Jenseits von der Kritik am nationalen Schulsystem und auch an den Vorzügen der Systeme der Nachbarstaaten, wie steht es um Bildung in Europa? Die internationale Vergleichsstudie über die Kompetenzen 15-jähriger Schüler (PISA) erklärte Finnland zum Primus, hat die guten Ergebnisse der Schweden herausgestellt und lenkte so die Aufmerksamt auf die Erfahrungen unserer Nachbarn. Ein Vergleich zwischen den Systemen kann folglich Aufschluss über die Unterschiedlichkeiten geben.
Ein buntes Potpourri an Schulsystemen
In der Einheitsschule der skandinavischen Länder (Schweden, Norwegen, Island, Dänemark, Finnland) werden Schüler im Alter von sieben bis 16 Jahren unterrichtet, die alle den gleichen Lehrplan befolgen. Sie lernen in einer einzigen Schule in derselben Klasse mit festem Klassenlehrer, aber sonst wechselnden Lehrkräften. Sitzenbleiben gibt es nicht. Das selektive angelsächsische System strebt nach Kontinuität in der Sekundarstufe. Genau wie bei dem skandinavischen Modell, ist das Erlernen von Autonomie wichtiger als die Aneignung von Wissen. Charakteristisch am „germanischen“ System (Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, Luxembourg) ist eine frühe Verteilung auf drei Schultypen: das Gymnasium, das zum Hochschulstudium befähigt, die Realschule mit der Ausrichtung auf ein nicht-universitäres Studium und die Hauptschule, die eine Berufsausbildung ermöglicht.
Eine ähnliche Aufteilung findet sich auch in Polen: Hier unterscheidet man das allgemeinbildende Lyzeum, das nach drei Jahren mit der nationalen Reifeprüfung endet, die ein Hochschulstudium erlaubt. Daneben existiert das technische Lyzeum, das vier Jahre dauert und ebenfalls zum Hochschulstudium berechtigt. Schließlich gibt es noch die Berufsschule, die besonders auf technische Berufe vorbereitet und in speziellen Semestern organisiert ist. Diese zielen auf eine bestmögliche Vorbereitung für den Arbeitsmarkt ab. Darüber hinaus existiert zusätzlich eine technische Schule, die nach zwei oder drei Jahren das Ablegen der Hochschulreife für Schüler erlaubt, die vorher eine Berufsschule besucht haben und dennoch studieren wollen. Herausragend am „lateinischen“ System (Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland) ist die größere Bedeutung der Aneignung von Wissen. Dementsprechend spielen Prüfungen, Noten und auch das Wiederholen von Klassen eine größere Rolle als in den anderen Systemen.
Unterschiedliche Praktiken, aber gemeinsame Ziele
Mit Ausnahme von Schweden werden Kinder im Schnitt im Alter von drei Jahren in Kindergärten aufgenommen. In Frankreich und Spanien können Kinder früher akzeptiert werden, während in Dänemark die Grenze bei fünf Jahren liegt. Außerdem sind Kindergärten in Frankreich und dem Vereinigten Königreich stärker verschult und in kleinen Klassen organisiert; in den anderen Ländern sind sie dagegen eher spielerisch ausgerichtet. In Polen zum Beispiel erfolgt die Schulbildung vor der Grundschule im Kindergarten, in dem Kinder ab drei Jahren im Rahmen der verfügbaren Plätze aufgenommen werden. Die Einschreibung ist nicht obligatorisch. Dagegen ist ein Vorschuljahr in der sogenannten „Klasse Null“ vor dem Eintritt in die Grundschule verpflichtend. In bestimmten Ländern wie Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien oder auch Großbritannien wird zudem zwischen der Grundschule und den weiterführenden Schulen unterschieden. Dänemark und Schweden dagegen kennen diese Unterscheidung nicht. Auch sprachliche Unterschiede existieren, besonders im Hinblick auf die Benennung der Hochschulreife. Sie heißt Abitur in Deutschland, Bachillerato in Spanien oder A-Levels in Großbritannien. Diese Prüfungen erstrecken sich über zwei bis drei Jahre und bereiten auf ein Hochschulstudium vor. Doch die Verschiedenheit der Systeme beschränkt sich nicht auf Fragen des Kalenders, der Organisation oder des verwendeten Vokabulars. Die europäischen Bildungssysteme basieren vielmehr auf höchst unterschiedlichen Konzeptionen von Bildung. Eventuelle Problemfelder variieren folglich je nach Schulsystem von Land zu Land und sind sehr vielfältig wie z.B. der Nutzen von Sitzenbleiben, die Förderung frühzeitiger Aufteilung, das Rollenverständnis der Schule, Zentralisierung, die Konkurrenz privater und öffentlicher Schulen, die Selektion bei Aufnahme des Hochschulstudiums etc. Zusätzlich sind verschiedene Länder der Europäischen Union dabei, ihre Schulsysteme zu reformieren. Vor allem im Bemühen um Konformität mit dem Bolognaprozess, der die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums anvisiert. Dies ist der Fall in Rumänien, das als eines der ersten Länder Europas Schulbildung kostenlos und verpflichtend für alle Kinder machte. Die Bildung des Volkes galt immer als eine nationale Priorität. Die Umwälzung des rumänischen Systems zielt aber auch auf Vereinbarkeit mit dem europäischen Bildungssystem ab. Insgesamt könnten die existierenden Gemeinsamkeiten zumindest zur Schaffung eines europäischen Rahmens von Wissen und Kompetenzen führen. Diese Überlegung fußt auf der Existenz von Schulsystemen die, so unterschiedlich sie in manchen Aspekten auch sein mögen, doch gemeinsame Ziele haben. Dazu gehören die Förderung des Spracherwerbes und mehr Austausch mit ausländischen Schulen, wie über das Comenius-Programm. Dieses fügt sich wiederum in einen größeren Rahmen ein: der Öffnung der Schulen für die Welt.
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