Warum es einen Edward Snowden brauchte

, von  Tobias Kreutzer

Warum es einen Edward Snowden brauchte
Mitglieder der Piratenpartei demonstrieren in Berlin gegen Prism und für den Schutz von „Whistleblower“. Edward Snowden befindet sich derzeit noch auf der Flucht. Der US-Soldat Bradley Manning sitzt unterdessen bereits in Untersuchungshaft. Er veröffentlichte das Video „colleteral murder“. Foto: © Mike Herbst: „PRISM-Demo der Piratenpartei zum Besuch des amerikansichen Präsidenten Barack Obama“, https://www.flickr.com/photos/cyzen/9140159212/in/set-72157634262690788. CC BY-NC 2.0: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/

Edward Snowden erwartet nach eigenen Angaben nicht, sein Zuhause jemals wiederzusehen. Mit seinen Enthüllungen um die Spähaktivitäten der NSA hat er sich einen Geheimdienst mit 40.000 Mitarbeitern zum Feind gemacht und die europäisch-amerikanischen Beziehungen gelinde gesagt abgekühlt. Edward Snowden ist ein mutiger und wichtiger Mann.

Der Online-Händler Amazon registriert dieser Tage in den USA und Großbritannien das späte Verkaufszahlen-Comeback eines Buchklassikers. Grund dafür ist weder eine Neuauflage noch eine Verfilmung. Vielmehr wird George Orwells Dystopie „1984“, erstmals vor über 60 Jahren veröffentlicht, langsam vom aktuellen Geschehen eingeholt. Was Ed Snowden mit den streng vertraulichen Daten der National Security Agency (NSA) angestellt hat, wäre auch hierzulande sicherlich ein Kündigungsgrund. Manche würden es Veruntreuung, andere Spionage nennen. Alle Hintergründe sind jedoch mittlerweile weit zurückgetreten in Anbetracht dessen, was die Veröffentlichung der streng geheimen Datenprotokolle für die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA, Deutschland und ganz Europa bedeuten.

Eine diplomatische Farce

Es sollte für niemanden eine Überraschung sein, dass auch ohne Vorratsdatenspeicherungen auf deutschen Servern Überwachung von Internet und Telefonanschlüssen an der Tagesordnung sind. Was sonst sollte die Aufgabe dieses obskuren Bundesnachrichtendienstes sein? Wozu sonst sollten international operierende Geheimdienste mit tausenden von Mitarbeitern existieren? Vermutlich ist es die schonungslose Direktheit, die schockiert, die Tatsache, dass keine Seite auch nur den Versuch unternimmt, zu leugnen, was „Whistleblower“ Snowden mit einem Schlag offenlegte: Vermutlich unter Duldung des BND zapfen britische und amerikanische Geheimdienste die persönlichen Kommunikationsdaten fast aller deutschen Staatsbürger an, um sie zu speichern und zu analysieren. Natürlich nur bei begründetem Verdacht.

Wie schnell dieser offensichtlich gegeben ist, lässt sich an der unvorstellbaren Datenmenge ablesen, die derzeit auf amerikanischen Servern gespeichert ist. Mit den virtuellen Daten aus deutschen Haushalten ließen sich ohne weiteres circa siebenhundert Billionen herkömmliche DVD’s füllen. Noch unerklärlicher ist die zweite schwere Anschuldigung Snowdens, die nicht nur Deutschland, sondern die gesamte EU betrifft. So beschränkten sich die Amerikaner nicht nur auf das Ausspähen privater Daten von Zivilbürgern. Die Verwanzung von EU-Gebäuden und das Abhören internationaler EU-Repräsentanten ist eine diplomatische Farce. Wie lässt sich das Belauschen politischer Verbündeter noch mit dem Kampf gegen den Terrorismus rechtfertigen?

Business as usual

Es ist bezeichnend, wie sich die verantwortlichen Politiker auf der internationalen Bühne geben. Wie sie die guten Beziehungen betonen, sich die Hände schütteln, wie die europäisch-amerikanische Freundschaft bei jeder Auslandsreise beinahe panisch aufpoliert wird. Beim abendlichen Dinner kann dann fernab der Kameras der nächste Bespitzelungspakt aufgesetzt und unterzeichnet werden. Am nächsten Morgen winken Barack, Michele, Sasha und Malia dann noch einmal fröhlich von der Gangway, und machen sich auf den Weg zurück ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Es ist an der Zeit für Merkel und vor allem für die EU - nach dem Weltbild der Vereinigten Staaten nur „Partner zweiter Klasse“ - für die Interessen der europäischen Bürger einzustehen. Eine Plattform dafür könnten die Verhandlungen um ein „Freihandelsabkommen“ mit den USA bieten. Es bedarf klarer Richtlinien und vor allem Transparenz, um das zu Recht gebrochene Vertrauen vieler Europäer wieder gewinnen zu können.

Die EU steht für Transparenz und Vertrauen

Es ist eine Sache, sich einen Facebook-Account anzulegen und damit ganz von sich aus die Daten anzugeben, über die die Welt verfügen darf. Es ist eine andere Sache, sich bei keiner verschickten Email mehr sicher sein zu können, wer so alles mit liest. Nicht nur das Postgeheimnis, sondern auch der Schutz des nicht öffentlich gesprochenen Wortes ist Teil der Persönlichkeitsrechte. Was aber sind Telefonate, wenn nicht eben das? Jeder europäische Bürger hat das Recht, zu wissen, wie der Staat mit seinen persönlichen Daten verfährt. Die EU steht spätestens seit dem Schengener Abkommen für Transparenz, Vertrauen und Zusammenarbeit. Sie ist es ihren Bürgern schuldig, diese Grundsätze auf internationaler Bühne zu verteidigen.

Wo auch immer Ed Snowden sich gerade befindet, ganz egal, ob er jemals wieder auftaucht, der Stein, den er ins Rollen gebracht hat, wird nicht mehr zu stoppen sein. Wie weit darf staatliche Kontrolle reichen? Ist uns Sicherheit mehr wert als Freiheit? Es ist unausweichlich, dass diese Fragen öffentlich diskutiert werden. Das dafür erst ein Mann die internationalen Beziehungen der kompletten westlichen Welt schwer erschüttern musste, ist indes bedenklich.

Ihr Kommentar
  • Am 11. Juli 2013 um 19:21, von  Christian Als Antwort Warum es einen Edward Snowden brauchte

    Sehr schöner Kommentar, der deutliche Worte findet. Eine Sache nur: Ich bin mir jetzt grade nicht sicher, aber ist D für die Amerikaner nicht sogar nur Partner „dritter Klasse“ (was auch immer das heißen mag)?

  • Am 11. Juli 2013 um 20:38, von  Thilo Tiede Als Antwort Warum es einen Edward Snowden brauchte

    Es ist eine Schande, wie sich unsere Politiker hier wegducken. Erst verachten sie solche Maßnahmen und ziehen dann keine Konsequenzen. Die Bundesrepublik ist außerdem -laut dem Grundgesetz- dazu verpflichtet, Snowden Asyl zu gewähren. Er ist nichts anderes als ein politisch Verfolgter aus einem Unrechtsstaat. Ich will die USA nicht auf eine Stufe mit Nordkorea stellen, aber die USA hat hier eindeutig gegen internationales Recht verstoßen (Unrecht). Es ist auch eine Schande für Europa und seine Bürger. So werden wir uns nie von den USA emanzipieren und eine „sanfte Supermacht“ werden. Weder das eine noch das andere erreichen wir dadurch!

  • Am 12. Juli 2013 um 13:03, von  ? Als Antwort Warum es einen Edward Snowden brauchte

    Die JEF sollte ihre Schlüsse daraus ziehen und TAFTA sehr kritisch begleiten, ja zur Not auch ablehnen, denn TAFTA wird schwerer zu kippen sein als ACTA!

  • Am 13. Juli 2013 um 20:25, von  Christoph Als Antwort Warum es einen Edward Snowden brauchte

    Ehrlich gesagt, hätte der Artikel ruhig noch ein wenig schärfer geschrieben werden können. Wenn Geheimdienste theoretisch jedes Telefonat und jede Mail erfassen, dann liegt die Manipulation dieser Kommunikation nicht mehr all zu fern. Wie schwierig wird es für den NSA noch sein, Daten nicht nur abzufangen, sondern auch in veränderter Form weiterzugeben? Ganz zu schweigen von den grundrechtlichen Fragen, die sich hier stellen, die aber die Bundesregierung wohl nicht so furchtbar stark umtreiben.

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