Europa in ... Deutschland

Das europäische möchtenicht Vorbild

, von  Aurélien Caron

Europa in ... Deutschland
Deutschland - das Zugpferd Europas? Quelle: Audiovisuelle Dienste der Kommission

Starke Traditionen, zahlreiche Dialekte und ein dezentrales politisches System zeichnen Deutschland aus. Eine Kultur des Kompromisses machen Deutschland zum Vorbild für Europa, doch das will partout nicht führen.

Föderale Tradition Deutschlands

„Zusammen feiern im Freistaat Bayern“ war das Motto des Tags der Deutschen Einheit 2012 in München. Dieses Motto war eine Überraschung für mich, da ich aus einem zentralisierten Staat, nämlich Frankreich, komme. Deutschland ist eine Bundesrepublik und die starken Unterschiede zwischen den Regionen, Dialekten und Traditionen sind für mich immer wieder spannend. Die lokale Identität ist für die Deutschen sehr wichtig, viel mehr als für die Franzosen. Meine Freunde sind zuerst Münchner, Schwaben oder Berliner und die deutsche Identität steht in zweiter Reihe. Ich fühle mich persönlich zuerst als Franzose und viel weniger als Picard (die Region, aus der ich komme). Hier spricht die Geschichte.

Deutschland hat eine „Kultur des Kompromisses“. Man kann es gut sehen, in den Persönlichkeiten der Bundeskanzler. Sie sind meistens ausgezeichnete und geschickte Politiker und nutzen subtile Methoden. In Deutschland kann und darf der Kanzler nicht so charismatisch sein. Anders hat Frankreich eine „Kultur des Chefs“; die Franzosen brauchen eine Führungsperson, mit der sie sich identifizieren können. Deshalb hat Francois Hollande im Moment so viele Schwierigkeiten mit seinem Regierungsstil: ein Stil, der mehr deutsch als französisch ist.

Deutsche Minimal-Europapolitik ist kontraproduktiv

Diese Aspekte erklären auch die aktuelle deutsche Europapolitik: Deutschland will Europa nicht leiten. Die ganze Strategie besteht darin, Grenzen aufzuzeigen, aber leider enthält sie kein großes Projekt für die Zukunft Europas. Das beste Beispiel ist Griechenland und die europäische Solidaritätspolitik. Deutschland hat klar gemacht, wo die Grenzen liegen: keine finanzielle Unterstützung ohne starke strukturelle Reformen, keine Eurobonds ohne Steuerdisziplin für die Partner. Diese „Minimalpolitik“ ist auch nicht gut für den deutschen Ruf in der Europäischen Union und daher gefährlich. Die Leute, speziell in Südeuropa, betrachten Deutschland mehr und mehr als ein geiziges Land, das keine Solidarität kennt. Diese Leute vergessen, dass Deutschland viel für den gemeinsamen europäischen Haushalt gibt und sehr wenig zurückerhält.

Deswegen kann sich Deutschland keine minimale europäische Politik leisten, weil Europa mehr als ein Limit braucht. Europa braucht ein politisches Projekt für die Zukunft und Frau Merkel weiß das. Im Moment ist Deutschland der einzige Staat, der in der Lage ist, ehrgeizige Lösungen für die europäische politische Integration vorzuschlagen und eine Führungsgestalt auf dem noch langen föderalistischen Weg zu sein.

Das Vorbild

Erstens hat Deutschland eine Dezentralisierungserfahrung und eine effiziente Aufteilung der Kompetenzen zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund. Viele Europäer, und speziell die Franzosen, sehen eine Vertiefung der europäischen Integration (und besonders die politische Integration) als Gefahr für die nationale Souveränität. Deutschland ist ein Beispiel, dass eine föderalistische Regierung keine Gefahr für die Länder darstellen muss. Im Gegenteil: Diese Regierung ermöglicht eine Koordination, die notwendig ist, um mehr gemeinsam zu erreichen.

Zweitens schafft Deutschland einen guten Kompromiss zwischen einer zentralisierten Wirtschaft, wie in Frankreich oder Italien, wo die Regierung sehr präsent ist, und Großbritannien, wo der Liberalismus vertreten ist. Diese soziale Marktwirtschaft kann sehr konkurrenzfähig und innovativ sein.

Dies heißt nicht, dass alle Mitgliedsstaaten der EU das ökonomische Modell Deutschlands kopieren sollen, aber die zukünftige Wirtschaftspolitik der föderalistischen Regierungen Europas könnte diesem Beispiel folgen. Außerdem hat die Bundesrepublik eine sehr große Erfahrung mit der Solidaritätspolitik und ohne dieses Solidaritätsprinzip wird Europa nie eine Föderation werden. Nach der deutschen Wiedervereinigung und auch noch heute haben die westlichen deutschen Regionen viel bezahlt, um die östlichen Regionen zu unterstützen. In den 1990er Jahren war Deutschland Europas „kranker Mann“. Niemand hätte geglaubt, dass die deutsche Wirtschaft nach der Wiedervereinigung die stärkste in Europa werden würde. Trotz dieser Solidaritätsbemühungen ist Deutschland heute die erste Industriemacht in Europa.

Drittens ist Deutschland ein großer Migrationsstaat und begrüßt jedes Jahr immer mehr Leute aus anderen Mitgliedstaaten. Die Deutschen lernen gerne andere Sprachen und sind extrem mobil in der ganzen Europäischen Union. Die Mobilitäts-, Migrations- und Integrationspolitik sind wichtig für die Zukunft der Union, weil sie in Zukunft auf europäischer Ebene beschlossen werden müssen. Auch hier könnte Deutschland als ein Beispiel herangezogen werden.

Europa braucht ein mutiges Deutschland

Die EU braucht im Moment schnelle und mutige politische Reformen, um Schritt für Schritt eine Föderation zu werden und die Krise effizienter zu bekämpfen. Das europäische Parlament und die europäische Kommission sind leider zu schwach, um diese Reformen zu schaffen. Der Aufschwung muss aus den Mitgliedstaaten kommen und speziell aus Deutschland. Europa ist wie ein Fußballteam, mit einem 0:2 Rückstand zur Halbzeit. Die erfahrenen Spieler müssen den Umschwung einleiten. Die deutsche Regierung muss nach dem kommenden Wahlkampf die europäische Minimalpolitik verlassen und ein ehrgeiziges Reformprojekt für die EU vorschlagen. Dieses aktive Verhalten würde zwar gegen die Kultur des Kompromisses verstoßen, würde aber auf jeden Fall den deutschen Ruf in Europa verbessern und der europäischen Bevölkerung ein Projekt und eine Perspektive bieten.

Um die Krise zu überwinden und politische Änderungen durchzusetzen, braucht die Europäische Union eine effiziente und positive Leitung. Deutschland muss diese Rolle übernehmen bis die europäischen Institutionen stark genug sind, um die europäische Föderation zu lenken. Wenn nicht, wird die ganze europäische Mannschaft verlieren.

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