Coudenhove-Kalergi: „Der Friede in Europa ist keine Selbstverständlichkeit“

, von  Hannah Illing

Coudenhove-Kalergi: „Der Friede in Europa ist keine Selbstverständlichkeit“
Barbara Coudenhove-Kalergi © kollektiv fischka/fischka.com, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

Barbara Coudenhove-Kalergi, österreichische Journalistin und langjährige ORF-Korrespondentin in Prag, erzählt im Rahmen unseres Themenschwerpunkts „60 Jahre Römische Verträge“, wie sie den Wandel in Europa seit 1945 erlebt hat und vor welchen Herausforderungen die Europäische Union heute steht.

treffpunkteuropa.de: Frau Coudenhove-Kalergi, die Bilanz, die Europa zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge ziehen muss, ist eine traurige: Ausländerhass scheint überhand zu nehmen, Populisten gewinnen überall an Macht und die Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union schwindet zunehmend...

Barbara Coudenhove-Kalergi: Ja, 60 Jahre nach den Römischen Verträgen ist nicht nur der Zusammenhalt der Europäischen Union in Gefahr, sondern auch die liberale Demokratie, wie wir sie kennen. Dazu erklärte kürzlich der Historiker Philipp Blom, wir müssten uns der Tatsache bewusst sein, dass sowohl der Friede in Europa als auch die demokratischen Grundwerte wie Rechtsstaat, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Minderheitenschutz keine Selbstverständlichkeiten sind, sondern täglich erkämpft werden müssen. In der Geschichte unseres Kontinents sind sie nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Insofern waren die Jahre seit dem zweiten Weltkrieg “goldene Jahre”, deren Ende durchaus möglich erscheint.

Was können junge Europäer tun, um die europäische Demokratie zu erhalten?

Der US-amerikanische Autor, Filmemacher und Menschenrechtsaktivist Michael Moore hat nach dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump 10 Gebote für diejenigen US-Bürger veröffentlicht, die mit dem Demokratieabbau à la Trump nicht einverstanden sind. Einige davon sind auch für Europäer bedenkenswert, zum Beispiel: engagiert euch! schreibt Leserbriefe, nehmt an den Diskussionen in den sozialen Medien teil! zeigt, dass “die Stimme des Volkes” nicht allein die Stimme der Rechtspopulisten ist! engagiert euch in den demokratischen Parteien, in Vereinen, NGOs, Jugendorganisationen! erhebt eure stimme in den Elternvertretungen, Bürgerforen, Nachbarschaftsversammlungen! ihr seid nicht machtlos, ihr seid die Mehrheit!

Sie haben als junges Mädchen eine Diktatur erlebt, im „Protektorat Böhmen und Mähren“. Erinnern Sie aktuelle nationalistische Parolen manchmal an die Propaganda dieser Zeit?

Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber der Grundsatz „wir zuerst!“ wurde auch in den Dreißigerjahren laut. Wer andere ausgrenzt, Minderheiten Rechte verweigert, Gegner verteufelt, gerät bald in die Nähe von Autoritarismus und Diktatur.

Richard Coudenhove-Kalergi, der 1922 die Paneuropa-Union gründete, war Ihr Onkel. War die Idee eines geeinten Europas in Ihrer Familie oft ein Thema?

Nicht unbedingt, aber da meine Familie ihre Wurzeln in vielen europäischen und auch außereuropäischen Ländern hat, waren wir gleichsam von Geburt an gegen übertriebenen Nationalismus immun.

Die Europäische Union muss kurz nach Kriegsende 1945 wie eine Utopie gewirkt haben. Haben Sie damals daran geglaubt, dass es in Europa einmal Versöhnung und offene Grenzen geben wird?

In meiner Kindheit herrschte Krieg, in meiner Jugendzeit war schon eine Reise nach Italien und die Überschreitung der Brennergrenze ein Abenteuer. Im kalten Krieg schien der Eiserne Vorhang unüberwindlich und als Journalistin in Osteuropa vor l989 konnte ich die Sehnsucht der Menschen nach freiem Reisen und nach 1989 das Glück der offenen Grenzen miterleben. Was für uns heute selbstverständlich ist, war für unsere Nachbarn damals ein Wunder.

1945 mussten Sie als deutschsprachige Böhmin Ihre Heimatstadt Prag verlassen, es war die Zeit der „Vertreibung der Deutschen“. Anschließend lebten Sie zwar in Österreich, von 1991 bis 1995 waren Sie als ORF-Korrespondentin aber auch wieder in Prag. Fühlen Sie sich als Böhmin, Österreicherin oder Europäerin?

Von allem ein bisschen. Ich gehöre zu den vielen Menschen, die mehr als eine Heimat haben und es nicht gerne hören, wenn sie gefragt werden: und was bist du wirklich?

Als Journalistin haben Sie den Fall des Kommunismus in Osteuropa live miterlebt, Sie waren dabei, als Václav Havel auf einer Pressekonferenz vom Rücktritt der kommunistischen Regierung erfuhr. Kam die EU-Osterweiterung 14 Jahre später zur rechten Zeit?

1989 war vom Beitritt zur Europäischen Union noch nicht die Rede. Aber während der sogenannten Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei skandierten die Hunderttausende auf dem Prager Wenzelsplatz spontan: wir wollen nach Europa! Sie meinten damit jene Weltgegend, in der Demokratie, Rechtsstaat und Wohlstand herrschen und der sie sich historisch seit jeher zugehörig fühlten.

Wie erklären Sie sich den Europaskeptizismus, der heute in den ehemaligen kommunistischen EU-Staaten vorherrscht?

Viele Menschen hatten nach dem Fall des Kommunismus gehofft, dass nun prompt Wohlstand einkehren würde. Die Übergangphase zur freien Marktwirtschaft brachte für große Bevölkerungsgruppen neue Probleme und damit verbunden neue Enttäuschungen. Eigenverantwortung hatten viele nie gelernt und von der Flüchtlingskrise fühlten und fühlen sie sich überfordert.

Vielen Dank für das Interview.

Die Fragen für treffpunkteuropa.de stellte Hannah Illing.

Zur Person: Barbara Coudenhove-Kalergi stammt aus einer bömischen Adelsfamilie und verbrachte ihre Kindheit in Prag. Ihr Onkel war Richard Coudenhove-Kalergi, Gründer der Paneuropa-Union. Sie hat einige der politischen Umwälzungen auf dem europäischen Kontinent im 20. Jahrhundert miterlebt: In ihrer Kindheit etwa die Besetzung der Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten und die „Vertreibung der Deutschen“ in den Nachkriegsmonaten, in deren Zuge ihre Familie von Prag nach Österreich fliehen musste. Barbara Coudenhove-Kalergi blieb ihrer alten Heimat stets verbunden, sie besuchte sie während des „Prager Frühlings“ im Jahr 1968 und berichtete 1989 als ORF-Korrespondentin von der „Samtenen Revolution“ in der Tschechoslowakei. Nachzulesen sind ihre Erinnerungen in dem Buch „Zuhause ist überall“, das 2013 im Paul Zsolnay Verlag erschienen ist.
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