Die ungarische Osterverfassung ist antidemokratisch

Die fragwürdige Präambel und Kardinalsgesetze unterlaufen europäische Werte

, von  Lars Becker

Die ungarische Osterverfassung ist antidemokratisch
Ungarns Präsident Viktor Orban führte eine antidemokratische Verfassung ein PHOTO © European Union

Christentum, Stephanskrone und die Größe der Nation

Der Ostermontag ist als symbolisches Datum treffend gewählt – angesichts der Inhalte der neuen Verfassung und insbesondere ihrer Präambel. Der erste Satz lautet „Gott segne den Ungarn“. Was folgt ist eine Präambel, die den Titel „Nationales Glaubensbekenntnis“ trägt und auf bald zwei Seiten ein klares Bekenntnis zum Christentum und zur „Heiligen Ungarischen Krone“ ablegt und die Größe der ungarischen Nation betont.

Mir wird dabei unbehaglich, da ich der Auffassung bin, dass religiöse Überzeugungen zu schützen sind, sich aber ansonsten eine Verfassung möglichst zur gebotenen Trennung von Staat und Kirche bekennen sollte. Mir wird dabei unbehaglich, weil ich glaube, dass Bekenntnisse zur Größe einer Nation nicht nur nicht notwendig sind, sondern oftmals einen Geist beschwören, den wir nicht beschwören sollten. Und mir wird dabei unbehaglich, weil mit dem Bekenntnis zur Stephanskrone ein monarchischer Bezug herstellt wird, der einem demokratischen Staat und einer Verfassung, die nach dem Jahre 2000 verabschiedet wurde, einfach nicht würdig ist.

Die „Auferstehungssymbolik“, die Fidesz beschwören will vergrößert mein Unbehagen, zumal die Verfassung vorschreibt, dass die Präambel bei jeder Auslegung als maßgebliche Grundlage herangezogen werden muss.

Politische Vorherrschaft mittels Verfassungsänderung

Allerdings: trotz meines Unbehagens sehe ich ein, dass man hierüber treffend streiten kann und das es Fidesz’ gutes Recht ist, derartige religiöse, monarchische und nationale Bekenntnisse in die Verfassung aufzunehmen. Es ist zwar schlechter Stil wenn eine solche Änderung in einem Einparteien-Alleingang vorgenommen wird und der Diskussion und Beratung einer gänzlich neuen Verfassung lediglich fünf Wochen eingeräumt werden. Es bleibt in vielerlei Hinsicht besorgniserregend und kritikwürdig, ist aber letztlich hinzunehmen, mit der Hoffnung, dass Kritik verfängt und das dieser Verfassungsatavismus irgendwann von einer vernünftigeren Parlamentsmehrheit wieder korrigiert wird. Einen grundsätzlichen Angriff auf europäische Werte vermag ich darin nicht zu erkennen.

Nicht hinzunehmen ist es allerdings, wenn in dieser Verfassung demokratische Rechte auf bedenkliche Art und Weise beschnitten werden und eine Verfassungsänderung dazu genutzt wird, sich auf lange Zeit mittels rechtlicher Kniffe die politische Vorherrschaft in vielen Politikfeldern zu sichern.

Die Osterverfassung sieht eine Reihe von Politikfeldern vor, die mittels Kardinalgesetzen (in der deutschen Übersetzung des Entwurfs als Schwerpunktgesetze bezeichnet) geregelt werden sollen. Diese Gesetze bedürfen, wie eine Verfassungsänderung, einer Zweidrittelmehrheit. So sollen zum Beispiel Militärdienst, Gesetze zu Polizei, Sicherheits- und Geheimdiensten, die Rechtsstellung der Kirchen, der Schutz der Familie, Regelungen zum Ausnahmezustand, zu Steuern und Rentenfragen oder zur Kommunalverwaltung, ebenso wie zur Gerichtsbarkeit oder dem Wahlrecht mittels Kardinalgesetz geregelt werden.

Das Gleiche gilt übrigens auch für Pressefreiheit und Medienaufsicht, welche die amtierende Fidesz-Regierung unlängst mit einem hochgradig fragwürdigem Gesetz neu geregelt hat.

Man braucht kein Orakel um zu erahnen was kommen wird: Fidesz wird in den kommenden Monaten zu all diesen Politikfeldern Gesetze machen, die dann nur noch mit Zweidrittelmehrheit geändert werden können. Aufgrund des politischen Systems in Ungarn ist auf absehbare Zeit nicht damit zu rechnen, dass eine andere Partei nach Fidesz eine solche Supermajorität erzielen können wird (Fidesz hat im übrigen zwar eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, vereint aber nur knapp mehr als 50% der Wählerstimmen auf sich). Damit werden zukünftige Regierungen kaum noch Gestaltungsspielräume in zentralen Politikfeldern haben, selbst wenn sie eine Mehrheit bei den kommenden Wahlen erlangen sollten.

Auch das Verfassungsgericht wird beschnitten

Doch damit noch nicht genug: die neue Verfassung beschneidet die Rechte des Verfassungsgerichts, verhindert, dass Bürger oder Kommunen dort Klage einreichen können und erhöht die Zahl der Verfassungsrichter und senkt gleichzeitig deren Pensionsalter (ein glücklicher Umstand, wenn in der Legislatur noch ein bisschen Personalpolitik betrieben werden soll)...

Weiterhin wird es einen dreiköpfigen Haushaltsrat geben, der gegen den Haushalt einer amtierenden Regierungsmehrheit ihr Veto einlegen kann. Die Details dazu regelt ebenfalls ein Kardinalgesetz.

Was wir in Ungarn und somit mitten in der Europäischen Union erleben, ist nicht irgendein missliebiger Gesetzgebungsakt, sondern ein Angriff auf europäische Werte und Grundrechte! Wenn Wahlen nur noch in marginalem Umfang über politische Gestaltungsspielräume entscheiden sollen, dann kann man diese Verfassung zu Recht als ein Angriff auf die Demokratie verstehen. Ihrem Geiste nach ist diese Verfassung nicht nur autoritär, wie viele kritisieren, sondern antidemokratisch!

Es wäre ein peinliches Systemversagen, wenn die EU keine Interventionsmöglichkeiten finden würde und tatenlos zuschaut, wie ein derartiger Geist sich verbreitet. Diese Osterverfassung ist Anlass genug, ein Verfahren nach Artikel 7 EU-Vertrag anzustreben und zu sehen, ob dieser Passus mehr als ein Lippenbekenntnis darstellt.

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