An Europas Binnengrenzen sollen bald wieder Grenzkontrollen zulässig sein. Darauf einigten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union beim Europäischen Rat am 23. und 24. Juni in Brüssel. Gleichzeitig betonte der Europäische Rat, dass die Freizügigkeit innerhalb der EU sowohl eine „Grundfreiheit“ als auch eine der „am meisten greifbaren und erfolgreichen Errungenschaften der europäischen Integration“ sei.
Die Grenzkontrollen sollen deshalb nur unter außergewöhnlichen Umständen wieder erlaubt werden, und auch nur dann, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen. Ein entsprechender sogenannter „Mechanismus“ soll in Gang gesetzt werden können, wenn die Schengen-Zusammenarbeit insgesamt gefährdet ist. Einige der Vorschläge des Europäischen Rats bauen auf Erfahrungen auf, die die EU in den letzten Monaten machte. So kann ein Schengen-Mitgliedsland um Hilfe bitten, wenn es großen Migrationsdruck auf seine Außengrenzen wahrnimmt.
Flüchtlinge in Südeuropa der Auslöser
Dies geschah beispielsweise bereits im vergangenen November, als zahlreiche Flüchtlinge versuchten, die Grenze zwischen Griechenland und der Türkei zu überschreiten. Die europäische Grenzagentur Frontex unterstützte die griechischen Grenzbeamten anschließend mit Experten und Material. Ähnlich reagierte die EU bei der Ankunft tausender Migranten auf der italienischen Insel Lampedusa in diesem Frühling: Frontex und Italien starteten die Operation Hermes, in deren Verlauf elf europäische Staaten Schiffe, Flugzeuge und weiteres Material sowie Experten bereit stellten, um die EU-Außengrenzen im Mittelmeer zu bewachen. Inspektionen, technische und finanzielle Hilfe sowie weitere Unterstützung durch Frontex sind auch mit dem neuen Mechanismus vorgesehen.
Erst wenn diese Maßnahmen nicht ausreichen, wird der neue Mechanismus als „letzte Möglichkeit“ auch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen vorsehen. Allerdings sollen diese eine „Ausnahme“ bleiben und auf „wirklich kritische Situationen“ beschränkt sein, in denen ein Mitgliedsstaat seinen Schengen-Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Die Einführung von Grenzkontrollen soll zudem nur möglich sein, wenn „objektive Kriterien“ vorliegen und diese gemeinsam beschlossen werden. Sie sollen zudem einem eng begrenzten Ziel dienen und nur für eine bestimmte Zeit erlaubt werden. Die Details sollen bis September durch die Kommission ausgearbeitet werden.
Wie leicht soll der Mechanismus ausgelöst werden können?
Einige Punkte sind zwischen den Mitgliedstaaten noch umstritten. So ist bisher unklar, wann genau der neue Mechanismus gestartet werden kann. Einige Staaten, darunter Spanien, Schweden und Tschechien, fordern, dass dies nur möglich sein soll, wenn ein Land nicht mehr in der Lage ist, seinen Kontrollpflichten nachzukommen. Andere Staaten wie Frankreich meinen dagegen, dass bereits eine erhöhte Zahl von Migranten ausreichen soll, um den Mechanismus auszulösen. Zudem ist bisher nicht festgelegt, wer den Mechanismus auslösen kann: Die Mitgliedstaaten, die Kommission oder beide gemeinsam? Besonders einige südeuropäische Staaten fordern zudem, die Auslösung des Mechanismus mit mehr innereuropäischer Solidarität zu verknüpfen – womit auch eine Verteilung der Migranten in Europa gemeint ist. Dies wird aber besonders in Nordeuropa abgelehnt.
Die Reform des Schengen-Systems stand auf der Tagesordnung, nachdem es im Frühling von zwei Seiten kritisiert wurde. Ein Auslöser war die die Wiedereinführung von Grenzkontrollen durch Frankreich an der italienisch-französischen Grenze, nachdem viele nordafrikanische Migranten von Lampedusa aus über Italien nach Frankreich reisen wollten. Die Blockade der Grenze sorgte in Italien für einen Aufschrei der Empörung. Rom forderte seinerseits von den übrigen EU-Staaten mehr Solidarität und beklagte, allein gelassen worden zu sein. Der bilaterale Streit zwischen Frankreich und Italien wurden nach einem Besuch des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy beim italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi entschärft. Seither traten beide Länder für eine Reform des Schengen-Systems ein.
Reform oder Untergrabung der europäischen Idee?
Doch nicht nur in Südeuropa, sondern auch im Norden wurde das Schengen-System infrage gestellt: Dänemark plante die Wiedereinführung permanenter Grenzkontrollen, um die angeblich Ausbreitung von grenzüberschreitender Kriminalität zu verhindern. Hiergegen regte sich Protest sowohl aus Brüssel als auch bei den Nachbarstaaten Deutschland und Schweden. Zudem demonstrierten im Juni die Jugendorganisationen zahlreicher Parteien und zivilgesellschaftliche Akteure, darunter auch die JEF, gegen die geplanten Kontrollen. Den Forderungen nach permanenten Grenzkontrollen erteilte nun auch der Europäische Rat eine Absage, da nur temporäre Kontrollen erlaubt werden sollen.
Der Vorsitzende der JEF Deutschland, Lars Becker, ist nicht grundsätzlich gegen eine Konkretisierung der Ausnahmeregelungen. Er befürchtet jedoch, dass "angesichts der aktuellen Diskussionen und insbesondere der Forderungen Frankreichs und Italiens die ’Konkretisierung’ dazu dienen könnte, de facto mehr Ausnahmetatbestände zu schaffen.„Er kündigte an, die JEF werde“sehr kritisch verfolgen, welche Vorschläge die Kommission im September vorlegt." Der Andrang nordafrikanischer Flüchtlinge sei definitiv kein hinreichender Grund, um temporäre innereuropäische Grenzkontrollen einzuführen.
Kommentare verfolgen: |