Die Quadratur des Kreises

Nachhaltigkeit in der Energie- und Umweltpolitik

, von  Dr. Holger Meyer

Die Quadratur des Kreises

Die Erfindung der Nachhaltigkeit ist ein Produkt der Krise. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Erstmals wurde der Begriff der Nachhaltigkeit im Jahre 1713 von Hans Carl von Carlowitz geprägt, der damit ein waldbauliches Nutzungskonzept begründete. Konfrontiert mit rapide zur Neige gehenden Holzreserven für den Silberbergbau im Erzgebirge sollten nur so viele Bäume geschlagen werden, wie in der Region im selben Zeitraum wieder nachwuchsen.

Konrad Ott, Mitglied des Sachverständigenrates für Umweltfragen hat dieses Prinzip in eine abstrakte und damit allgemeingültige Formulierung übersetzt: Regenerierbare lebende Ressourcen sollen nur in dem Maße genutzt werden, wie Bestände natürlich nachwachsen. Die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des Deutschen Bundestages hat diesem ökologischen Kernsatz weitere Grundsätze hinzugefügt. Demnach sollen endliche Rohstoffquellen nur so stark genutzt werden, wie sie funktional und stofflich durch erneuerbare ersetzt werden können. Gleichzeitig sollen die dabei entstehenden Umweltbelastungen auf natürlichem Wege abbaubar sein.

Erst mit der Konferenz für „Umwelt und Entwicklung“ der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro ist aus dem ökologischen Kernbereich der Nachhaltigkeitsidee eine Prinzipien-Trias erwachsen. Die ökologische, ökonomische und soziale Dimension stehen in diesem Leitbild gleichberechtigt nebeneinander. Umweltpolitik wurde zur Nachhaltigkeits- und Entwicklungspolitik. Nicht nur Natur und Umwelt sollen für nachfolgende Generationen erhalten werden. Es soll auch ein globales Wirtschaftssystem etabliert werden, das eine dauerhafte tragfähige Grundlage für Wohlstand bietet, sozialen Ausgleich ermöglicht und alle Menschen an der gesellschaftlichen Entwicklung teilhaben lässt.

Die großen umweltpolitischen Erfolge in Europa sind letztendlich darauf zurückzuführen, dass häufig eine gesellschaftlich wahrnehmbare Umweltproblemlage bestand, für deren Lösung ein selektiver medienbezogener Ansatz ausreichte. Zudem gab es oftmals technische Alternativen, die mit vergleichsweise geringen volkswirtschaftlichen Umsetzungskosten einhergingen. Als Beispiele für diese Problemlösungsmuster seien hier nur der Bau von Abwasserbehandlungsanlagen, der Einbau von Abgasreinigungsfiltern oder die Substitution bleihaltiger Kraftstoffe angeführt. In allen diesen Fällen war die bereits 1973 gegründete Generaldirektion für Umwelt und Verbraucherschutz bei der Europäischen Kommission ein wichtiger Schrittmacher.

Die drängenden und noch immer ungelösten Umweltprobleme der Gegenwart sind jedoch anderer Natur. Es sind nicht mehr die plakativ darstell- und abgrenzbaren, engräumigen und mit technischen Mitteln leicht lösbaren Problemlagen, sondern vielmehr diffuse schleichende Umweltzerstörungsprozesse von globalem Ausmaß. Auch hierfür lassen sich leicht Beispiele wie der rasch voranschreitende Biodiversitätsverlust, der weiterhin ungebremste Flächenverbrauch und der sich beschleunigende Klimawandel anführen. Potentielle Lösungen hierfür können nicht mehr durch konventionelle und additive Umweltpolitikinstrumente hervorgebracht werden, sondern müssen zwangsläufig auf die Grundlagen westlicher Industriestaaten und der dort vorherrschenden Lebensstile einwirken.

In der Europäischen Union wird diese neue Sachlage spätestens seit der Jahrtausendwende eingehend thematisiert. Folgerichtig wurde 2001 beim Gipfeltreffen der Regierungschefs in Göteborg eine ehrgeizige Strategie für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Konkrete Maßnahmen blieben aber weitgehend aus, sodass die erste Ernüchterung bereits zur Halbzeitbilanz 2005 eintrat. Dominierende Negativtrends in den Bereichen Klimawandel, Armut und soziale Ausgrenzung, Nutzung der natürlichen Ressourcen und der Artenvielfalt setzen sich ungebremst fort. Verschärft durch die einseitigen Zielsetzungen der Lissabonstrategie bei Wachstum, Wettbewerb und Beschäftigung wird deutlich, dass das gemeinschaftliche Konzept zur nachhaltigen Entwicklung vielfach noch nicht die strategische Planungsphase verlassen hat oder gar handlungsleitend für die Union und ihre Mitgliedstaaten geworden ist.

Nicht nur in der Umwelt- sondern auch in der Energiepolitik wird deutlich, dass sich bisher die ökologischen, ökonomischen und sozialen Belange keineswegs gleichgewichtig zueinander verhalten haben. Auch zukünftig ist dieses nicht zu erwarten, da wirtschaftliche Fragestellungen von je her das Feld der Energiepolitik massiv dominieren. Mit den historisch gewachsenen Gebietsmonopolen der sieben größten europäischen Energieversorgungsunternehmen existiert eine Marktmacht, die bisher durch die Liberalisierungsbestrebungen der EU nur unzureichend aufgebrochen werden konnte.

Die leitungsgebundenen Energieversorgungsstrukturen sind noch immer auf wenige, zumeist nicht nachhaltige zentrale Großkraftwerke ausgelegt. Erneuerbare Energien, die durch Wind- und Wasserkraft, Sonneneinstrahlung und die Verbrennung von Biomasse erzeugt werden, gewannen erst durch zwangsverordnete Einspeiseregelungen in das bestehende Stromnetz an Bedeutung. Die Europäische Union verfolgt hierbei das Ziel, den Anteil der erneuerbaren Energien von 8,5% im Jahr 2005 auf 20% im Jahr 2020 zu steigern.

Um diese Ziel zu erreichen und gleichzeitig fairen Wettbewerb im Strommarkt zuzulassen, beabsichtigt die Europäische Kommission, die Marktmacht der Energiekartelle durch die wirtschaftliche Trennung von Erzeugung und Vertrieb leitungsgebundener Energien aufzubrechen. Ferner gilt es, das vorhandene Stromnetz für neue dezentrale Strukturen auszulegen und somit dem Netz die Funktion eines europaweiten Stromspeichermediums zuzuweisen.

Während also ökonomische und ökologische Probleme der Energiepolitik bereits Lösungsansätze erkennen lassen, ist die soziale Frage des Zugangs und der Nutzung von Energie im internationalen Kontext weitgehend ungelöst. Bereits heute spüren die westlichen Industrienationen täglich an den Energiepreisen, was es bedeutet, wenn Länder wie China oder Indien den nicht nachhaltigen Lebensstilen und Konsummustern des Westens folgen. Allein im Zeitraum von 1980 bis 2004 ist der Weltenergieverbrauch um 58,5% auf 10.224 Mio. Tonnen Rohöläquivalente angestiegen. Da dieser Anstieg insbesondere auf die immer größeren Mengen eingesetzter fossiler Energieträger zurückzuführen ist, ist eine sehr enge Konnexität zwischen dem weltweiten Energieverbrauch und dem voranschreitenden Klimawandel gegeben.

Nachhaltige Energiepolitik wird damit auf internationaler Ebene vordringlich zur Wirtschafts- und Entwicklungspolitik für die Länder der südlichen Hemisphäre. Nur wenn es gelingt, den Teufelskreis aus Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch in der OECD-Welt aufzubrechen, kann damit eine Vorbildfunktion für die sich entwickelnden Länder ausgelöst werden. Gelingt dieses nicht, so werden die Industrieländer immer stärker dem Vorwurf der Heuchelei und des Ökoimperialismus ausgesetzt sein. Angesichts der damit einhergehenden globalen Umweltfolgen und Migrationsbewegungen scheint dieses dann aber nur das geringere Übel zu sein.

Abbildung und Ursprung : Treffpunkt.Europa, januar 2008.

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