Barroso nimmt Nahen Osten in die Pflicht

, von  Isabelle Unger

Barroso nimmt Nahen Osten in die Pflicht
José Manuel Barroso will den Kampf gegen die Terrormiliz IS den arabischen Ländern überlassen. Foto: © European Union / European Commission 2014

Die Außenpolitik der Europäischen Union steht vor einer neuen Bewährungsprobe: Soll die Gemeinschaft die Bekämpfung der fundamentalistischen Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) allein den Staaten des Nahen Ostens überlassen? Hierfür plädiert jedenfalls der scheidende Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

José Manuel Barroso, der scheidende Kommissionspräsident der Europäischen Union, forderte die Türkei sowie die Staaten des Nahen Ostens während der Sondertagung im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in Istanbul zu einem entschiedenen Vorgehen gegen den IS auf. Die Terrorgruppe will im Nordirak einen islamischen Gottesstaat errichten und liefert sich derzeit blutige Auseinandersetzungen mit kurdischen Peschmerga-Kämpfern. Barroso bezeichnet die Terrormiliz als ein Problem, welches in erster Linie Länder der arabischen Region betreffe: „Diese Terroristen sind vor allem eine Bedrohung für muslimische Länder und für diese Region. Muslimische Länder und Gesellschaften müssen zeigen, dass sie […] den IS-Terror zurückweisen […].“

Es sei nicht vordringliche Aufgabe der 28 EU-Staaten, den IS zu bekämpfen. Die EU, so die Argumentation des Portugiesen, könne, dürfe und wolle sich aufgrund unterschiedlicher Sensibilitäten und militärischer Ressourcen ihrer Mitgliedstaaten nicht maßgeblich in diesem Konflikt engagieren.

Türkische Vorbehalte

Demgegenüber nimmt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Europa in die Pflicht, sowohl militärisch als auch mit Blick auf die Aufnahme von Flüchtlingen. Das neue türkische Staatsoberhaupt agiert bislang zögerlich, da eine entschlossene Bekämpfung des IS eine Stärkung der Kurden zur Folge hätte. Dies wiederum kollidiert mit dem Kampf Ankaras gegen eine autonome Kurdenrepublik. Demgegenüber verfolgt der neue Präsident andere Prioritäten: Indem er die Regierungen Europas zum Handeln auffordert, visiert Erdogan in erster Linie den Sturz des syrischen Assad-Regimes an, um seinen Einfluss in der dortigen Region zu stärken und um zu verhindern, dass sich die Kurden mit Assad verbünden.

Unmittelbare Betroffenheit Europas

Derzeit beanspruchen in Europa sowie im Nahen Osten und in Afrika jede Menge Konflikte (Irak, Libyen, Ukraine, Israel, Syrien ) die Aufmerksamkeit der EU beziehungsweise überfordern deren Ressourcen. Barrosos Äußerungen sind als Eingeständnis seiner 10-jährigen Amtszeit zu werten, dass die EU außenpolitisch bereits seit Jahren immer größere Schwierigkeiten hat, sich auf ein einheitliches Vorgehen zu einigen. Bisher unterstützen nur wenige EU-Staaten, wie Großbritannien, Frankreich, Belgien und Dänemark die US-amerikanischen Luftschläge gegen die Terrormiliz IS, während andere zögern oder sich – wie Deutschland – auf Waffenlieferungen und Ausbilder für die kurdischen Kämpfer beschränken.

Doch Barrosos Argumentation greift zu kurz. Spätestens seit der brutalen Ermordung von französischen und britischen Geiseln durch die Terrormiliz sind die EU-Staaten direkt betroffen. Zudem wächst die Gefahr von Terroranschlägen hierzulande, wenn radikalisierte europäische IS-Anhänger aus Syrien und dem Irak in ihre europäischen Heimatländer zurückkehren.

Unabsehbare Folgen

Sollte sich im Irak oder in Syrien eine IS-Herrschaft durchsetzen, so hätte die Union mit konkreten Folgen zu kämpfen: zahlreiche weitere Flüchtlinge suchen dann Schutz in Europa. Außerdem besteht die Gefahr, dass IS auch im Süden der Türkei an Einfluss gewinnt – immerhin in einem potentiellen EU-Beitrittsland. Spätestens bei einem IS-Angriff auf die Türkei müssten sich nahezu alle EU-Staaten im Rahmen eines dann eintretenden Nato-Bündnisfalls am Kampf gegen die Terrorgruppe beteiligen (Art. 5 des Nordatlantikvertrags).

Es erscheint zweifelhaft, einer Region die Bekämpfung des IS überlassen zu wollen, deren Staaten die Terrormiliz in der Vergangenheit stillschweigend duldeten oder unterstützten (Saudi-Arabien, Kuwait, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate). Diese Länder sind selbst hinsichtlich der Einhaltung demokratischer Standards nicht über jeden Zweifel erhaben. Die Unterstützung des Nahen Ostens im Kampf gegen IS einzufordern ist richtig und notwendig. Dies sollte jedoch nicht gleichgesetzt werden mit einer europäischen Nichteinmischung. Vielmehr besteht die Notwendigkeit, auf europäischer und arabischer Seite gemeinsam gegen die Terrormiliz vorzugehen. Hiermit würde die Akzeptanz eines Engagements des Westens bei Bevölkerung und Regierung der betroffenen Staaten erhöht, da auch Angehörige des eigenen Kulturkreises beteiligt wären. Dem in arabischen Ländern weit verbreiteten Eindruck permanenter Einmischung der USA und Europas könnte so entgegen gewirkt werden. Gemeinsame Bodentruppen könnten ein Beispiel sein. Ein entsprechendes Mandat des UN-Sicherheitsrats erscheint jedoch wenig wahrscheinlich.

Barrosos Vorstoß wirft generell die Frage auf, ob und in wie weit sich die EU mit zunehmend mehr Mitgliedstaaten künftig in Konflikte außerhalb ihrer Grenzen einmischen wird und steht somit im Gegensatz zum Ansatz Javier Solanas. Der ehemalige EU-Generalsekretär hatte mit der Europäischen Sicherheitsstrategie ein Dokument vorgelegt, das die Verantwortung der EU für die globale Sicherheit betont.

Nicht zuletzt mit Blick auf potentielle, gerade von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ins Spiel gebrachte, Einsatzorte der Bundeswehr, könnten Barrosos Aussagen noch für Sprengstoff in der Union sorgen. Im schlechtesten Fall begünstigt der Vorschlag des scheidenden Kommissionspräsidenten eine an nationalen Interessen ausgerichtete Außenpolitik und fördert so noch die Alleingänge einzelner EU-Staaten.

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