Reportage: Katalonien ist so frei

Barcelona sagt Nein zur Abspaltung

, von  Jochen Sand

Reportage: Katalonien ist so frei
Das Wochenende nachdem Carles Puigdemont einseitig Kataloniens Unabhängigkeit erklärt hatte, gehörte trotzdem oder gerade deswegen den Befürwortern der Einheit Spaniens. Unser Reporter, Jochen Sand, war vor Ort und hat sich umgesehen. Fotos / Text: Jochen Sand Fotos / Text: Jochen Sand, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

Das Wochenende nachdem Carles Puigdemont einseitig Kataloniens Unabhängigkeit erklärt hatte, gehörte trotzdem oder gerade deswegen den Befürwortern der Einheit Spaniens. Ein deutliches Bekenntnis zu Europa wurde hier auch manifestiert. Unser Reporter, Jochen Sand, war vor Ort und hat sich umgesehen.

Dem Phantomschmerz vieler Katalanen, von Faschisten aus Madrid zentralistisch diktiert zu werden, wird zunächst Linderung verschafft durch die Ankündigung des umstrittenen Referendums zur Lossagung von der Herrschaft für den 1. Oktober 2017.

Marokkaner demonstrieren vor dem Palast der Generalität gegen Militarisierung der Rif-Region in Marokko
Gegen die Militarisierung der Rif-Region demonstrieren viele Frauen, die sich in katalanische, marokkanische und Berberfahnen gehüllt haben

Den Prozess zum Unabhängigkeitsreferendum, den Artur Mas, Vorgänger von Carles Puigdemont an der Spitze der katalanischen Regionalregierung, 2010 einleitete, hatte Puigdemont medial, wie auch rhetorisch geschickt verstärkt. Beide verknüpften das angebliche Demokratievakuum, in dem sich Katalonien durch die zentralistische Herrschaft aus Madrid befinde, mit den Problemen, mit denen sich die Region - wie auch der Rest Spaniens - nach der Weltwirtschaftskrise noch heute konfrontiert sieht.

Marokkaner demonstrieren vor Palast der Generalität gegen Militarisierung der Rif-Region
Auftakt zu einer Kundgebung gegen die Abspaltung von Katalonien auf Passeo de Grácia in Barcelona

Diese brachiale Entkoppelung von Ursache und Wirkung einer wirtschaftlichen Schieflage durch eine lange anhaltende Rezession führt vor allem bei jungen Katalanen zu der scheinbaren Erkenntnis, dass die eigene Zukunft nur dann zu retten sei, wenn sich die Region von der Despotie aus Madrid befreien würde.

Hunderdtausende Befürworter der Einheit Spaniens folgen dem Zug
Josep Borrell, Präsident des Europäischen Parlamentes von 2004 bis 2007, spricht sich gegen Bevormundung und Totalitarismus der katalanischen Regierung aus

Die übergroße Mehrheit der Katalanen allerdings spürt den Schmerz nicht mehr, den Puigdemont und sein parteiübergreifendes Bündnis für die Abspaltung, Junts pel Sí, gerade aktivieren. Er ist das Ergebnis der Wunden ihrer Väter und Großväter, die diese gegen das wirklich faschistische Regime Francos während seiner 40 Jahre dauernden Herrschaft von 1936 bis 1975 erlitten haben. Angekommen im Europa des 21. Jahrhunderts fällt es ihnen schwer, im amtierenden Ministerpräsidenten einen faschistischen Herrscher zu erkennen. Ihr Selbstbild ist geprägt von freiheitlich demokratischen Überzeugungen, die sie in Europa heute verwirklicht sehen.

Die Beamten, die den Regierungssitz Palau de la Generalitat bewachen lassen sich nicht provozieren
Die Teilnehmerzahl der Kundgebung schwankt je nach Quelle zwischen 300.000 und einer Million

Es schien eine Weile so zu sein, dass die Gegner der Abspaltung Kataloniens von dem Tempo, das die Independendistas in dem Prozess vorgelegt hatten, überrumpelt gewesen sind. Ohnehin mussten sie sich zunächst vergegenwärtigen, warum die Bewegung gerade jetzt mit dieser Vehemenz und Unbedingtheit vorangetrieben wird. Und mit welchen Interessen? Die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwerfungen, die sich ergeben werden, sind noch gar nicht abzusehen.

Die Stimmung war, wie die Flaggen, überwiegend pro-europäisch
Paco Frutos, früherer Generalsekretär der spanischen Kommunisten: „Ich bin ein Verräter an dem Rassismus, den ihr (die Unabhängigkeitsbewegung) erzeugt“.

Am Tag nach der Erklärung der Unabhängigkeit ist es seltsam still gewesen in Barcelona. Wie auch sonst zogen Tausende Touristen durch die gängigen Sightseeing-Spots der Stadt. An den Fassaden der Häuser flatterte mal die katalanische Estelada, mal die Rojigualda, die spanische Flagge. Vor der Generalitat de Catalunya an der Plaça de Sant Jaume, dem Amtssitz Puigdemonts, waren internationale Kamerateams aufgestellt - für alle Fälle. Und auch vor dem katalanischen Parlament nahe des Zoos standen nur vereinzelt noch Kameraleute, die sich mit Lichttests auf Eventualitäten vorbereiteten, die nicht passierten.

Auch ein paar Faschisten schlossen sich der Demonstration an
Viele Spanier machen Puigdemonts falsche Versprechungen für die ausweglose Situation in Katalonien verantwortlich

Vor der Generalität tauchte später an dem Samstag eine Prozession von Angehörigen des Militärs der nordmarokkanischen Rif-Region auf, die die noch immer starke Militarisierung ihrer Region seit dem Ende der Rif-Kriege gegen Spanien im frühen 20. Jahrhundert beklagten. Dabei schwenkten sie die marokkanische Fahne, wie auch die der katalanischen Unabhängigkeit und die Flagge der Berber.

„Einer für alle, alle für einen“ war auf der Kundgebung oft zu lesen und zu hören
"Es lebe die Verfassung“ und „Hallo Demokratie“ rufen diese Leute

Erst am Sonntag liefen die Straßen wieder voll mit amtsspanischem Rotgelb. Für diesen Tag hatten die Gegner der Unabhängigkeitsbewegung eine Kundgebung auf der Passeo de Graçia angekündigt, einer Prachtstraße, die an ihrem südlichen Ende auf den Plaça Cataluya mündet. Es sollte eine der größten Kundgebung werden, die die Stadt je gesehen hat. Endlich hatten sie die Kraft gefunden aufzustehen, das Schweigen der Mehrheit zu brechen und Hunderttausende zu mobilisieren für ein überdeutliches: JUNTOS - Gemeinsam!

Alle Generationen gingen an dem Tag für die Einheit Spaniens auf die Straße
Ein Korrespondent des andalusischen TV-Senders Canal Sur berichtet von der Kundgebung

Es sprachen u. a. Josep Borrell, Präsident des Europäischen Parlamentes 2004-2007, der frühere Außenminister der amtierenden Regierungspartei, Partido Popular, Josep Piqué und Paco Frutos, der frühere Generalsekretär der spanischen Kommunisten. Sie alle sprachen sich aus gegen den Totalitarismus, die Bevormundung und die Denunziationen der Koalition der Separatisten, für die diejenigen Faschisten seien, die nicht ihrer Meinung sind.

Teilnehmer der Demonstration mit pro euro-spanischer Fahne
„Wir sind ein Volk“ gibt diese Frau zu verstehen

Unter tosendem Beifall und wehenden spanischen, europäischen und katalanischen Fahnen reklamierten sie, mehr Brücken zu bauen und weniger Mauern, wurden Lieder gesungen, die die Einheit Spaniens beschworen. Carles Puigdemont und der lokale Fernsehsender TV3 wurden als Manipulatoren beschimpft, die ihre Quittung am 21. Dezember an den Wahlurnen bekommen würden.

Drei Faschisten vor dem Regierungssitz von Puigdemont am Plaça Sant Jaume in Barcelona
Blick vom Plaça de Jaume durch die Straße Carrer de Ferran in Richtung La Rambla

Wo Nationalfahnen wehen sind oft Neonazis nicht weit. So war es auch hier. Die fünfzig, die kamen wurden jedoch von der schieren Masse der weltoffenen Europabefürworter freundlich aufgesogen und gut verdaut. Und so war es am Ende ein schillerndes, lautes und enthusiastisches Fest für die Kraft der Einheit Spaniens.

Nach der Kundgebung am 29.10.2017 strömen noch immer Teilnehmer auf den Platz vor dem Sitz der katalanischen Regierung, Plaça de Jaume
Dort zeigen sie, dass sie den vom spanischen Regierungschef, Mariano Rajoy aktivierten Artikel 155 der spanischen Verfassung befürworten. Er sieht vor, dass eine Regionalregierung im Falle der Missachtung der spanischen Verfassung, durch Madrid entmachtet werden kann.
Spanische Fahne mit Toro de Osborne. Der Stier war in den 50ern Markenzeichen der Brandy-Marke Osborne
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