Wirtschaft

Die EU auf dem Weg zu einer koordinierten Wirtschaftssteuerung?

Für eine neue Rolle der Europäischen Zentralbank

, von  Übersetzt von Adeline Otto, Übersetzt von Hanna Gieffers, Sophie Gérardin

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Die EU auf dem Weg zu einer koordinierten Wirtschaftssteuerung?

Am 21. November 2005 sprach Pierre Nanterme, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des französischen Arbeitgeberverbandes MEDEF, seine Besorgnis hinsichtlich der angespannten wirtschaftlichen Lage Europas in den letzten Monaten aus. Schuld an dieser Situation sind für ihn zum einen die mangelhafte Koordination der Wirtschaftspolitiken der einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) und zum anderen die Misswirtschaft hinsichtlich des Euros.

Während die Stimmen der Föderalismus-Befürworter in der Union für eine richtige EU-Kompetenz im Bereich der Wirtschaft (gouvernement économique) statt einer simplen Wirtschaftskoordination und –steuerung (gouvernance économique) immer lauter werden, stellt sich die Frage, womit Europa seine Zukunft und seinen Einflussbereich besser sichern kann.

Die MEDEF, die einflussreichste Arbeitgeberorganisation Frankreichs, sorgt sich um die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) und macht dies auch deutlich: „Wir haben durch den Zinssatzes eine gewisse Kontrolle über die Währung, womit sich die Inflation zügeln lässt. Aber die Inflation ist quasi bewältigt; es gibt keine Inflationstendenzen in Europa“, erklärte Pierre Nanterme. [1] Auch Laurence Parisot, Vorsitzende der MEDEF, geht in diese Richtung. Sie hätte Probleme, den kontinuierlichen Anstieg des Zinssatzes in der Euro-Zone zu verstehen. [2]

Ähnliches hört man auch von Seiten des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), der von der EZB fordert, nicht der Inflationspolitik verschrieben zu bleiben. Das Hauptaugenmerk müsse sich auf das Wirtschaftswachstum richten: „Mit stabilen Reallöhnen sollte die EZB einfach den plötzlichen Anstieg des Benzinpreises vorbei ziehen lassen. Nach fünf Jahren Konjunkturschwäche, könnte sich Europa kein weiteres Jahr mit schwachem Wirtschaftswachstum leisten“, erklärt John Monks, Generalsekretär des EGB.

Eine beunruhigende Wirtschaftslage

Ein schwaches Wirtschaftswachstum der französischen wie auch der europäischen Wirtschaft insgesamt, eine Arbeitslosenquote von ca. 9%, Produktivitätsdefizite,…Die wirtschaftliche Lage der EU bleibt beunruhigend. Und wessen Schuld ist es? Laut MEDEF und EGB sind für diese Situation die EZB und vielmehr noch die fehlende Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene verantwortlich. Aber was ist dran an dieser Behauptung?

Momentan entscheidet jeder Mitgliedsstaat eigenverantwortlich über seine Haushaltspolitik. Die Erarbeitung des Haushalts richtet sich wenig nach dessen Auswirkungen auf andere Länder der Union. Es muss nur der Wachstums- und Stabilitätspakt von 1997 respektiert und eingehalten werden. Ziel ist es, ein Haushaltdefizit von mehr als 3% des BIP zu vermeiden und die Konvergenz der einzelnen Wirtschaftspolitiken zu fördern. Hierzu überwacht die Europäische Kommission die öffentlichen Ausgaben. Nach der Einschätzung durch die Kommission hat der Ministerrat der EU dann die Möglichkeit, den Mitgliedsstaaten Richtlinien vorzugeben beziehungsweise Sanktionen zu verhängen.

Die EZB dagegen ist ein unabhängiges Organ, welches den Umlauf der Geldstücke und Scheinen kontrolliert und den Leitzinssatz festsetzt. Nach der Einschätzung von EcoFin, der Wirtschafts- und Finanzrat innerhalb des europäischen Ministerrates, ist dieser Leitzins entscheidend für die Orientierung der Geldwechselpolitik.

Schwächen der aktuellen Wirtschaftssteuerung

Die „Grundzüge der Wirtschaftspolitik“ (Broad economic policy guidelines, BEPG) sind eines der Koordinationsinstrumente der verschiedenen Wirtschaftspolitiken, die von allen Mitgliedsstaaten respektiert werden müssen. Die Informationen über diese Grundzüge und über die verschiedenen wirtschaftlichen Maßnahmen, welche auf nationaler Ebene unternommen werden, zirkulieren zwischen den Ländern und Gemeinschaftsorganen sowie zwischen den Ländern untereinander. Ziel ist hierbei eine bessere Koordination der Wirtschaftspolitiken sicher zu stellen. Eine gewisse Abstimmung hinsichtlich der Wirtschaftspolitiken, des Stabilitätspaktes, der Lohnentwicklung und der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit existiert also.

Man spricht in diesem Falle von einer koordinierten Wirtschaftssteuerung, einer „gouvernance économique“. Diese fällt weiterhin in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Der Begriff schließt die Zusammenarbeit der verschiedenen europäischen und institutionellen Akteure untereinander und miteinander ein. Aber er hat auch seine Grenzen. Anders als „gouvernement économique“, schließt „gouvernance économique“ jede gemeinschaftliche, europäische Haushaltspolitik und damit jede Wirtschaftsintegration dieser Art aus. Außerdem bleiben die wirtschaftlichen Situationen der verschiedenen Länder sehr unterschiedlich. Die Erweiterung der EU um die ehemaligen Ostblockstaaten im Jahre 2004 sowie um die Länder Bulgarien und Rumänien hat diese Unterschiede nur vergrößert.

Dieses aktuelle Ungleichgewicht zwischen, einerseits den Mitgliedsstaaten, die ihre Haushaltspolitiken souverän und fast unabhängig definieren, und andererseits der EZB bleibt also bestehen. Der Ausdruck „gouvernance“ ist in diesem Falle sicherlich politisch weniger kräftig als „gouvernement“. Aber bedarf es nicht der notwendigen Entwicklung in Richtung der eines wirtschaftlichen „gouvernement“ der EU?

Was brächte die Europäische Verfassung?

Bis heute gibt es kein Gemeinschaftsorgan, welches mit der Wirtschaftspolitik betraut ist. In seinem letzten Buch „Les Etats-Unis d’Europe“ (Die Vereinten Nationen von Europa) schlägt der belgische Premierminister Guy Verhofstadt die Einrichtung einer Eurogruppe vor. Diese würde durch einige Länder der EU geleitet werden, die bereit wären, den Ausbau der EU in Richtung einer politischen und wirtschaftlichen Union voran zu treiben. Dies wäre zumindest ein möglicher Weg zur Etablierung eines „gouvernement économique“.

Auch der europäische Verfassungvertrag liefert einiges an Lösungsvorschlägen: Erstens wäre dort die Stärkung der Machtbefugnis der Kommission im Bereich der Koordination der unterschiedlichen Wirtschaftspolitiken sowie im Bereich der Haushaltskontrolle. Zweitens sieht er einen Ausbau des Zuständigkeitsbereiches des Ministerrates und des EcoFin vor. Dies würde diesen Institutionen eine politische Rolle und eine einheitliche Wirkung nach Außen garantieren.

Das Vorschlagsrecht der Kommission sollte in der Tat gestärkt werden. Das Europäische Parlament, welches einen sehr beschränkten Einfluss hat, sollte mehr zu den einzelnen Vorschlägen konsultiert werden. Der Ministerrat müsste die Entscheidungskompetenz im Bereich der Wirtschaftspolitik bekommen. All dies würde letztendlich eine wirkliche „gouvernement économique“ ausmachen.

Schließlich müsste der Wachstums- und Stabilitätspakt gelockert werden, um somit besser auf die Konjunkturschwankungen, die Wachstumsrate und die Vielfalt der nationalen Ökonomien eingehen zu können. Die EZB hingegen sollte in ihrem Handeln auch das Wirtschaftswachstum und das Beschäftigungsniveau mit einbeziehen. Eine einheitliche Wirtschaftspolitik ergäbe sich aber auch durch eine stärkere Zusammenarbeit zwischen dem Instrument der „Grundzügen der Wirtschaftspolitik“, dem Wachstums- und Stabilitätspakt und der Ausarbeitung der nationalen Haushalte. Die Gemeinschaftspolitiken könnten sich dann sowohl im Bereich der Forschung, der Unternehmensgründung wie auch der Finanzdienstleistungen etablieren…

Ein hohes und nachhaltiges Wachstum, ein konkurrenzfähiges Europa, ein einheitliches Auftreten auf dem internationalem Parkett, … eine Utopie? Nein. Es wäre ein geeintes Europa, nahe an den realen Verhältnissen. Bleibt nur die Frage, ob die einzelnen Staaten.

- Illustration : Euro aus wikipedia.

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Anmerkungen

[1Le Monde, 23. November 2006

[2L’Expansion, 17. Oktober, 2006

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