Nie wieder solche Ratssitzungen...

, von  Stéphane du Boispéan

Nie wieder solche Ratssitzungen...

Nach wochenlangen Verhandlungen haben die Staats- und Regierungschefs am 29. Oktober vor den Forderungen des tschechischen Präsidenten Klaus kapituliert. Dieser « opt-out » (die Grundrechtecharta soll in Tschechien also nicht gelten) wird relativ wenig ändern, ist aber ein Symbol der Grenzen des diplomatischen und intergouvernementalen Europa.

Das Ende des Verfassungsprozesses?

Sollte wie geplant der Vertrag von Lissabon in Kraft treten (am 3. November hat das tschechische Verfassungsgericht es gebilligt und Klaus endlich unterschrieben), wäre es das Ende des Prozesses, der 2001 initiert wurde. Damals ging es darum, eine Verfassung zu schaffen, um die EU bürgernäher, handlungsfähiger und demokratischer zu machen. Was danach kam, wissen wir alle. Aus einer föderalistischen Perspektive sieht die Bilanz relativ mager aus: Aus der Verfassung ist ein normaler Vertrag geworden, die Symbole (Fahne, Hymne usw...) gehören nicht mehr dazu, es bleibt am Ende ein Vertrag wie jeder andere. Kompromisse und Änderungen sind zwar notwendig, um die Integration voranzutreiben, die Union schafft man sicherlich nicht auf einmal. Aber auch wenn der Vertrag von Lissabon besser ist als der Vertrag von Nizza (und deswegen haben die Föderalisten ihn unterstützt), ist es an sich kein toller Vertrag, mit dem man zufrieden sein kann. Nein, der Verfassungsprozess ist nicht vorbei. Er hat gar nicht erst angefangen.

Opt-out, Protokolle und Garantien.

Die Charta der Menschenrechte sollte der EU eine Grundlage geben, wie sie alle demokratischen Institutionen erhalten haben. Am Ende gelten aber Ausnahmen für Großbritannien, Polen und Tschechien. Dies war wohl notwendig, um ein Kompromiss zu erreichen. „Anders war es nicht zu machen“, wird oft wiederholt. In der Tat stimmt dies leider: In der heutigen Lage können die Verträge kaum anders geschaffen werden. Protokolle werden verhandelt, damit jeder zufrieden ist. Die Apotheose wurde im Rat vom 29. und 30. Oktober erreicht, mit dem Opt-out für Tschechien. Nach Verhandlungen, die diplomatisch geführt worden sind, wurde der Weg für die Ratifizierung des Vertrages frei gemacht. Dies zeigt vor allem, wie die Dinge in der EU sich ändern müssen. Es muss mit der Diplomatie Schluss sein, die Verträge sollen in der Zukunft nicht mehr von den nationalen Regierungen geschaffen werden. Damit verhindern wir, dass nationalistische Egoismen wie der von Vaclav Klaus alles blockieren können. Damit löst sich auch das Opt-out Problem selbst.

Der Verfassungsprozess ist nicht vorbei. Er hat gar nicht erst angefangen.

Wie soll die nächste EU-Reform aussehen?

Mit dem Vertrag von Lissabon sollte die EU handlungsfähiger werden. In der Tat ist sie direkter demokratisch, und das politische Alltagsleben ist besser gestaltet. Mit der Schaffung des diplomatischen Dienstes besteht zum ersten Mal die Möglichkeit, sich international zu profilieren und eine europäische Identität gegenüber dem Rest der Welt zu verteidigen. Doch es müssen nach wie vor dringenden Reformen durchgesetzt werden. Vor allem muss diesmal der Prozess direkt demokratisch legitimiert werden, und nicht durch die nationalen Regierungen. Die haben am 29. Oktober 2009 definitiv gezeigt, dass sie handlungsunfähig sind, wenn es darum geht, die Integration voranzutreiben.

Die EU soll keine UNO sein. Sie soll sich nicht auf eine internationale Zusammenarbeit beschränken. Das Europäische Parlament muss über den anderen Institutionen stehen, und allein die Verfassungsgewalt erhalten, auch wenn Zeit dafür gebraucht wird (Föderalismus heißt nicht Mangel von Realismus). Der nächste Vertrag muss wie jede Verfassung ausschließlich von dem Europäischen Parlament verhandelt werden. Und endlich muss er von einer europaweiten Volksabstimmung ratifiziert werden. Jede andere Art und Weise, einen Vertrag durchzusetzen, mag demokratisch und legitim sein, schafft aber Frustration und verstärkt den Skeptizismus gegenüber der europäischen Integration als solche.

Was bleibt noch zu erreichen?

Die Parlamentarisierung der EU muss weitergehen. Fortschritte sind im Vertrag von Lissabon deutlich, es geht in die richtige Richtung, aber nicht weit genug. In den nächsten Jahren muss das Europäische Parlament das Initiativrecht erhalten, wie jedes anderes Parlament. Die Kommission muss leichter gestürzt werden können. Der Rat muss progressiv entmachtet werden und sich auf die großen politischen Impulse beschränken. Das Quorum für die Mehrheiten im Parlament muss gelockert werden, damit sich die Koalitionen leichter bilden können, um zu einer Politisierung Europas zu führen. Auch die GASP und der zukünftige Hohe Vertreter müssen dem Parlament unterworfen werden, damit die Bürger das letzte Wort direkt (und nicht wie heute indirekt) erhalten können. Dies sind konkrete Ziele, die notwendig für die föderalistische Reform der EU sind.

Wie der französische Journalist Jean Quatremer schrieb [1], sollte man auch daran denken, ob der Opt-out für Tschechien gerechtfertigt ist. Der soll erst nächstes Jahr (nach Inkrafttreten des Vertrages) ratifiziert werden, im Beitrittsvertrag mit Kroatien. Man könnte sich vorstellen, dass ein nationales Parlament Klaus für seine nationalistische Haltung bestraft und den Opt-out nicht akzeptiert. Die wichtigste Lehre von der Sitzung des Rates ist aber, dass der Rat als politischer Organ entmachtet werden muss, damit die EU sich auf politischen, ja demokratischen, und nicht auf diplomatischen Grundlagen entwickelt.

Bild: Vaklav Klaus. Quelle: Wikipedia

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