfür gegeben sind); 20% der Energie soll aus erneuerbaren Quellen stammen; die Energieeffizienz soll um 20% steigen
  • Bildung: Die Rate der Schulabbrecher soll auf unter 10% gesenkt werden; mindestens 40% der 30- bis 34-Jährigen sollen über einen Hochschulabschluss oder einen vergleichbaren Abschluss verfügen
  • Armut/soziale Ausgrenzung: mindestens 20 Millionen Menschen weniger sollen in Armut leben oder von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sein

Wie bitte soll das alles ohne finanzielle Mittel funktionieren?

Es bleiben die nationalen Haushalte

Sicher, diese Zielvorgaben müssen in jedem Mitgliedsstaat umgesetzt werden. Die Mitgliedsstaaten müssen also ihre Haushaltsgröße aufrechterhalten und zugleich ihre Schulden abbauen können. Aber wenn die Haushalte der großen Mitgliedsstaaten wie Frankreich oder des Vereinigten Königreichs rund 40 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) betragen und der EU-Haushalt weniger als 1 % des europäischen BNEs ausmacht, scheint es mir, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.

Ihr blamiert die Europäische Union

Mit eurem Verhalten, mit euren Äußerungen und mit eurer Unfähigkeit, über eure nationalen Wahlen hinaus zu blicken, blamiert ihr die Europäische Union. Wie soll man sich da noch wundern, wenn die Bürger uns sagen: „Europa, das funktioniert doch sowieso nicht. Es ist ja schon schwierig genug, sich als Paar auf etwas zu einigen und dann erst mit 27 … .“ Was soll man darauf noch antworten? Die Show, die ihr darbietet, das Bild der EU, das ihr abgebt, das alles macht den Bürgern nicht gerade Lust auf Europa. Ist es da verwunderlich, dass die Bürger angesichts dieses Bildes nicht an den Europawahlen teilnehmen?

Ist es das, was ihr wollt? 2014 den Rekord der geringsten Wahlbeteiligung knacken? Dabei ist doch das Europäische Parlament die einzige Hoffnung für uns Bürger, diese Kürzungsentscheidung noch abzulehnen. Diese Entscheidung abzulehnen, auf dass wir über unsere Zugehörigkeit zur EU froh, damit wir zufrieden mit ihrem Handeln und zuversichtlich hinsichtlich ihrer Zukunft sein können und damit es uns auch weiterhin möglich ist, an das europäische Projekt zu glauben.

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