EU-Terrorismusbericht: Neue Bedrohungen, neue Reaktionen

, von  Gesine Weber

EU-Terrorismusbericht: Neue Bedrohungen, neue Reaktionen
Europol-Gebäude in Den Haag Foto: Roel Wijnants / Flickr / CC-BY NC 2.0-Lizenz

Als sich am 13. November 2015 in Paris mehrerer Anschläge ereigneten, bei denen über 130 Menschen von Kämpfern der Terrormiliz „Islamischer Staat“ getötet und Hunderte verletzt wurden, ließen Forderungen nach einer effektiven Terrorismusbekämpfung auf europäischer Ebene nicht lange auf sich warten. Tatsächlich verfügte die EU zu diesem Zeitpunkt schon seit zehn Jahren über eine Strategie zur Terrorismusbekämpfung, die auf den Säulen Prävention, Schutz, Verfolgung und Reaktion beruht. Bis zu den Anschlägen in Paris war diese jedoch weder mit ausreichenden Institutionen noch mit umfassenden Instrumenten ausgestattet. Mit der Schaffung des Europäischen Terrorabwehrzentrum (European Counter-Terrorism Center, ECTC) der Europol im Januar 2016 sind schließlich Aufgabenbereichen institutionalisiert und klarer strukturiert worden, die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Europol und den Mitgliedstaaten stark ausgeweitet und die personellen Kapazitäten aufgestockt worden. Obwohl das Terrorabwehrzentrum anfangs mit dem Vorwurf konfrontiert war, die fehlenden Kompetenzen der EU im Bereich der Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik auf der Ebene der Innenangelegenheiten zu kompensieren versuchen, zieht Europol im diesjährigen Terrorismusbericht eine sehr positive Bilanz, da das neue Terrorabwehrzentrum vor allem zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Europol und den Mitgliedstaaten beitrage.

Chamäleon Terrorismus: Anpassungsfähigkeit gefragt

Die größte Schwierigkeit in der Terrorismusbekämpfung durch internationale Organisationen wie die EU besteht darin, dass Terrorismus sich nicht durch Kontinuität, sondern durch eine enorme Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit auszeichnet. Diese Vielschichtigkeit des transnationalen Terrorismus spiegelt sich in den Trends, die der Terrorismusbericht illustriert. Zu beginnen ist hier mit den Waffen, mit denen Terroristen Anschläge verüben: Zwar ist die Nutzung von selbst gebauten Sprengsätzen oder Sprengstoffgürteln verbreitet, aber gerade innerhalb des letzten Jahres ließ sich ein Trend hin zu weniger auffälligen Mitteln zur Verübung von Anschlägen beobachten. Bei den Anschlägen in Nizza, Berlin und zuletzt London nutzen die Attentäter Lastwagen, mit denen sie in eine Menschenmenge fuhren. Auch in Hinblick auf die Sprengsätze zeigen sich wachsende Unterschiede: Da innerhalb der EU entsprechende militärische Ausstattung, wie sie in Kriegsgebieten verwendet wird, für Terroristen kaum zu erhalten ist, sind die Sprengsätze in der Regel selbst hergestellt. Während aber dafür einerseits auf technische Expertise von Terrorismusnetzwerken zurückgegriffen wird, stehen auf der anderen Seite Sprengsätze, deren Herstellung kaum Fachwissen benötigt, da sie beispielsweise auf frei verkäuflichen Artikeln aus dem Feuerwerkshandel beruht. Langfristig fürchtet Europol, dass die Nutzung von Drohnen, wie sie durch den „Islamischen Staat“ in Syrien und im Irak bereits üblich ist, auch Terroristen für Anschläge in Europa inspirieren könnte. Damit müssen sich nicht nur Einsatzkräfte auf sehr unterschiedliche Herausforderungen im Falle eines Anschlags einstellen, sondern die Verhinderung von Anschlägen wird dahingehend erschwert, dass das konkrete Gefährdungspotential nicht mehr allein durch den Besitz bestimmter Waffen analysiert werden kann.

Vor ähnliche Herausforderungen gestellt wird Europol durch die Mannigfaltigkeit der Täterprofile, da es kaum ein verlässliches Bild zu einem „klassischen Terroristen“ gibt: Zwar sind djihaddistische Terroristen in der Regel männlich, haben oft einen Migrationshintergrund und kommen tendenziell aus sozial schwachen Milieus, aber die Wege der Radikalisierung unterscheiden sich in den Regel deutlich. Darüber hinaus wurden vergangene Anschläge sowohl durch Einzeltäter, durch auf Distanz vom „Islamischen Staat“ instruierte oder durch in Kriegsgebieten von der Terrormiliz ausgebildete Rückkehrer verübt. Zudem befürchtet Europol, dass vor allem der „Islamische Staat“ wie schon in der Vergangenheit Kämpfer als Geflüchtete über die wichtigsten Fluchtrouten in die EU einschleusen könnte. Eine besondere Schwierigkeit sieht Europol darin, dass zunehmend Frauen und Kinder von djihaddistischen Terrormilizen für Anschläge eingesetzt werden. Insbesondere Frauen sehen seien – sowohl für operative Aufgaben als auch für die Durchführung von Anschlägen – weniger Hindernissen ausgesetzt.

Diese Unberechenbarkeit von Terrorismus ist es, auf die das Abwehrzentrum antworten muss. Daher priorisiert Europol vor allem der Informationsaustausch und die enge Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, um in den Bereichen Prävention, Schutz und Verfolgung Erfolge zu erzielen. Im Jahr 2016 konnte Europol in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten die erfolgten Austauschmaßnahmen im Bereich sensibler Informationen fast verdoppeln. Außerdem sind 127 Operationen in Mitgliedstaaten durch Einheiten im Terrorabwehrzentrum unterstützt worden, im Jahr zuvor lag die Zahl mit 86 solcher von Europol unterstützter Operationen deutlich niedriger. Innerhalb von einem Jahr hat Europol seine zur Verfügung stehenden Informationen zu Personen verzehnfacht. Vor allem im Bereich der Prävention könnte Europol laut Bericht konnte Europol mit seiner Cyber-Einheit (EU Internet Referral Unit) wichtige Erfolge erzielen, da mehr als vier von fünf terroristischen Inhalten oder Websiten gelöscht wurden. Darüber hinaus hat das Terrorabwehrzentrum mehr als 80 relevante Analysen durchgeführt und hat damit eine seiner Hauptaufgaben erfüllt.

Abwehrzentrum als derzeit beste Lösung

Die vom Abwehrzentrum in den letzten anderthalb Jahren erreichten Fortschritte mögen auf den ersten Blick wie ein Tropfen auf dem heißen Stein wirken. Unangebracht ist diese Kritik nicht, da das Terrorabwehrzentrum zwar Koordination, Analysen und Informationsaustausch ermöglicht und damit einen wichtigen Beitrag zur Prävention und zum Schutz leistet, in vielen zentralen Bereichen zur Terrorismusbekämpfung Maßnahmen der EU jedoch längst überfällig sind, so etwa im Bereich der Terrorismusfinanzierung. Die EU geht davon aus, dass rund 40 Prozent der terroristischen Attentate in Europa zumindest teilweise durch Kriminalität und vor allem Drogenhandel finanziert werden. Die EU hat zwar im Jahr 2015 ihre Richtlinie gegen Geldwäsche überarbeitet und die Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus aufgenommen, aber ausgereifte Programme gegen die Finanzierung von Terrorismus oder Finanzierung von Radikalisierungsmaßnahmen durch ausländische Geldgeber existieren bisher nicht.

Dennoch ist das Abwehrzentrum derzeit wohl die beste Lösung, welche die EU bei den aktuellen vertraglichen Strukturen treffen konnte. In Anbetracht der 28 nationalen Strategien zur Terrorismusbekämpfung – in Frankreich mit dem inzwischen fast zweijährigen Ausnahmezustand, in London mit der engmaschigsten Videoüberwachung in Europa – ist es schwer vorstellbar, dass eine europäische Strategie im Bereich der Innenangelegenheiten über Polizeikooperation und Informationsaustausch hinausgehen könnte. Als zentraler Informationspunkt für die Mitgliedstaaten nimmt das Terrorabwehrzentrum damit einen wichtigen Platz für die Terrorismusbekämpfung ein. Tatsächlich hat die Frage nach einer europäischen Strategie zur Terrorismusbekämpfung eine Ausstrahlungswirkung, die weit über den Bereich der Inneren Angelegenheiten hinausgeht. Dazu zählt nicht nur ein einheitlicher Ansatz in der Migrationspolitik, sondern vor allem eine konsistente Sicherheits-und Verteidigungspolitik, die der EU, beispielsweise mit einer Einheit für Cyber-Sicherheit, die Reaktion auf neue und hybride Formen des Terrorismus erlaubt.

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