Katastrophe abgewendet, aber nicht gewonnen

, von  Gesine Weber

Katastrophe abgewendet, aber nicht gewonnen
Emmanuel Macron mit Federica Mogherina, Hohe Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik Foto: World Economic Forum 2016 in Davos European External Action Service / Flickr / CC BY NC 2.0 Lizenz

Am gestrigen Sonntag haben die französischen Wahlberechtigten für die nächsten fünf Jahre einen neuen Präsidenten gewählt: Emmanuel Macron steht damit als achter Präsident an der Spitze der Französischen Republik. Damit ist zwar das Horror-Szenario eines Siegs der rechtsextremen Marine Le Pen abgewendet, aber Frankreich stehen schwierige Jahre bevor.

Die diesjährige Präsidentschaftswahl in Frankreich hatte ihren Platz in den Geschichtsbüchern schon sicher, bevor die französischen Bürger*innen tatsächlich im zweiten Wahlgang am gestrigen Sonntag über den zukünftigen Präsidenten der französischen Republik abgestimmt hatten: Noch nie spielten die großen Parteien eine so marginale Rolle, noch nie traten zwei Kandidat*innen gegeneinander an, die für so unterschiedliche Politik stehen. Dass im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl der sozialliberale und parteilose Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National antreten würde, erschien vielen Beobachter*innen vor einem Jahr noch unwahrscheinlich, da Macrons Bewegung „En Marche!“ zu diesem Zeitpunkt erst seit wenigen Wochen formell gegründet worden war. Tatsächlich ist es dem ehemaligen Banker und Wirtschaftsminister unter Francois Hollande gelungen, mit seiner Vision einer wirtschaftsliberalen und proeuropäischen Gesellschaft den nationalistischen Parolen von Le Pen die Stirn zu bieten und von nun an das höchste Amt der Französischen Republik zu bekleiden. Für Frankreich bedeutet das in erster Linie, dass sie die Katastrophe abgewendet haben: Marine Le Pen ist nicht Präsidentin, es wird damit höchstwahrscheinlich keinen Austritt Frankreichs aus der Europäischen Union oder aus dem Euro geben, und das deutsch-französische Verhältnis ist nicht fundamental gefährdet. Frankreich ist nicht an den Populismus gefallen. So erfreulich diese Tatsache ist, so wenig können sich die französischen Bürger*innen auf einfache fünf Jahre unter ihrem neuen Präsidenten Macron einstellen.

Präsident ohne Mehrheit

Emmanuel Macron mag den zweiten Wahlgang mit großer Mehrheit gewonnen haben; jedoch dürfte es sich bei vielen Stimmen, die für Macron abgegeben wurden, de facto um Stimmen gegen Le Pen gehandelt haben. Nach Ende des ersten Wahlgangs hatten etwa Macrons Konkurrenten Francois Fillon (Les Républicains) oder Benoît Hamon (Parti Socialiste) dazu aufgerufen, für Macron zu stimmen – was sicher einem großen Teil ihrer Wählerschaft nicht ganz leicht gefallen sein dürfte. Selbst Anhänger*innen des linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon könnten sich teilweise dazu durchgerungen haben, für Macron zu stimmen, um Le Pen zu verhindern; Mélenchon hatte zwar keine explizite Wahlempfehlung gegeben, aber seine Anhänger*innen dazu aufgerufen, nicht für den Front National zu stimmen. Emmanuel Macron dürfte es schwer haben, für alle Französinnen und Franzosen ein akzeptabler Präsident zu sein. Weniger als ein Viertel der französischen Wahlberechtigten stimmten im ersten Wahlgang für ihn, ein Wunschpräsident ist er für viele Bürger*innen nicht, sondern eher das kleinere Übel. Dass sich dies in schlechten Zustimmungswerten gegenüber einem Präsidenten artikulieren kann, zeigt der Blick auf Macrons Vorgänger: Nicolas Sarkozy erhielt 2007 im ersten Wahlgang etwas mehr als 30%, Francois Hollande konnte 2012 im ersten Wahlgang gut 28% der Stimmen auf sich vereinen – beide waren als Präsidenten sehr unbeliebt.

In der Praxis wird Macron ab Juni noch vor einem ganz anderen Problem stehen, denn dann wird das französische Parlament neu gewählt. Im französischen System ist eine Parlamentsmehrheit für den Präsidenten bzw. die Regierung sehr wichtig, denn ohne sie ist die Verabschiedung von Gesetzen abgesehen von wenigen Ausnahmen kaum möglich. Bisher ist noch unklar, wie sich Macron Bewegung „En Marche!“ bei diesen Legislativwahlen präsentieren wird, und falls sie mit Abgeordneten antritt, wie das Ergebnis ausfällt. Bewusst hat Macron sich in der Vergangenheit davon distanziert, „En Marche!“ als Partei zu bezeichnen, obwohl die Partei de facto über einen vergleichbaren administrativen Unterbau verfügt – ob „En Marche!“ – Mitglieder aus diesem Grund antreten, ist noch fraglich. Taktisch wäre es äußert unklug von der Bewegung, keine Kandidat*innen für die Parlamentswahlen zu stellen, da Macron ansonsten auf nur sehr wenig Unterstützung aus dem Parlament hoffen könnte. Aber auch wenn die Bewegung Kandidat*innen aufstellt, ist ihr Einzug ins Parlament alles andere als sicher, da die französische Nationalversammlung im Gegensatz zum Bundestag im Mehrheitswahlrecht gewählt wird, sodass ein Kandidat die meisten Stimmen in einem Wahlkreis erhalten muss, um in die Nationalversammlung einzuziehen. Für „En Marche!“-Kandidat*innen dürfte dies jedoch schwierig werden; derzeit sieht es stark nach einer Mehrheit der Republikaner im französischen Parlament aus. Für Emmanuel Macron als Präsident hieße das, dass er wahrscheinlich viele Kompromisse eingehen müsste, um Mehrheiten für seine Politik zu erhalten. Für Frankreich sind damit fünf weitere Jahre Stagnation sehr viel wahrscheinlicher als die von Macron versprochene Erneuerung.

Scheitern an eigenen Ansprüchen?

Damit erscheint es heute wahrscheinlich, dass Macron möglicherweise an seinen eigenen Versprechen scheitern wird. Macron prangerte während des Wahlkampfs sowie in seinem Buch „Révolution“ die alten Muster des politischen Systems an, welche die Erneuerungen und sinnvolle Politik erschwerten. Tatsächlich wird sich Macron jedoch genau in diesen Mechanismen wiederfinden, wenn er zumindest einen Teil seiner Vorschläge umsetzen will. Auch die Ernennung seiner Minister*innen dürfte eine Herausforderung werden: Einerseits verspricht er unbekannte Gesichter, andererseits wird eine republikanische Parlamentsmehrheit wohl auch die Ernennung republikanischer Minister*innen erzwingen. Auch die Kriterien, nach denen Macron führende Positionen in Ministerien besetzen wird, sind völlig offen. Aber nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch ist Macron eine tabula rasa: Wie wird er Staatschefs wie Donald Trump oder Wladimir Putin gegenübertreten, wie das deutsch-französische Verhältnis gestalten, wie bei Krisen intervenieren? Macron wird als Präsident viele Fragen zu beantworten haben.

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