Deutscher Bundestag - Zwischen national und international

Teil 1/3 der Serie: Nationale Parlamente in der EU und die Zukunft der Mehrebenendemokratie.

, von  Linn Selle

Deutscher Bundestag - Zwischen national und international
Mit dem Vertrag von Lissabon hat der Deutsche Bundestag viele Möglichkeiten erhalten, die europäische Ebene zu beeinflussen. © Deutscher Bundestag/Marc-Steffen Unger

Mit der Krise sind auch nationale Parlamente im Zentrum europäischer Politikgestaltung angekommen. Ob zyprisches Parlament oder Deutscher Bundestag, spätestens mit den spektakulären Entscheidungen über die Euro-Rettungsschirme tritt die Macht der nationalen Parlamente offen zutage.

Warum wir nationale Parlamente brauchen?

Es gibt viele gute Argumente, warum nicht nur das Europäische Parlament (EP), sondern auch nationale Parlamente eine wichtige Rolle in der europäischen Integration spielen sollten. Da ist zunächst einmal die föderale Vorstellung, dass die niedrigeren Regierungsebenen an Entscheidungen der höheren Ebene mitwirken sollten, sei es als Kontrollinstanzen oder um möglichst viele Interessen einzubinden. Außerdem besteht das Prinzip der Subsidiarität, nach dem Entscheidungen auf einer möglichst niedrigen Ebene und somit nah am Bürger getroffen werden sollen. Die EU ist ein Mehrebenen-System, bei dem die Rückbindung der nationalen Abgeordneten an ihre Wählerinnen und Wähler nicht unerheblich zur demokratischen Legitimation der gesamten EU beiträgt, zumindest solange die Union nicht über ein vollkommen repräsentativ-demokratisches Regierungssystem verfügt.

Deparlamentarisierung vs. Reparlamentarisierung

Im Jahr 1992 beschrieb der Vertrag von Maastricht die Gründung der EU und eine „neue Stufe der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“, wie es dort heißt. Mit ihm wurden erstmals staatstragende Fragen auf EU-Ebene übertragen. Europäische Politik ist also immer weniger Außenpolitik – ein Bereich, in dem Volksvertretungen traditionell geringe Mitspracherechte haben. Vielmehr handelt es sich nun um „europäische Innenpolitik“. Daraufhin forderten auch die nationalen Parlamente eine stärkere Beteiligung an der EU-Politik, da diese die Interessen „ihrer“ Bürgerinnen und Bürger auf EU-Ebene vertreten wollten.

Die Forderung nach mehr Beteiligung der nationalen Parlamente fand ebenfalls angesichts einer Diskussion über die „Deparlamentarisierung“ der EU statt. Denn gerade seit Maastricht wurden den Parlamenten viele Kompetenzen entzogen und auf die europäische Ebene übertragen. Sie haben legislative Zuständigkeiten verloren, die das EP allerdings nicht immer vollständig übernommen hat. Stattdessen wurde meist die Exekutive – also die Kommission und der Ministerrat – gestärkt. Mehr EU, aber weniger Parlamentarismus also.

Doch wie können sich nationale Parlamente an der europäischen Rechtsetzung beteiligen? Zunächst einmal ist Wissen, Macht und Informationen über das, was in Brüssel passiert auch für nationale Parlamente essentiell. Mit dem Vertrag von Lissabon haben sie erstmals das Recht bekommen, alle offiziellen Dokumente und Zwischenberichte der EU-Institutionen direkt zugeleitet zu bekommen. Der Bundestag muss von der Bundesregierung zusätzlich frühestmöglich über geplante nationale Initiativen und Positionen informiert werden. Er hat somit eine relativ starke Stellung im Vergleich zu anderen europäischen Parlamenten. Außerdem unterhält der Bundestag seit einigen Jahren ein Verbindungsbüro in Brüssel, das die Parlamentarier frühzeitig und unabhängig von der Bundesregierung und den EU-Institutionen über Entwicklungen vor Ort informieren soll. Der Bundestag agierte jedoch lange Zeit zurückhaltend in der Einforderung seiner Rechte. So war es oftmals das Bundesverfassungsgericht, das in seinen Urteilen eine stärkere parlamentarische Beteiligung einforderte.

Vornehmlich eine kontrollierende Funktion

Diese Informationen helfen den Parlamenten in einem zweiten Schritt, ihre eigene Regierung effektiv zu kontrollieren und somit gegebenenfalls die Verhandlungen im Ministerrat zu beeinflussen. Der Bundestag kann zum Beispiel eine Stellungnahme verabschieden, die dann die Regierung in den Ratsverhandlungen bindet. Aufgrund der engen Verknüpfung zwischen Bundestagsmehrheit und Regierung kommt dies aber nur selten vor.

Außerdem können die nationalen Parlamente auch die europäische Regierungsebene in gewissem Maße kontrollieren: Das mit dem Lissaboner Vertrag eingeführte Verfahren der Subsidiaritätsrüge ermöglicht es ihnen, eine Verletzung nationaler Kompetenzen anzuzeigen und vor dem Europäischen Gerichtshof einzuklagen. Eine Kompetenz, die allerdings nicht intensiv genutzt wird, auch wegen der noch zu geringen Vernetzung zwischen den Parlamenten.

Diese formellen Regeln beleuchten auch den Rahmen der Mitwirkung nationaler Parlamente: Ihnen wird vor allem eine kontrollierende Rolle zuteil, sowohl gegenüber der eigenen Regierung als auch gegenüber den EU-Institutionen. Das ist nicht allen nationalen Abgeordneten genug, weswegen einige Parlamentarier zunehmend versuchen, die gesammelten Informationen zu nutzen, um europäische Politik durch gezielte Einflussnahme mitzugestalten. Dies geschieht zum Beispiel durch direkten Austausch mit den KollegInnen im EP oder in den Mitgliedstaaten, um europäische Gesetzgebung zu beeinflussen, anstatt „nur“ kontrollierend tätig zu sein.

Die Zukunft - ein europäischer Mehrebenenparlamentarismus?

Lange wurden die Beziehungen zwischen Europäischem Parlament und nationalen Parlamenten als Konkurrenzbeziehung und nicht als Möglichkeit der Kooperation angesehen. Während die nationalen Volksvertretungen als Hort innerstaatlicher Interessen belächelt wurden, betrachteten viele nationale Abgeordnete das EP als Konkurrent bei der Gesetzgebung.

Dabei bedingen sich beide Ebenen: Demokratie lebt von unterschiedlichen Meinungen und dem Austausch zwischen verschiedenen Regierungsebenen. Nationale Parlamentarier kennen oft besser die Meinungen der Bürgerinnen und Bürger, was dem EP im Sinne eines Informationsaustausches und der Politikvermittlung vor Ort nützt. Der Einfluss des Europäischen Parlaments kann wiederum helfen, einer Re-Nationalisierung innerstaatlicher Diskurse vorzubeugen. Insofern ist das Spannungsfeld zwischen Konkurrenz und Kooperation nicht mehr zeitgemäß, denn beide Ebenen zielen auf eine Parlamentarisierung der EU und die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Raumes ab – was keiner für sich allein erreichen kann.

Gerade heute ist die parlamentarische Kooperation zwar formell stärker, gleichzeitig aber auch gefährdeter denn je: Die Staatsschuldenkrise fördere einen europäischen „Exekutivföderalismus“, wie ihn der Philosoph Jürgen Habermas nennt. Er schleiche sich über den Europäischen Rat in den Politikprozess ein und hebele die klassische – „ordentliche“ – Gesetzgebung zunehmend aus. Gerade vor diesem Hintergrund müssen sich die Parlamente stärker vernetzen, um ihre Interessen auch weiterhin effektiv in der EU vertreten zu können. In diesem Sinne stellte der SPD-Europapolitiker Michael Roth bei einer Konferenz fest: „Wir brauchen ein Europa der Parlamente gegen die europäische Exekutivdominanz“.

Beide Ebenen haben unterschiedliche Stärken: Während das EP die eigentliche Entscheidungsinstanz europäischer Politik ist, können nationale Parlamente frühzeitig ihre Positionen einbringen. Zudem kontrollieren sie ihre Regierungen durch direkte Informationen aus Brüssel und vermitteln die europäischen Politikergebnisse in ihren Wahlkreisen. Für das Ziel eines gemeinsamen europäischen Diskursraumes müssen die Parlamente deshalb zusammenarbeiten und ihre Rechte auf nationaler wie europäischer Ebene einfordern.

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