Paneuropäische Parteien: Ein schwacher Schritt zu einer demokratischeren EU

, von  Fernando Remiro Elía, Übersetzt von Daniel Kosak

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Paneuropäische Parteien: Ein schwacher Schritt zu einer demokratischeren EU
Echte transnationale Parteien im Europäischen Parlament? PHOTO © European Union

Während das Europäische Parlament (EP) dabei ist, die Debatte über politische Parteien auf europäischer Ebene wieder zu eröffnen, müssen einige kritische Punkte noch geklärt werden. Ist die Schaffung eines transnationalen Parteiensystems der beste Weg zu einer demokratischeren EU?

Die Idee der transnationalen Partei

Die Entwicklung eines transnationalen Parteiensystems in der EU ist eine häufige Forderung derjenigen Bürger, Wissenschaftler und Politiker, die sich über das so genannte Demokratiedefizit Sorgen machen. Die gegenwärtigen Anhörungen im Ausschuss für konstitutionelle Fragen sind das neueste Kapitel einer langen Geschichte, in der diese Forderung ein wichtiges Anhängsel einer breiteren Debatte darstellt. Als Antwort auf dieses Anliegen ist im Jahr 2003 die Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 verabschiedet worden, um die Grundlage für ein europäisches Parteiensystem zu legen und die Bedingungen für die Arbeit und Finanzierung möglicher Parteien (bis dato zehn Stück) zu definieren. Im Hinblick darauf haben föderalistische Gruppen wie die JEF und einige Politiker (z.B. Jo Leinen) vorgeschlagen, dass paneuropäische Parteien vor den Europawahlen Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten festlegen könnten. Außerdem veröffentlichte Andrew Duff (MdEP für Ost-England) 2007 einen Bericht über die Schaffung von transnationalen Listen für einen Teil des EP. Dieser Vorschlag hat seitdem an Popularität gewonnen. All diese Entwicklungen sind Ausdruck eines Verständnisses der EU und ihrer konstitutionellen Agenda, das nicht unbedingt das Beste und Demokratischste sein muss.

Dieser Hintergrund wird in einer kürzlich vom Europäischen Parlament veröffentlichten Studie des European Union Democracy Observatory (EUDO) untersucht, die den Weg der bevorstehenden Debatte vorzeichnet. Obwohl dieser Bericht zweifellos in die gleiche Richtung zielt, wie die früheren Vorschläge, und deren Problemdiagnose vollkommen teilt, spricht er doch einige Warnungen aus, die den föderalistischen Konsens in dieser Angelegenheit in Frage stellen.

Parteien auf europäischer Ebene?

Zunächst ist der Fokus auf politische Parteien als Hauptmittel, um das Demokratiedefizit zu beseitigen erstaunlich, da Parteien in fast jedem europäischen Land die am wenigsten geschätzten politischen Institutionen sind. Wenn es eine generelle Krise der Repräsentation durch politische Parteien gibt, warum sollte man dann auf diesem Weg beharren? Wenn wir eine demokratischere und transparentere Union aufbauen wollen, warum sollten wir dann ein Instrument benutzen, dass gerade dramatisch an Rückhalt verliert und das durch seine Intransparenz charakterisiert ist?

Es wird behauptet, dass Parteien der wichtigste Vermittler zwischen den Bürgern und dem Staat sind. Das mag zwar auf der nationalen Ebene stimmen, aber warum sollte es auch für die EU zutreffen, die weder eine Nation noch ein Staat ist? Bei diesem Thema, wie bei vielen Anderen, haben die europäischen Föderalisten zu viele Ideen und Instrumente von den Nationalstaaten übernommen. Alle Vorschläge für ein transnationales Parteiensystem scheinen auf der Achse Kommission- Europäisches Parlament zu beruhen. Ein stärker auf politischen Wettbewerb ausgerichtetes EP, das sich aus transnationalen, ideologisch homogenen europäischen Parteien zusammensetzt, würde demnach, gemäß der Logik von Regierungsmehrheit und Opposition, mit einer Kommission interagieren, deren Präsident vor der Wahl von den europäischen Parteien nominiert wird. Letztlich zielen diese Vorschläge darauf ab, die paradoxe Entwicklung des seiner Natur nach supranationalen EP in ein Parlament nach nationalem Vorbild zu vollenden. Dies könnte die Einzigartigkeit des EPs gefährden, das trotz aller Klagen über seine Leistungsfähigkeit bessere Möglichkeiten als die an der Regierung orientierten nationalen Parlamente bietet, eine effektive Repräsentation der Bürger zu gewährleisten.

Davon abgesehen funktioniert die EU nicht wie ein Nationalstaat und kann dies auf dem gegenwärtigen Stand ihrer konstitutionellen Entwicklung auch überhaupt nicht. Wo würde in dem oben beschriebenen Politikmodell der Europäische Rat stehen? Eine politisierte Kommission und starke paneuropäische Parteien würden eine dysfunktionale politische Illusion erzeugen und die Öffentlichkeit würde frustriert reagieren, sobald sie feststellt, dass die EU nicht gemäß der Regierungs- Oppositions Logik funktioniert.

Die anderen Möglichkeit zur Demokratisierung nicht vergessen

Zusätzlich zu diesen praktischen und theoretischen Unzulänglichkeiten, könnte eine übermäßige Konzentration auf paneuropäische Parteien leider die Debatte über europäische Demokratie, die in Wahrheit viel reicher und innovativer ist, zu sehr vereinfachen. Gerade jetzt sind die europäischen Föderalisten damit beschäftigt, die Europäische Bürgerinitiative (EBI) voranzubringen, ein potentiell mächtiges Instrument der direkten Demokratie. Ist diese mit der Stärkung europäischer Parteien vereinbar? Laut den Autoren des EUDO-Berichts könnten paneuropäische Parteien die Sammlung von Unterschriften für Bürgerinitiativen koordinieren, aber dies ist weder notwendig, noch wünschenswert. Die EU hat ein vitales und belastbares Netzwerk von zivilgesellschaftlichen Vereinigungen, das in der Lage sein wird, das Potential dieses neuen demokratischen Instruments voll auszuschöpfen. Die EBI wird nützlicher sein, solange sie unabhängig von politischen Parteien bleibt.

Außerdem könnte der Erfolg starker europäischer Parteien die leider schwache Debatte über politische Repräsentation und die Wirkungen von Wahlkreisen dauerhaft unterbinden. Ein transnationales Parteiensystem wird nicht automatisch das Durcheinander beseitigen, das von 27 verschiedenen Wahlgesetzen verursacht wird, und ein parteienzentrierter Ansatz wird sicherlich dem Kernproblem der Verbindung von Wählern und Abgeordneten und der effektiven Repräsentation im EP ausweichen. Wie kann die Verbindung zwischen MdEPs und ihren Wahlkreisen funktionieren, wenn sie in geschlossenen landesweiten Listen gewählt werden, wie in Spanien, oder in riesigen regionalen Wahlkreisen wie in Großbritannien, Frankreich und Italien? Eine Debatte über diese Probleme ist dringend notwendig, denn sie sind die wahre Ursache der Distanz zwischen MdEPs und Wählern. Diese Debatte wird durch die Konzentration auf die europäischen Parteien verzögert, wenn nicht gar verhindert.

Wettbewerb wünschenswert

Trotzdem stimmt es, dass die Befürworter eines transnationalen Parteiensystems als effektiven Weg zu einem demokratischeren Europa einige wertvolle Argumente beigetragen haben, die auf vernünftigen politischen Erwägungen basieren. Durch die Einführung einiger Elemente des politischen Wettbewerbs, wird man sicherlich die Beteiligung bei EP-Wahlen stärken können. Insbesondere die Auswahl von Kandidaten für die Kommissionspräsidentschaft im Vorfeld würde zu einer Personalisierung der Wahlen beitragen (und als nicht unerheblicher Nebeneffekt würde dies zu einer stärker rechenschaftspflichtigen Kommission beitragen). Außerdem würden transnationale Listen im Erfolgsfall zu einer wirklichen politischen Integration und der Schaffung einer richtigen Unionsbürgerschaft beitragen. Schließlich könnte es auch die Wahlkämpfe auf Themen lenken, die wahrhaft zur europäischen Ebene gehören, und die bislang von kleinkarierten nationalen Streitereien überstrahlt werden.

Ausblick

In den nächsten beiden Monaten wird das Europäische Parlament sich mit diesem Thema beschäftigen. Wenn die MdEPs den kritischen, nuancierten und breiten Ansatz des vorbereitenden Berichts von EUDO übernehmen, wird es sich lohnen, die Debatte zu verfolgen. Aber wenn sie bloß eine auf Parteien beschränkte Vision der Zukunft der europäischen Demokratie beibehalten, wird wieder einmal eine Gelegenheit vertan, eine umfangreiche demokratische Agenda aufzuzeigen. Die bevorstehende Debatte sollte die Vorteile der Einzigartigkeit des europäischen Regierungssystems nutzen, anstatt Analogien zum Nationalstaat verhaftet zu bleiben. Die Natur des Europäischen Parlaments (transnational, mit beschränkten Kompetenzen, nicht direkt mit einer Exekutive verbunden) bringt die Möglichkeit mit sich, einen neuen Weg der politischen Repräsentation auf einer neuen Ebene des politischen Handelns zu entwickeln, weil die EU keine vergrößerte Version der nationalen Demokratien ist und auch nicht sein sollte. Nur wenn die Debatte über paneuropäische Parteien und politische Repräsentation in der EU sich von traditionellen Denkmustern löst, wird sie den innovativen und originellen Geist treffen, der den Kern der europäischen Integration bildet.

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