Protest statt Paradigmenwechsel

, von  Marco Bitschnau

Protest statt Paradigmenwechsel
Marine Le Pen ist Vorsitzende des Front National und sitzt für die ENF-Fraktion im Europaparlament. © European Parliament / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0-Lizenz

Nach frühen Triumphrufen anlässlich des ersten Durchgangs hat der Front National die französischen Regionalwahlen am vergangenen Sonntag verloren. Das Ergebnis zeigt: Der Erfolg der Rechten ist eher von bislang unkanalisiertem Protest gegen das politische Establishment getrieben als von einem ernsthaften Wunsch nach der Herrschaft der Rechten.

Am Ende siegte doch noch die Erleichterung. In der entscheidenden zweiten Runde der französischen Regionalwahlen ist der rechtsextreme Front National (FN) auf den dritten Rang verwiesen worden. Nicht eine einzige der siebzehn Regionen fiel an die EU-Gegner um die erst jüngst vom Vorwurf der Hassrede freigesprochene Parteivorsitzende Marine Le Pen. Selbst in den FN-Hochburgen Nord-Pas-de-Calais-Picardie und Provence-Alpes-Cote d’Azur, in denen Le Pen und ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen jeweils persönlich antraten und im ersten Wahlgang noch Ergebnisse um die vierzig Prozent einfuhren, mussten sie sich den Kandidaten der konservativen Republikaner geschlagen geben. Die sozialistischen Kandidaten hatten hier zuvor freiwillig das Feld geräumt, um eine Bündelung aller moderaten Kräfte zu ermöglichen. Das Prinzip der erzwungenen Einigkeit zeigte also Erfolg, wenn auch um den Preis, dass es vereinzelt als moralisch zweifelhaftes Geschacher wahrgenommen wurde.

Der Aufstieg des Front National kommt nicht überraschend...

Doch das ist vorwiegend eine Rezeptions- und Darstellungsfrage. Es ist schließlich nicht so, dass das Zurückziehen eines Kandidaten oder einer Liste um einen Dritten zu verhindern ein besonderes Unikum in der politischen Kultur Frankreichs wäre. Dass es dazu kommen würde war absehbar, denn keinen aufmerksamen Beobachter konnte das Erstarken des Front National ernsthaft überraschen: Umfragewerte, die mehr oder weniger deutlich darauf hindeuteten, lagen schon seit dem Spätsommer vor. Auch die Unzufriedenheit der Franzosen mit Präsident Hollande war weithin bekannt. Die europäische Flüchtlingskrise und die damit medial immer wieder in Verbindung gebrachten Anschläge von Paris taten ihr Übriges, um endgültig ein Klima des Misstrauens und des Zweifels zu schaffen. Zudem war es die erste Wahl nach der umstrittenen Gebietsreform von 2014 - die Zahl der Regionen war nach einer ebenso langwierigen wie konfusen Auseinandersetzung aus Kostengründen fast halbiert worden. Schließlich gelten die französischen Regionalwahlen ähnlich wie Landtagswahlen in Deutschland als Möglichkeit für Protestwähler, der Regierung in Paris einen Denkzettel zu verpassen.

... doch seine Machtaussichten bleiben gering

Bedenkt man all dies, dann ist auch der Wahlausgang der ersten Runde weniger ein Anzeichen für einen markanten Rechtsdrall der französischen Gesellschaft als vielmehr das Ergebnis einer generellen Unzufriedenheit mit der Politik und besonders der nach wie vor enorm hohen Jugendarbeitslosigkeit. Es war viel mehr ein Warnschuss als ein bewusstes Bekenntnis für die Homophobie, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit, für die der Front National trotz seiner ostentativ vorgetragenen Vorstöße insbürgerliche Lager nach wie vor steht. Diesen Warnschuss zur Kenntnis zu nehmen, ist sicher nicht verkehrt - aber daraus eine mittelfristig ernsthafte Machtoption für die Rechten in seiner heutigen Form abzuleiten, gehört eher ins Reich der Untergangsprophetie als der politischen Analyse. Marine Le Pen mag 2017 unter Umständen die Stichwahl erreichen (nichts anderes gelang ihrem Vater ja bereits 2002), aber spätestens gegen einen von einem breiten Bündnis aller anderen demokratischen Parteien getragenen Kandidaten dürfte dann Schluss sein; ganz gleich ob es sich dabei nun um Premierminister Manuel Valls, dessen Vorgänger Francois Fillon Bordeaux’ Bürgermeister Alain Juppé oder Altpräsident Nicolas Sarkozy handelt.

Transparenz und Aufklärung

Dass die Frontfrau der französischen Rechten also tatsächlich in den Ostflügel des Élysée-Palasts einziehen kann, ist deshalb unter normalen Umständen unwahrscheinlich. Dennoch ist Wachsamkeit geboten. Die mehr als sechs Millionen unzufriedenen Franzosen, die für die Kandidaten des Front National stimmten, kommen nicht von ungefähr. Viele sehen Europa mittlerweile eher als Gefahr denn als Chance, konstruieren sich ein Weltbild, in dem blutleere Bürokraten in Brüssel und Straßburg den Völkern ihre Souveränität und Identität rauben wollen und fürchten sich vor den Unabwägbarkeiten einer sich rasant verändernden Welt. Diese Menschen zu erreichen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und zumindest die gröbsten Sorgen und Ängste als die Fehleinschätzungen zu entlarven, die sie in aller Regel auch sind, muss ein erklärtes Ziel europäischer Politik bleiben. Denn einzig mit Transparenz und der Bereitschaft zum Dialog kann man Hetzern und Extremisten dauerhaft die Erfolgsgrundlage entziehen.

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