Wahlen in Polen

Populismus, Skandale und Schmutzkampagnen – Wahlkampf in Polen

, von  Benedikt Putz

Populismus, Skandale und Schmutzkampagnen – Wahlkampf in Polen
Hunderttausende demonstrieren am 4. Juni in Warschau gegen die PiS-Regierung Foto: Wikimedia Commons / Maciej Nux / Copyright

Am 15. Oktober wählt Polen ein neues Parlament. Drei Wochen vor den Wahlen liegen das rechtspopulistische Lager um die Regierungspartei PiS und die Opposition gleich auf. Im Wahlkampf stehen sich beide Lager erbittert gegenüber. Ein Kommentar von Benedikt Putz.

Seit nunmehr acht Jahren hat die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, kurz PiS) in Polen die Zügel in der Hand. Unser Nachbarland hat sich in dieser Zeit von einem Hoffnungsträger für den demokratischen Aufschwung in Zentraleuropa zu einem Sorgenkind der EU entwickelt. Spätestens seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist jedoch klar: Ohne Polen geht in Europa nichts. Es steht also einiges auf dem Spiel. Pressefreit, Unabhängigkeit der Justiz, Schutz von Minderheiten – die Wahl am 15. Oktober ist ein Abstimmung über all diese Themen. In Polen entscheidet sich in den nächsten Wochen, in welche Richtung sich die EU bewegen wird.

Was steht auf dem Spiel?

Das polnische Wahlsystem erlaubt den Bürger*innen, alle vier Jahre das Parlament neu zu wählen. Dieses besteht aus zwei Kammern: Sejm und Senat. Der Sejm entspricht dabei in etwa dem deutschen Bundestag und besteht aus 460 Abgeordneten. Wie der Sejm wird auch der Senat am 15. Oktober gewählt. Die Wahl der Senatsabgeordneten erfolgt jedoch durch Direktwahlen in 100 Wahlkreisen. Hierbei zieht jeweils die Person mit den meisten Stimmen in den Senat ein. Der Senat hat in Polen nur eine beratende Funktion, dessen Veto durch den Sejm überstimmt werden kann. Die PiS-Partei verfügt in der aktuellen Legislaturperiode über eine absolute Mehrheit im Sejm, verlor jedoch bei den letzten Wahlen vor vier Jahren die Mehrheit im Senat.

Ein Kopf-an-Kopf-Rennen

Aktuell sieht es so aus, als ob PiS in keiner der beiden Kammern eine Mehrheit erlangen wird. Umfragen sehen die Regierung bei 35-40%. Die Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, KO) steht als stärkste Oppositionskraft bei 27-30%. Im Rennen um den dritten Platz liegen das Linksbündnis Lewica, die rechtsnationale Konföderation (Konfederacja) und das Mitte-Bündnis Dritter Weg (Trzecia Droga) bei 10% gleichauf.

Eine Besonderheit des polnischen Parteiensystems sind die Wahlbündnisse. Da eine Partei mindestens 5% der Stimmen erhalten muss, um in den Sejm einziehen zu können, haben sich viele kleinere Parteien zu Wahlbündnissen zusammengeschlossen. Für diese gilt eine Sperrklausel von 8%. Im Wahlkampf handelt es sich bei den politischen Kräften also nicht um einfache Parteien, sondern um Wahlbündnisse. Nach der Wahl bilden alle gewählten Abgeordneten eines Wahlbündnisses normalerweise eine Fraktion.

Ein Wahlkampf mit ungleichen Mitteln

Wie in jedem anderen Land der EU sind auch die Wahlen in Polen frei und unabhängig. Fraglich ist jedoch, ob der Wahlkampf fair ist. Nach allen Regeln der rechtspopulistischen Kunst hat PiS in den letzten acht Jahren den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter die eigene Kontrolle gebracht.

Auch private Medien sind von der Einschränkung der Pressefreiheit betroffen. Wie die Deutsche Welle berichtete, kontrolliert der polnische Staat seit 2020 ungefähr 80% der Lokalpresse. Außerdem versuchte PiS vor zwei Jahren, dem größten Oppositionssender TVN die Lizenz zu entziehen. Nach einer großen Protestwelle wurde dieser Vorschlag zwar erst einmal fallengelassen, von einer blühenden Medienlandschaft kann man in Polen jedoch nicht sprechen.

Das spiegelt sich auch im Wahlkampf wider. Seit Monaten läuft die PiS-Maschinerie nun auf Hochtouren. Insbesondere der KO-Oppositionskandidat Donald Tusk ist dabei zur Zielscheibe einer abstrusen Schmutzkampagne geworden. Ein Beispiel dafür ist der „Dokumentarfilm“ Nasz człowiek w Warszawie (Unser Mann in Warschau), der vom Staatssender TVP produziert und ausgestrahlt wurde. Darin wird Tusk maßgeblich für die russische Invasion in der Ukraine verantwortlich gemacht, weil dieser während seiner Zeit als Premierminister zu eng mit Putin und Merkel zusammengearbeitet habe. Während man die Russlandpolitik Tusks natürlich kritisieren kann, gleicht der angebliche „Dokumentarfilm“ jedoch vielmehr einer Ansammlung von wilden Verschwörungstheorien. Gegen diese Propagandamaschinerie kann die Opposition nur schwer ankommen.

Wahlkampf auf Kosten von Minderheiten

Dabei bleibt es aber nicht. Schon seit Jahren ist es nicht gut um die LGBT-Rechte in Polen bestellt. Diese werden gerade im Wahlkampf als Propagandamittel missbraucht, um eine Front zwischen der „traditionellen, polnischen Familie“ und der ausländischen „Regenbogenideologie“ aufzuziehen.

Dasselbe gilt für Geflüchtete. Am 15. Oktober wählen die Pol*innen nämlich nicht nur das Parlament, sondern stimmen in einem Referendum auch über die folgende Frage ab: „Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika nach dem von der europäischen Bürokratie auferlegten Mechanismus der verpflichtenden Aufnahme?“. Wer nach der Definition für „Suggestivfrage“ sucht, findet sie hier.

Und wenn alles nichts hilft, wird das alte Feindbild Deutschland ausgepackt. Erst vor zwei Wochen wurde ein Video veröffentlicht, das PiS-Chef Kaczyński zeigt, wie er einen angeblichen Anruf von Bundeskanzler Scholz ablehnt. Nicht mal die Ukraine ist inzwischen noch sicher vor der PiS-Wahlkampfshow. Einen Streit mit Kiew über den Transit von ukrainischem Getreide hat die polnische Regierung so weit eskalieren lassen, dass letzte Woche sogar kurz über ein Stopp der polnischen Waffenlieferungen diskutiert wurde. All das scheint bei der PiS-Stammwählerschaft in den ländlichen Gebieten Ostpolens weiterhin auf fruchtbaren Boden zu fallen.

Die Opposition ist schlauer geworden, aber: Ausgang ungewiss

Um nicht die dritte Parlamentswahl in Folge zu verlieren, haben sich die Oppositionsparteien neue Strategien überlegt. Vor allem Donald Tusk scheint aus den Fehlern der letzten Wahlkämpfe gelernt zu haben. Als die PiS-Regierung im Juni ein Gesetz auf den Weg bringen wollte, das russischen Einfluss auf die polnische Politik einschränken sollte, steckte der ehemalige Premierminister und Präsident des Europäischen Rates in der Bredouille. Warum? Weil dieser ein Agent Putins sei und die deutsch-russische Weltherrschaft anstrebe. Denn das Gesetz hatte vor allem ein wirkliches Ziel: Tusk aus dem Weg räumen. Doch dieser reagierte ziemlich clever darauf: Die Opposition rief zum Protest auf und am 4. Juni demonstrierten mehrere Hunderttausend Pol*innen gegen das geplante Gesetz. Solche Massenveranstaltungen gab es seitdem öfters und sie sollen vor allem eines zeigen: Es sind viele, die mit dem PiS-Populismus nicht einverstanden sind.

Ob all das am Ende reicht, wird sich zeigen. Aktuell sieht es so aus, als ob das rechtspopulistische Lager und die übrigen Oppositionsparteien gleichauf liegen. Besonders interessant wird jedoch sein, ob die rechtsnationale Konfederacja überhaupt eine Regierung unter PiS-Führung bilden möchte. Bislang gab es zumindest noch kein klares Bekenntnis. Ohne diese Zusammenarbeit würde PiS aber über keine Regierungsmehrheit verfügen. Es ist also noch alles offen. Die nächsten Wochen werden entscheiden, wer sich am 15. Oktober durchsetzen kann. Und sie werden Aufschluss darüber geben, wie stark der Populismus heute wirklich in Europa ist.

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