Der Österreichische Föderalismus

, von  Marie Walter

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Der Österreichische Föderalismus

Ein halbes Jahrhundert nach der Unterschreibung des Romvertrags bleibt die Idee des europäischen Föderalismus umstritten. Durch die gegenwärtige Krise gewinnt die Frage über die Zukunft der EU neue Bedeutung: Sollte Europa weiter in Richtung der Integration gehen, um besser reagieren zu können, und eine mit den USA vergleichbare, aktionsfähige Föderation werden?

Der europäischen Union ist Föderalismus nicht fremd. Ganz im Gegenteil ist innerhalb ihrer Institutionen eine Vielfalt von politischen Systemen zusammen gebunden, darunter verschiedene Föderationsmodellen, die unterschiedlich wahrgenommen werden. Dieser Artikel stellt eine der wenig bekannten Föderalstaaten vor, der mehr für seine von Schnee und Edelweißen bedeckten Hochbergen berühmt ist: Österreich. Das Land wurde 1995 Mitglied der EU: Der Beitritt zur Union stand nach dem Untergang der UdSSR nicht mehr in Konflikt mit dem Verfassungsprinzip der Neutralität des Landes. So ist Österreich eine der parlamentarischen und föderalistischen Demokratien der europäischen Union geworden.

Woher kommt der österreichische Föderalismus?

Der Föderalstaat Österreichs wurde nach dem ersten Weltkrieg auf den Ruinen von Österreich-Ungarn aufgebaut. 1920 nahm die neue Republik eine föderale Verfassung an. Obwohl Österreich ein kleines Land mit einer ethnisch ziemlich homogenen Bevölkerung geworden war, ergab sich die Entscheidung für Föderalismus aus dem multikulturellen Charakter von Österreich-Ungarn, der die konstitutionelle Monarchische stark beeinflusst hatte.

Außerdem bildet Föderalismus einen politischen Kompromiss zwischen den zwei wichtigsten Parteien: Die Sozialdemokraten, die einen zentralisierten Staat befürworteten, und die konservativen Christdemokraten, die für eine starke Unabhängigkeit der Bundesländer standen. Dieser institutionelle Kompromiss wurde aber von einer hohen Instabilität gekennzeichnet: Schon im Jahre 1933 versank die österreichische Republik in Unruhen und 1938 wurde sie an Deutschland angeschlossen.

Österreichischer Föderalismus und Deutscher Föderalismus

Wien wurde von der roten Armee in April 1945 erobert. Genau wie Deutschland wurde Österreich in vier Besatzungszonen geteilt. Es wird aber mehr als befreites denn als besiegtes Land behandelt. Die Alliierten erkannten die im April 1945 von dem Sozialdemokrat Karl Renner begründete provisorische Regierungan. In Mai 1945 tritt die Verfassung der Österreichischen Republik in ihrer Version von 1929 wieder in Kraft– also in Form der Zeit vor den faschistischen Reformen. Das Parlament stimmt 1955 für die immerwährende Neutralität, als Gegenleistung erlangt Österreich seine Unabhängigkeit und Souveränität wieder. Diese zweite Chance für die föderale Demokratie wird dieses Mal zum Erfolg.

Der Ursprung der Verfassung ist eine der wichtigsten Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich: Das Verfassungs-Überleitungsgesetz von 1945 stellt die föderale demokratische Republik Österreichs der zwanziger Jahren wieder her. Damit wird die Ordnung von 1929 behalten, die die Exekutive sehr verstärkt hatte. So folgt das neue Regime Österreichs in seiner Kontinuität dem politischen System der Vorkriegszeit.

Im Gegensatz dazu zog man bei der Konzeption des deutschen Grundgesetzes Lehren aus dem dramatischen Scheitern der Weimarer Verfassung und gründete das deutsche politische System unter den Einfluss der Besatzungsmächte neu, wobei das Parteiensystem und die grundsächliche Freiheiten stark geschützt und Tendenzen zur Zentralisierung verhindert wurden. Der österreichische Föderalismus entwickelte sich also in Richtung von mehr Zentralismus, während der deutsche Föderalismus die Gegengewichte und die Verteilung der Macht weiter schützte.

Der österreichische Föderalismus: Eine „unitarische“ Föderation

Die österreichische Verfassung beschreibt eine demokratische föderale Republik des „unitarischen“ Typs, also ziemlich zentralisiert. Die neun Bundesländer sind unter der Autorität einer mächtigen Bundesexekutive versammelt. Der Bundespräsident wird durch direktes allgemeines Wahlrecht gewählt und ernennt den Bundeskanzler. Die Bundeslegislative ist ein Zweikammerparlament, wo der Nationalrat, der die Bevölkerung vertritt, viel mächtiger als der Bundesrat ist, der die Länder vertritt.

Die Länder besitzen auch kein eigenes Justizsystem und die Verwaltung der öffentlichen Politiken ist auch ziemlich zentralisiert: Die Länder können unabhängige Politiken nur in gewissen Bereiche führen, und zwar Gesundheit, Agrikultur und Einwanderung. Schließlich wird der größte Teil des Steuergelds in Wien verwaltet.

Das politische Leben in Österreich

Infolgedessen ist der österreichische Föderalismus im Vergleich mit dem deutschen ziemlich politisiert, denn das politische Leben ist wegen seiner Zentralisierung sichtbarer. Außerdem charakterisierte sich das politische Leben Österreichs durch das so genannte Proporz System, d.h. von sehr breiten Regierungskoalitionen, in der Ministerien proportional zu den Wahlergebnissen und nach ideologischen Kriterien verteilt wurden.

Die wichtigsten Parteien, die daran teilnahmen, waren die SPÖ (sozialdemokratisch) und die ÖVP (konservativ). Seit den neunzigen Jahren aber hat diese Praxis weitgehend abgenommen und wurde durch ihre Tendenz zu Nepotismus und durch die Kritiken des verstorbenen umstrittenen Politiker Jörg Haider stark diskreditiert.

Österreich bildet also einen sehr zentralisierten Föderalismus. Es ist deswegen unwahrscheinlich, dass dieses System ein für die Europäische Union geeignetes Modell wäre. Österreich wird obendrein in Europa nicht immer positiv wahrgenommen, da im Ausland dem populistischen und ausländerfeindlichen Rechtsextremen viel Gewicht zugemessen wird.

Vielleicht liegen die Gründe für diese Situation in der fehlenden Aufarbeitung der NS-Vergangenheit durch die Wiederaufnahme der Verfassung der Vorkriegszeit.

Bild : Karte von Österreich von Golbez, wikipedia

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