Demokratiedefizite in der transnationalen Zusammenarbeit zwischen Regionen und Kommunen

, von  André Berberich

Demokratiedefizite in der transnationalen Zusammenarbeit zwischen Regionen und Kommunen
Ausschuss der Regionen © European Union

Demokratiedefizite und die EU – ein Thema so alt wie die europäische Integration selbst und seit Jahrzehnten von Wissenschaft, NGOs und Politik mal mehr, mal weniger sachlich und tiefgründig diskutiert. Lösungen im Sinne nationalstaatlicher Demokratiemuster scheinen auch heute nicht in Sicht zu sein, da die EU laut einhelliger Meinung ein politisches Wesen sui generis sei, dessen demokratische Qualität nicht an nationalen Kriterien gemessen werden dürfe. Ähnlich verlaufen die Debatten auf globaler Ebene, in denen u.a. über eine Demokratisierung der United Nations oder der World Trade Organization gestritten und diese von mehrheitlich zivilgesellschaftlicher Seite gefordert wird. Folgt man der kritischen Mehrheit und nimmt einen, wie auch immer gearteten, Mangel an Demokratie als gegeben (resultierend aus einem Abgleich der demokratischen Realität mit einem spezifischen, demokratietheoretischen Idealtypus eines politischen Gemeinwesens), ist umso bedenklicher, als das die hier betriebene, vielzitierte Auflösung der Nationalstaaten weitreichende Folgen für das Leben ihrer Bürger hat, ohne dass diese darauf Einfluss nehmen könnten. Abraham Lincolns Forderung von 1863, dass ein „government of the people, by the people, for the people” Grundpfeiler jeder Demokratie sei und die sich in allen modernen Demokratietheorien wiederfindet, rückt so mit jedem Kommissionsrechtsakt und jeder UN-Resolution in weite Ferne.

Kooperation auf regionaler Ebene

Soweit, so ungut. Wenig beachtet werden dagegen Formen transnationaler Zusammenarbeit, die v.a. in Europa zwischen Regionen und Kommunen (ergo substaatlich) und teilweise seit dem 19. Jahrhundert existieren und seit den 1990er Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Während die einen dies als Wiederaufleben alter, regionsspezifischer Verbindungen, die von den Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts künstlich durchschnitten wurden, einordnen, sehen andere einen klaren Zusammenhang mit der Debatte um ein Europa der Regionen, in dessen Zuge der Einfluss der Mitgliedstaaten (quasi mit freundlicher Unterstützung der Kommission) unterminiert werden sollte. Die Gründung des Ausschusses der Regionen (AdR, Vertrag von Maastricht) zeugt noch heute davon, wenn der AdR auch eine, im Vergleich zu den damaligen Forderungen der (deutschen) Regionen, beschnittene Institution ist. Zurück zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit: handelt es sich zwar zum Großteil um rein zweckorientierte Kooperationsformen, gegründet um Fördergelder zu akquirieren, so finden sich doch einige, überwiegend tradierte Institutionen, die sowohl von ihrer politisch-administrativen Kapazität, ihren finanziellen Ressourcen als auch ihrem Vertretungsanspruch für „ihr“ grenzüberschreitendes Gebiet als ernstzunehmende Regionalverbünde gelten können (z.B. die EUREGIO an der deutsch-niederländischen Grenze oder die diversen Gremien im Oberrheingebiet). Darauf aufbauend lassen sich zwei Argumentationsstränge bilden: einerseits könnte hinterfragt werden, dass sich für diese Integration von unten weder ein Zusammenhang mit der europäischen Einigung und noch weniger mit den als gegeben angenommenen Demokratiedefiziten der EU finden lässt. Schließlich werden hier keine staatlichen Kompetenzen abgezogen oder allzu weitreichende Entscheidungen für das Leben der Bürger in den Grenzregionen getroffen. Andererseits offenbart ein zweiter Blick zahlreiche Ähnlichkeiten und macht das Thema damit für die üblicherweise adressierte, supranationale Integration interessant. Ohne zu viele Details einstreuen zu wollen, sind dies z.B. die kontinuierliche Dominanz politisch-administrativer Eliten, die Integration häufig ohne ausreichende Beteiligung oder Kontrolle der Legislative vorantreiben, die Diffusion von Verantwortlichkeit und ihrer Zurechenbarkeit auf Personen oder Institutionen in transnationalen Räumen, die häufig überproportionale Repräsentation kleiner Subregionen bzw. Staaten oder das Fehlen einer transnationalen Öffentlichkeit und damit legitimierenden Bürgerschaft.

Die Frage nach der demokratischen Legitimation

Aus der dargelegten Erkenntnis lassen sich zwei Probleme für das Projekt der europäischen Integration unter föderalistischen Vorzeichen ableiten. Erstens ist zu fragen, wie ein europäisches „multi-level governance system“ sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Hinsicht wirklich demokratisch funktionieren soll, wenn sich bereits auf den unteren, noch überschaubaren Ebenen erhebliche Demokratiedefizite finden lassen. Zweitens kann im Anschluss daran argumentiert werden, dass Integration, die bereits auf substaatlicher Ebene und damit einhergehend nahe am europäischen Bürger und seiner Wahrnehmung dieser nicht in einem demokratisch notwendigen Ausmaß möglich ist, auf supranationaler Ebene noch komplexer oder sogar unerreichbar wird. Begeisterung für das Großprojekt Europa lässt sich so nicht entfachen. Hier kann die Brücke zur Rolle der EU zurückgeschlagen werden: diese sollte schon aus Eigeninteresse darauf drängen, dass substaatliche, transnationale Zusammenarbeit als Mittel der bottom-up Integration größeres Gewicht bekommt, aber gleichzeitig auch zu ihrer Demokratisierung, z.B. durch geeignete Förderkriterien für die überlebensnotwendige Strukturförderung, selbst dazu beitragen. Wenn Europa auf den unteren Ebenen demokratischer funktioniert und zumindest schon einmal die Millionen Menschen in den Grenzgebieten mitnimmt und von den Vorteilen und der Machbarkeit eines politischen und kulturellen Europas überzeugt, ist ein großer Schritt in die richtige Richtung getan. Parallel dazu muss sowohl nationalen Regionen als auch grenzüberschreitenden Regionen mehr Gewicht im europäischen Gesamtgebilde gegeben werden. Dass diese Aufwertung nicht ohne Reformen des AdR und damit auf Kosten des noch großen Einflusses der Mitgliedstaaten gehen kann, versteht sich von selbst und wäre damit eine Veränderung, die einen europäischen Bundesstaat (mit aufgewerteten Regionen und zurückgedrängten Nationalstaaten) ein Stück näher bringen würde.

Dieser Artikel erschien im neuen gedruckten Treffpunkt Europa, Mitgliedermagazin der JEF-Deutschland. Die aktuelle Ausgabe widmet sich der Krise und Zukunft Europas und ist auf der JEF-Webseite kostenlos erhältlich. Das Videovorwort zur Ausgabe findet sich hier.

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