Zum ersten Mal verständigten sich die zwei Länder, um ihren Jugendlichen die gleiche Lesart der Geschichte zu ermöglichen.
Daher haben fünf deutsche und fünf französische Lehrkräfte zusammen – mit Hilfe der Verlage Nathan und Klett – dieses Buch erarbeitet, das in zwei Versionen, einer deutschen und einer französischen, erscheint.
Es entstand ein Buch mit 335 Seiten (26€), das für die Abschlussklassen gedacht ist und die Zeit zwischen 1945 und heute abdeckt (zwei ergänzende Geschichtsbücher werden für die unteren Schulklassen erarbeitet werden.)
Ein Projekt, das 2003 geboren wurde...
Im Januar 2003, anlässlich des 40. Jahrestages des Elyséevertrages, [1], ist das deutsch-französische Jugendparlament, in dem Schüler aus Deutschland und Frankreich vertreten sind, in Berlin zusammengetroffen. [2]
Aus diesem Treffen ging ein Vorschlag mit Nachdruck hervor: Die Schüler wollen ein gemeinsames Geschichtsbuch. Dieser Vorschlag wurde anschließend Jacques Chirac und Gerhard Schröder unterbreitet, die ihn unterstützen. Doch in Deutschland ist Bildung Länderkompetenz...Daher ließ Jean-Pierre Raffarin Repräsentanten der Regionen und Länder zusammenkommen, die den Ball aufgefangen haben und die Initiative weiterverfolgten.
Von der Idee zur Umsetzung:
Eine Expertenkommission wurde ernannt, um einen präzisen Pflichtenkatalog zu erstellen, der ermöglichten sollte, Angebote von den Verlagen einzuholen. Es sind der deutsche Verlag Klett und der französische Verlag Nathan, die nun das Geschichtsbuch herausgeben.
Die ersten, die davon profitieren konnten, waren die Franzosen, die das Geschichtsbuch seit Mai 2006 bestellen können. In Deutschland ist es seit Juli 2006 erhältlich, und der Bund hat – erstmalig – eine Empfehlung zur Verwendung dieses Lehrmittels an die Länder abgegeben.
Die Geschichte angesichts unterschiedlicher Interpretationen
Im Vergleich zu den üblichen Lehrbüchern in beiden Ländern, bietet dieses Buch den jungen Deutschen ein ausführlicheres Kapitel über die Entwicklung Frankreichs in diesem Zeitraum, ebenso wie genauere Informationen über die Dekolonialisierung. Auf der anderen Seite lernen die jungen Franzosen mehr über die Teilung Deutschlands, den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung.
Natürlich ging dies nicht immer ohne Schwierigkeiten über die Bühne. Zum ersten Mal wurde die Interpretation der Geschichte trotz unterschiedlicher kulturel bedingter Wahrnehmung zusammen erarbeitet. Beispielsweise wird der Dekolonialisierung in Deutschland und in Frankreich nicht dieselbe Bedeutung beigemessen. Man muss sich darüber klar sein, dass Deutschland seine Kolonien nach dem Ende des ersten Weltkrieges verloren hat, während Frankreich die Unabhängigkeit seiner Kolonien mit mehr oder weniger großer Erleichterung herannahen sah.
Die größte Meinungsverschiedenheit ist duch die unterschiedliche Wahrnehmung der Vereinigten Staaten und ihrer Rolle entstanden.
Der Wiederaufbau (West-)Deutschlands wurde durch die amerikanische Wirtschaftshilfe, die es politisch gegenüber der Sowietunion und der DDR - dem „anderen“ Deutschland - stablisieren sollte, vorangetrieben. Frankreich hingegen hat sicherlich auch von der logistischen Hilfe der USA profitiert, aber auch gegen die Vereinigten Staaten Widerstand geleistet, um seine Position auf der Weltbühne zu verteidigen. Dies geschah vor allem mit der Weigerung General de Gaulles, die Präsenz amerikanischer Truppen auf französischem Boden, sogar (oder vor allem) im Namen der NATO zuzulassen.
Ein Buch als Synthese der Stärken beider Seiten
Beide Seiten konnten somit von den Stärken der anderen profitieren. Die Franzosen mussten sich an den deutschen Wunsch anpassen, die Schüler auf die Arbeitswelt vorzubereiten, indem ihnen Fragen gestellt werden wie „wenn ihr diese wärt, hättet ihr...?“ [3]. Die Deutschen wiederum konnten von der Qualität der Graphiken profitieren. Zudem reicht das Geschichtsbuch bis in die Gegenwart, was bisher in Deutschland oftmals nicht der Fall war.
Die Entscheidung wurde zugunsten einer linguistischen Version getroffen, die die Grenzen respektiert. Aus praktischen wie auch aus technischen Gründen. Beispielsweise, ist „Strukturwandel“ auf Französisch nicht übersetzbar, da er ein umfassender Begriff ist, der erklärt, warum eine Gesellschaft sich aufgrund äußerer Umstände verändert. In Frankreich hingegen unterscheidet man die Globalisierung von anderen Veränderungen.
Insgesamt jedoch haben die entwickelten Ideen selbst eine relativ klassische und einvernehmliche Interpretation erhalten. Die europäische Konstruktion hat in dieser Hinsicht sicherlich viel dazu beigetragen. [4]
Ein Lehrbuch, das die Note eins mit Stern erhält
Im Endeffekt feiern wir, auch wenn nicht alles perfekt ist – wir bedauern, dass es keine französische Version des Buches für den naturwissenschaftlichen Zweig (STT) gibt – diese Initiative, die ein pädagogisches Werkzeug von sehr hoher Qualität hervorgebracht hat. Die Vorstellung beider Seiten des Rheins hat die Autoren dazu gezwungen, den Schülern ein Maximum an klaren Grundmustern bereitzustellen, indem sie aus den Vorstellungen, die aus den Gegebenheiten beider Länder hervorgehen, schöpften.
Eine große Leistung einer großen Initiative zweier Länder, die innerhalb von 150 Jahren dreimal Krieg untereinander geführt haben. Nun aber haben wir seit 60 Jahren Frieden und dieses Geschichtsbuch erinnert uns auf die bestmögliche Art und Weise daran.
Ein Lehrbuch, bei dem man die symbolische und kulturelle Bedeutung unterstreichen kann.
Dieses Werk wird dazu betragen, aus einem multilateralen Ansatz heraus und im Rahmen eines sich gestaltenden Europas, seinen Lesern und der Jugend die Vermittlung eines vielfältigen geschichtlichen Wissens beider Länder zu ermöglichen.
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