Gemeinsam sozial

Trotz Krise ein sozialeres Europa - darin sehen die Teilnehmer am Spinelli Forum keinen Widerspruch

, von  Jonas Hirschnitz

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Gemeinsam sozial
Nach Wachstums- und Fiskalpakt jetzt ein Sozialpakt - das fordern Teilnehmer am Spinelli Forum © European Union, 2013

Zum zweiten Mal veranstaltete Anfang der Woche die Spinelli Gruppe in Brüssel ihr Forum. Die Gemeinschaft europäischer Föderalisten, zu der auch Joschka Fischer und Mario Monti gehören, setzte in ihren Debatten einen Schwerpunkt auf ein soziales Europa. Dabei erscheint im Spiegel der europäischen Krise gerade die Verteidigung sozialer Ausgaben als absurd und ökonomisch falsch. Doch in einem sozialen Europa geht es um mehr, wie die Diskussionen klar machten.

Herkules als Vorbild

Ökonom Ulrich van Suntum ist ein Freund der griechischen Mythologie: Für ihn ist Herkules der Erste, der die Kraft der Natur für sich arbeiten ließ, anstatt sich wie Sysiphos vergeblich im Schweiße seines Angesichts zu plagen. Übertragen auf die Wirtschaft will das heißen, dass der Markt so reguliert werden müsste, dass er im allgemeinen Interesse arbeitet.

Eine schöne Vorstellung ist das, doch sind Rahmen für Märkte oft nicht so effektiv, wie wir es gerne hätten. Das Paradebeispiel ist der europäische Emissionsmarkt. Oft ein Symbol eines erfolgreichen „lasst den Markt in unserem Interesse arbeiten“ - Modells, scheiterte es am Ende an zu niedrigen Emissionen – paradox. Die Politik griff nicht entschieden genug ein und der Markt arbeitete wieder für sich. Selbst Marktanreize müssten also stetig überwacht werden.

Soziales Europa – Was ist das?

Können wir eine solch intelligente Überwachung in der europäischen Sozialpolitik sehen? Wohl kaum: Der Europaparlamentarier Jo Leinen ist sich sogar sicher, dass sie in diesem Bereich gänzlich fehle. „Wir haben einen Fiskalpakt, wir haben einen Wachstumspakt, aber wir haben keinen Sozialpakt.“ Europa habe sich zu sehr auf den Wettbewerb konzentriert und dabei die soziale Komponente vergessen. So wären unsere Gesundheitssysteme oft Zweiklassengesellschaften und wie wir Renten dauerhaft angemessen und generationengerecht halten könnten, sei ein auf die Zukunft verschobenes Rätsel.

Worauf kommt es also an in einem sozialen Europa? Vermögen sollen nicht von unten nach oben umverteilt werden, es muss eine Balance zwischen allen Sektoren der Wirtschaft erreicht und Märkte effektiver reguliert werden – das sagt Fintan Farrell vom Anti-Armutsnetzwerk. Gute Regulierung sei dringend nötig, das meint auch Elsa Fornero, die Mitglied der Regierung Monti war. Dazu gehörten klare Spielregeln, Transparenz und die Bekämpfung der Korruption. Es geht also in erster Linie nicht um finanzielle Transfers, sondern darum, einen fairen Rahmen für Sozialpolitik zu schaffen. Dieser müsse ermöglichen, dass Staaten sich nicht gegeneinander ausspielten und nicht in eine soziale Abwärtsspirale taumeln.

Soziales Europa – Wie?

Doch wie kommen wir dorthin? Die EU hat kaum Kompetenzen in sozialen Fragen und kann nur die Politik der Mitgliedsstaaten ergänzen. Sie kann daher keine klare Richtung vorgeben. Muss man daher den Hebel bei den Institutionen ansetzen? Ulrich van Suntum sagt ja: Wirtschaftlicher Erfolg – mit welchem seiner Meinung nach gute Sozialpolitik möglich wird – resultiert in erster Linie aus starken Institutionen. Farrell fügt hinzu, dass effektive Regulierung in einer globalisierten Welt nur das Ergebnis transnationaler Kooperation sein kann. Dies alles scheint auf eine klare Neudefinition der Verantwortlichkeiten in Europa zu deuten. Genau das will die Föderalismusdebatte. Eine europäische Föderation könnte die europäischen Institutionen stabiler, transparenter und verantwortlicher machen. Sie könnte Sozialpolitik von einem Wettbewerbsfaktor zu einem europäischen Gut machen. Eine nachhaltige Sozialpolitik geht nur, wenn wir uns nicht gegenseitig ausspielen. Ein klar definierter Föderalismus könnte dies garantieren.

Raus aus der warmen Wiege

Das Spinelli Forum erfand das Rad nicht neu. Das ist auch nicht mehr nötig, da es schließlich schon seit Jahrzehnten darum geht, dieses Rad zu verkaufen. Die Diskussionen dienten vielmehr, wie Daniel Cohn-Bendit zusammenfasste, zum allgemeinen Gedankenaustausch. Kontroversen gab es kaum. Man konnte jedoch spüren, dass im Hinblick auf 2014 schon eine gewisse Anspannung herrscht, da die nächsten Europawahlen zu einer Grundsatzdebatte um Europa werden könnten. Die Föderalisten scheinen bereit: Schon in etwa zwei Monaten wird Europaparlamentarier Andrew Duff, Mitglied der Spinelli Gruppe, seinen Vorschlag einer neuen europäischen Verfassung präsentieren. Danach wird es jedoch erst wirklich spannend, denn dann werden die Föderalisten aus der warmen Wiege des Spinelli Forums heraustreten und das Projekt auf die Straße tragen müssen.

Ihr Kommentar
  • Am 16. April 2013 um 07:47, von  Kritiker Als Antwort Gemeinsam sozial

    Schon mal was von Ökonomischen Interessen gehört ? Schon mal was von inneren Widersprüchen des Kapitalismus gehört ? Eine sozialere Politik erlangen wir ganz sicher nicht dadurch, daß daß wir die Entscheidungsebene auf eine für den Bürger nicht mehr erreichbare Ebene heben. Ökonomische Akteure sind die einzigen, die diese Ebene für sich nutzen können.

    >> Es geht also in erster Linie nicht um finanzielle Transfers Worum gehts denn beim Länderfinanzausgleich ? Ungleiche ökonomische Strukturen brauchen Ausgleich

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