Österreich vor einem politischen Erdbeben ?

, von  Guillaume Amigues

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Österreich vor einem politischen Erdbeben ?

Die negative Bilanz der 18-monatigen Großen Koalition zwischen den Sozialdemokraten (SPÖ) und den Bürgerlichen (ÖVP) dürfte den Rechtsparteien in Österreich zu deutlichen Gewinnen verhelfen. Neuen außergewöhnlichen Koalitionen zeichnen sich ab: am 28. September könnte eine neue politische Ära für Österreich beginnen.

Allerseits Großzügige Wahlzuckerl

Am 7. Juli 2008 hatte die bürgerliche Partei das Ende der Großen Koalition ausgerufen. Wahltaktisch wollte der ÖVP-Chef Wilhelm Molterer die interne Krise der SPÖ ausnutzen, um seiner eigenen Partei die Mehrheit zu sichern. Entgegen seiner Erwartung befindet sich die ÖVP jedoch in sämtlichen Umfragen klar hinter der SPÖ (meist ca. 26% zu 28%). Die geringe Zustimmung für die so genannten Großparteien überrascht auf den ersten Blick, ist aber auf die desaströse Bilanz der gescheiterten Koalition der beiden Parteien zurückzuführen.

Um sich von diesen „zwei Jahren Stillstand“ (Grünen-Kandidat Van der Bellen) zu distanzieren, geben alle Parteien großzügige Wahlzuckerl aus: Abschaffung der Studiengebühren [1], Erhöhung der Familien- und Rentenbeihilfe, … Die Maßnahmen werden bereits vor der Wahl in den letzten Sitzungen des Nationalrates von den Parteien durchgesetzt, wobei sich seltsam anmutenden Koalitionen ergeben. Diese populistischen Wahlgeschenke könnten das Gleichgewicht des öffentlichen Haushalts kurzfristig gefährden und verursachen deshalb den Wut der Ländern und Gemeinden, die befürchten, für die hohen Kosten aufkommen zu müssen. Nach anderthalb Jahren Fortschrittfeindlichkeit lässt sich die derzeitige legislative Hyperaktivität durch den Willen der Parteien, ein scharfes Profil anzubieten und gleichzeitig neue Koalitionen zu probieren, erklären.

Auf dem Weg nach neuen Bündnisse?

Da keine Partei die 30% erreichen sollte sind alle Koalitionsoptionen offen. In den kommenden Wochen könnten sich erstmaligen Zweier- oder Dreierkoalitionen schließen. Welche sind die wahrscheinlichsten Koalitionsvarianten?

 SPÖ + ÖVP : eine neue große Koalition. Es ist wahrscheinlich die einzige Lösung, um die Rechten von der Macht fern zu halten. Der SPÖ-Kandidat Faymann gibt sich überzeugt, dass ein Führungswechsel innerhalb der ÖVP die große Koalition diesmal zur „Problemlösungsmachine“ machen könnte. Diese fragwürdige Haltung ist vor allem ein Versuch, die ÖVP vor den Wahlen zu destabilisieren.

 ÖVP + FPÖ + BZÖ : zusammen mit der FPÖ (etwa 17%) und der BZÖ (7%) könnte die ÖVP eine knappe Mehrheit gestalten. Das größte Hindernis zu einem solchen Bündnis ist allerdings die stark ausgeprägte Feindschaft zwischen Heinz-Christian Strache und Jörg Haider seit dieser im April 2005 die FPÖ theatralisch verlassen hat.

 SPÖ + FPÖ + BZÖ : die frischen politischen Annäherungen in den letzten Sitzungen zeigen dass diese Option nicht ganz unmöglich ist. Die drei Parteien teilen in der Tat eine euroskeptische Linie seit die SPÖ-Behörden in einem Brief zum EU-feindlichen Boulevardblatt Neue Kronen Zeitung mit ihrer pro-europäischen Tradition abgebrochen haben. Eine solche Koalition, auch wenn von dem SPÖ-Kandidat nicht bevorzugt, ist nicht ausgeschlossen.

 Die Grünen ist die einzige Partei, die ein Bündnis mit den Rechtsparteien kategorisch ablehnt. Trotz ermutigenden Wahlperspektiven um 12% sollte sie deshalb nicht Teil einer mehrheitlichen Koalition werden.

Solche Vorhersagungen sind allerdings nur begrenzt zuverlässig, nicht zuletzt weil die Koalitionsmöglichkeiten von den Wahlergebnissen der beiden kleinen Parteien LIF und FRITZ abhängen. Sollten diese Parteien die 4%-Hürde überschreiten und damit in dem Nationalrat eintreten, wäre es für die anderen Parteien umso schwieriger, eine Mehrheit zu gestalten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass eine leicht minderheitliche Koalition eine von einem Teil der Opposition geduldete Regierung bildet.

„Minister Haider“ statt „Kanzler Haider“

Einige Beobachter vertreten den Standpunkt, dass in einem solchen « politischen Bazar » (Schüssel) eine neue große Koalition die beste Festung gegen die Rechtsparteien wäre. Kurzfristig würde ein SPÖ-ÖVP Bündnis tatsächlich eine gewisse Stabilität gewährleisten. Jedoch ist es eine riskante Option. Die beiden Parteien, die sich während der letzten Koalition gegenseitig gelähmt haben, haben für so viel Enttäuschung gesorgt dass die Wählerschaft der Rechtsparteien von 12% auf 25% gesteigert ist. Eine neue enttäuschende große Koalition könnte für eine FPÖ-BZÖ Mehrheit bei den nächsten Wahlen den Weg ebnen.

Die populistische Rhetorik der Rechtsparteien hatte es ziemlich leicht gegen eine gelähmte Koalition, sollte sich aber vor den Schwierigkeiten der Machtausübung entzaubern. Die Beteiligung Straches oder Haiders in der nächsten österreichischen Regierung würde durch Europa für empörte Reaktionen sorgen. Sie könnte allerdings Österreich von einem größeren politischen Kataklysmus retten.

Bildung: karte von Österreich, aus Wikipedia.

Anmerkungen

[1Diese Maßnahme soll die 400.000 Erstwähler, eine besonders hohe Zahl wegen der 2007 Senkung des Wahlalters auf 16 Jahren, begeistern. Diese Taktik scheint erfolgreich zu sein als SPÖ-Kandidat Werner Faymann Lieblingskandidat der Erstwähler ist.

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