Freihandel über alles?

Über das zweifelhafte Demokratieverständnis der EU-Kommission

, von  Timo Wans

Freihandel über alles?
Foto: © European Commission/1997

Die Europäische Kommission verhandelt mit den USA über das gemeinsame Freihandelsabkommen (TTIP, Transatlantic Trade and Investment Partnership) und schließt Parlamente und Zivilgesellschaft weitgehend von den Verhandlungen aus. In einer demokratischen Europäischen Union darf es das nicht geben. Wer für eine demokratische Union streiten will, muss dieses Handelsabkommen schon wegen der eigenen politischen Prinzipien bekämpfen! Ein Kommentar.

Wir erleben gerade Ungeheuerliches und von Seiten der JEF hört man dazu wenig. Die EU-Kommission zeigt öffentlich, was sie unter Demokratie versteht. Nämlich einen Störfaktor für den freien Handel. Während die Konzerne selbstverständlich und gleichberechtigt mit der Kommission und den USA verhandeln, sitzen Parlamente und NGOs am Katzentisch. Wie es sich für Haustiere gehört, wirft man ihnen hier und da ein Informationshäppchen hin und erwartet offensichtlich Zustimmung und Einverständnis mit diesem Vorgehen. Als Gleichberechtigte verstehen sich nur die Bürokraten aus den Verwaltungen der USA, EU und aus Konzernen.

Parlament und NGOs sitzen am Katzentisch

Informationen erlangen die offensichtlich zweitrangigen Verhandlungspartner nur durch undichte Stellen, Pannen und die Penetranz des US-Repräsentantenhauses, welches über deutlich mehr Informationen, Einblick und Beteiligung verfügt als europäische Parlamente oder das EU-Parlament sich nur erträumen können.

Dies legt den Blick frei auf eine EU-Kommission, die sich in Wirtschaftsfragen von der demokratischen Teilhabe verabschiedet hat und den letzten Rest demokratischer Regulation der Weltmärkte scheinbar nicht verteidigen möchte. Vielmehr sieht sie ihre Aufgabe darin, den Freihandel vor der demokratischen Einflussnahme durch die Zivilgesellschaft und der Parlamente zu verteidigen. Die Kommission sieht damit ihren Platz an der Seite der Konzerne, nicht an der Seite der Bürger.

Womit wir rechnen müssen

Diese Arroganz und Überheblichkeit mobilisierte frühzeitig eine breite Allianz von Organisationen der Zivilgesellschaft, die nicht der Meinung sind, dass demokratische Regulierungen dem Freihandel geopfert werden dürfen. Dass es um nicht weniger geht, wird bei einem Blick auf die einzelnen Informationshäppchen deutlich, die bislang durchgesickert sind. Der Verein für mehr Demokratie e.V. liefert dazu eine gute Zusammenfassung:

  • Die TTIP-Bestimmungen werden für alle politischen Ebenen bindend sein. Damit werden der Europäischen Union, Bund, Ländern und Kommunen ganze Politikfelder dem Einfluss der gewählten und demokratisch legitimierten Politik, einschließlich Volksentscheiden, entzogen. Millionen von Menschen werden von den Ergebnissen der Verhandlungen betroffen sein, die zudem vermutlich irreversibel sind.
  • Verhandelt wird seitens der EU-Kommission. Während das EU-Parlament kaum beteiligt wird, haben über 600 Vertreter und Lobbyisten von Konzernen Zugang zu den Dokumenten. Verbraucherschützer oder Umweltverbände sind nicht miteinbezogen. Die Verhandlungen sind also intransparent und damit undemokratisch.
  • Die Ratifizierung wird vermutlich so ablaufen: Nach intensiven Verhandlungen wird das Parlament nur noch über ein fixes Paket abstimmen können (siehe ESM-Vorgehen). Demokratische Entscheidungsprozesse sehen anders aus!
  • Ziel der Verhandlungen ist die umfassende Harmonisierung von Normen und Standards, keine Branche soll davon ausgenommen werden. Die Art und Weise der bisherigen Verhandlungen lassen darauf schließen, dass viele gut begründete Regulierungen durch das Prinzip der gegenseiteigen Anerkennung wirkungslos werden sollen. Neben der Sicherheit von Produkten für die Verbraucher, ist auch die öffentliche Daseinsvorsorge gefährdet. Wie die Kommission hier tickt, kann man an ihren Versuchen im letzten Jahr ablesen, die Wasserversorgung zu privatisieren oder Genmaisproduzenten einen umfassenden Zugang zum europäischen Markt zu verschaffen. Schlussendlich zogen sich die Konzerne in diesen Fragen wegen dem Druck der Zivilbevölkerung vorübergehend zurück. Jedoch warten diese nur darauf durch ein entsprechendes Handelsabkommen ihre alten Forderungen nun doch, auf Basis eines Handelsabkommens an der Zivilgesellschaft vorbei, umsetzen zu können.
  • Besonders zu kritisieren ist der als Teil des Handelsabkommens geplante Investitionsschutz. Dieser soll Unternehmen spezielle Klagerechte im jeweils anderen Wirtschaftsraum garantieren. Bisher gibt es in anderen bilateralen Handelsabkommen Schiedsgerichtsverfahren, mittels derer Staaten einseitig von Investoren zum Schutze ihrer Investitionen verklagt werden können. Sollte dieses Verfahren in das Handelsabkommen aufgenommen werden, besteht die Gefahr, dass Konzerne dieses Recht missbrauchen könnten. Umwelt- oder Gesundheitsstandards könnten so gesenkt werden. Diese Verfahren werden von Anwaltskanzleien geführt, die abwechselnd Verteidiger, Richter und Staatsanwalt spielen dürfen. Die Verhandlungen vor den Schiedsgerichten sind geheim. Es gibt keine Revisions- oder Kontrollinstanz und die Öffentlichkeit erfährt erst nach der Entscheidung über die Verhandlungen. Mit Rechtsstaatlichkeit hat dies natürlich nichts zu tun.
  • Könnte nun Monsanto Deutschland verklagen, wenn die Deutschen keinen Genmais mehr auf ihren Feldern haben wollen? Ja! Die Konzerne nennen diese Form der demokratischen Regulierung „indirekte Enteignung“, also entgangene Gewinnerwartungen. Die zu erwartenden Entschädigungszahlungen an die Konzerne in Milliardenhöhe müssten die Steuerzahler übernehmen.
  • Es besteht die Gefahr, dass das europäische Vorsorgeprinzip wegfällt, wonach Firmen vor der Marktzulassung die Unschädlichkeit ihrer Produkte nachweisen müssen. In den USA gilt jedoch das Nachsorgeprinzip, was den Verbrauchern dazu zwingt die Schädlichkeit bestimmter Produkte nachzuweisen. Die Logik ist klar: Gewinne der Konzerne sind wichtiger als die Sicherheit der Verbraucher.
  • Profitieren werden auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans die Großkonzerne, klein- und mittelständischen Betriebe gehören hingegen zu den Verlierern des Abkommens, da ihre Vertreter nicht zu den 600 Lobbyisten mit Einblick in die Verhandlungen gehören und ihren Interessen ebenso wenig Nachdruck verleihen können, wie die Verbraucher und Bürger innerhalb der Europäischen Union.

Junge Menschen, die sich zu einem demokratischen Europa bekennen, müssen sich dem Kampf der Zivilgesellschaft gegen dieses Abkommen anschließen. Diskussionen über das Für und Wider eines Freihandelsabkommen sollten an dieser Stelle nicht den Blick auf das Wesentliche verschleiern: Die Missachtung der demokratischen Beteiligung an den Verhandlungen. Es geht also um unsere Zukunft. Um eine Zukunft, in der Parlamente auf Basis demokratischer Entscheidungen beschließen, was, wie und wo in Europa gehandelt werden darf. Ein politisches System, in dem die Menschen in Europa und ihre Vertreter darüber nicht entscheiden dürfen, verdient das Wort Demokratie nicht.

Also, auf in den Kampf liebe JEF!

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