Rumänien: der Aufstand gegen die Korruption

, von  Coline Auguin, übersetzt von Can Yildiz

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Rumänien: der Aufstand gegen die Korruption

Nach vier Tagen Demonstrationen noch nie dagewesener Größe und Mahnungen der gesamten europäischen politischen Elite, revidierte der neue rumänische Premierminister Sorin Grindeanu sein Dekret zu Korruption und Amtsmissbrauch. Eine Übersicht zur Spaltung der rumänischen Gesellschaft zwischen ihren alten Dämonen aus der Zeit des Kommunismus und den Bestrebungen zu mehr Europäischer Integration.

Das am Abend des 31. Januar von der rumänischen Regierung verabschiedete Dekret sah quasi die Straffreiheit von Korruption vor. Amtsmissbrauch sollte künftig nicht mehr mit Gefängnisstrafen bestraft werden können, wenn sich der Schaden auf weniger als 44.000 Euro beläuft. Zudem sollten 2500 wegen Korruption bestrafte Personen, darunter mehrere Amtsträger, begnadigt werden.

Nur wenige Wochen nach den von der PSD (sozialdemokratische Partei Rumäniens) gewonnenen Parlamentswahlen entbrannte der Skandal um den Vorschlag der sozialliberalen Regierung. Die Politik der PSD wird von zahlreichen Rumänen als Erbe des Kommunismus angesehen. Laut Laura Codruța Kövesi von der Nationalen Antikorruptionsbehörde, „birgt von nun an jeder Tag ein großes Risiko für die Gerechtigkeit“. Die Direktorin der Behörde befürchtet sogar, dass der Kampf gegen die Korruption mit dieser Maßnahme ihren Nutzen verlöre.

Rumänien befindet sich am Scheideweg. Für die Mehrheit der Rumänen war der EU-Beitritt im Jahre 2007 ein Hoffnungsschimmer, heute stehen sich zwei verschiedene Lager gegenüber. Auf der einen Seite jene, die sich noch immer mit den Werten und Praktiken des Kommunismus verbunden fühlen und auf der anderen Seite die junge Generation, die den Kommunismus nicht oder kaum miterlebt hat und von einer zweiten demokratischen Revolution träumt.

Korruption: Ein kommunistisches Erbe

Am Tag nach der Revolution von 1989, erklärte sich die am 22. Dezember 1989 geschaffene Übergangsregierung des „Frontul Salvarii Nationale (FSN)“ (Front zur nationalen Rettung) für demokratisch und wollte mit Ceausescus autoritärem Regime brechen. Doch eine große Mehrheit des FSN waren Mitglieder der kommunistischen Partei, wenn auch nicht Teil ihrer Führungsriege. Ion Iliescu, der am 26. Dezember 1989 zum Präsidenten gewählt wurde, stand für „das Versprechen einer Veränderung ohne Schmerzen und einer Kontinuität ohne Abbruch“ [1] Dieser Trend zur Erneuerung der alten Riege der kommunistischen Partei und der Anhänger der „Securitate“ [2] setzt sich bis heute fort. Die PSD, ehemals Humanistische Partei Rumäniens (Partidul Umanist din România, PUR) ist heute an der Macht und bricht nicht mit diesem Trend. Praktiken wie Korruption und Betrug, die in der Zeit des Kommunismus weit verbreitet waren, sind in der führenden Elite nach wie vor üblich.

Dennoch wurde das Verhalten Rumäniens, was den Kampf gegen Korruption betrifft, in den letzten Jahrzehnten stets als vorbildlich angesehen. Auch für Hoyt Brian Yee, Assistent europäischer und eurasischer Angelegenheiten, ist Rumänien ein Vorreiter im Kampf gegen Korruption in der Region geworden. Die Schaffung der Nationalen Antikorruptionsbehörde (Direcția Națională Anticorupție, DNA), die mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (Office Européen de Lutte Anti-fraude, OLAF) kooperiert, markierte einen wichtigen Wendepunkt im Kampf gegen Korruption und Betrug. Die Wahl Laura Codruța Kövesis zur Generaldirektorin der Behörde im Jahre 2013 führte zu einer schlagkräftigen und effektiven Struktur, die von der politischen Klasse gefürchtet wird. Sie hat den Weg zur Verurteilung von 743 Personen im Jahre 2012 und 1138 Personen im Jahre 2014 geebnet. Es sind die Mitglieder der politischen Parteien, die im Visier der DNA stehen. Mehr als 3000 Minister, Abgeordnete und Bürgermeister, die zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, zeugen vom Nutzen dieses Instruments.

Der politische Kampf gegen die Korruption ist in Gefahr

Trotz der Bemühungen der Nationalen Antikorruptionsbehörde sind korrupte Praktiken vor allem in der PSD, einer der wichtigsten Parteien in der von zwei Parteien dominierten Politik des Landes, tief verankert. Der ehemalige Ministerpräsident Victor Ponta, Mitglied der PSD, musste am 4. November 2015 als Folge eines tragischen Vorfalls mit 32 Toten und Hunderten Verletzten im Colectiv, einer Diskothek im Herzen Bukarests, bereits zurücktreten. Dieses Drama löste eine seit der Revolution von 1989 nicht dagewesene Unruhe aus. Zehntausende Rumän*innen versammelten sich, um in den großen Städten gegen die das Land aufreibende Korruption zu demonstrieren. Victor Ponta, der zu dem Zeitpunkt in mehrere korrupte Geschäfte verwickelt war, sah sich gezwungen zurückzutreten und das Feld Dacia Ciolos Übergangsregierung zu überlassen. Unter der Leitung des ehemaligen Landwirtschaftskommissars der Europäischen Union entstand eine Regierung unabhängiger Technokraten.

Am 11. Dezember des letzten Jahres gewann die PSD zum Unmut des urbanen und gebildeten Teils der Bevölkerung die Parlamentswahlen mit 45% der Stimmen. Sorin Grindeanu wurde zum Premierminister ernannt. Liviu Dragneau, der starke Mann der Partei, musste diesem den Platz überlassen, nachdem er wegen Betrugs zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde. Unter diesem Umständen grub die PSD nur wenige Wochen nach der Übernahme der Regierung das alte Gesetzesprojekt zur Lockerung der Antikorruptionsgesetze und Begnadigung bereits verurteilter Personen heraus und setzte es über Nacht mit Gewalt durch. Diese gewaltsame Machtausübung hat die Menschen in den Großstädten in großer Zahl gegen die Regierung aufgebracht. Die Demonstrationen in der Nacht des 1. Februar zählten bis zu 150.000 Teilnehmer*innen.

Eine gespaltene Gesellschaft

Diese Massendemonstrationen legen die tiefe Spaltung der rumänischen Gesellschaft offen. Auf der einen Seite befindet sich die enttäuschte Bevölkerung, die die Erben der kommunistischen Macht akzeptiert und der sicheren Arbeit im Kommunismus hinterhertrauert. Sie sind die Vergessenen der 1989er Revolution und der Europäischen Integration, die das kommunistische System in seinen Grundfesten gut finden, seine Umsetzung jedoch eher kritisch sehen. Am Tag nach der Revolution wurde die Demokratie über alle Maße gelobt. Da sie viele jedoch mit dem Kapitalismus verknüpfen, wird das demokratische System seit dem Beginn der Wirtschaftskrise als Grund allen Übels betrachtet.

Ihnen gegenüber steht die urbane Jugend und die gebildete Schicht, die die vergangenheitsbezogene und konservative Macht mit Hang zum Autoritarismus leid sind. Diese Menschen sind der Kern der zivilen Bevölkerung Rumäniens, die die Stimme erhebt. Die Demonstrationen der letzten Tage konnten als Reaktion auf das Dekret der Regierung Zehntausende Menschen zusammenbringen. Doch der Aufstand wird vielschichtiger: So steht nun auch das Projekt, die roten Berge zu retten und sie in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbe aufzunehmen. Für jenen jungen, gebildeten und urbanen Teil der Gesellschaft stellt die EU eine Hoffnung gegen das korrupte Parteiensystem dar. Brachte damals noch Dacian Ciolos mit seiner Regierung aus Unabhängigen und ehemaligen europäischen Technokraten frischen Wind in die rumänische Politik, richtet sich die Aufmerksamkeit mittlerweile auf die noch junge Partei „Union rettet Rumänien“ [3]. Die im Juli 2015 gegründete Partei erreichte rund 10 % in den Umfragen. Dies ist zwar noch zu wenig, aber ein Hoffnungsschimmer.

[1] « La Roumanie post 1989 », Catherine Durandin et Zoé Petre, L’Harmattan, 2008

[2] Die Securitate (offiziell Departamentul Securității Statului, dt. Abteilung für Staatssicherheit) war ab 1948 ein rumänischer Geheimdienst . Bei seiner Auflösung im Jahr 1990 gab es schätzungsweise 40.000 offizielle und 400.000 inoffizielle Mitarbeiter. (Quelle: Wikipedia)

[3] „Uniunea Salvati Romania“ ist eine junge Partei, die sich als „weder links noch rechts“ versteht. Sie möchte gegen Korruption und Privatisierung kämpfen.

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