Vereintes Königreich

Tony Blair: Abschied von einem Europa-Engagement der englischen Art

Eine mittelmäßige Bilanz

, von  Übersetzt von Barbara Mairleitner, Arnaud Favry

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Tony Blair: Abschied von einem Europa-Engagement der englischen Art

Tony Blair wird am 27. Juni offiziell sein Amt als Premierminister niederlegen. Auf diese Ankündigung wurde schon seit langem gewartet, da Blair schon zuvor erklärt hatte, dass er kein drittes Mandat an der Spitze der britischen Labour-Partei anstreben werde.

Machtwechsel sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien: Nach dem Ende der Ära Chirac hat nun auch Tony Blairs letztes politisches Stündlein geschlagen, auch wenn man ja gar nicht mehr damit gerechnet hatte. Details über den schon vor einigen Monaten angekündigten Rücktritt sind bis heute nicht bekannt und werden wie ein Geheimnis gehütet.

Langzeitära ähnlich der von Thatcher

Die Amtszeit Tony Blairs wird am 27. Juni 2007 zu Ende gehen, Nachfolger wird höchstwahrscheinlich Finanzminister Gordon Brown. Nach bald zehn Jahren an der Spitze Großbritanniens- beinahe so lange wie Margaret Thatcher- ist der Moment gekommen, um in einem der wichtigsten -wenn auch historisch gesehen einem der skeptischten- Länder der Europäischen Union eine Bilanz zu ziehen.

Tony Blair war stets als äußerst pro-europäischer Politiker bekannt, wenn nicht gar als der Politiker in der Geschichte des Landes, der sich am allermeisten für die europäische Einigung einsetzte.

Hat er es jedoch wirklich geschafft, das Vereinte Königreich zu einem europhilen Land zu machen?

Abschied eines Pro-Europäers aus einem isolationistischen Staat

Der Politiker der britischen Arbeiterpartei war Europa gegenüber positiver eingestellt als sein Vorgänger John Major. Im Gegensatz zur Regierung Major nahmen die Regierungen unter Blair an allen Ausschüssen, Debatten und Abstimmungen teil und brachten sogar Vorschläge ein. Betrachtet man die britisch-europäischen Beziehungen, so kann man feststellen, dass die Machtübernahme durch Tony Blair im Jahre 1997 einen Wendepunkt in der von Großbritannien geführten Europapolitik darstellt. In seiner Position als Premierminister sollte sich Blair tatsächlich als begeisterter Europäer erweisen.

Seine pro-europäische Einstellung machte sich sofort bemerkbar, auch wenn diese gar nicht der Tradition der Labour-Partei entsprach und einen deutlichen Bruch mit der Politik der Tories bedeutete. Noch als die New Labour–Partei in der Opposition war, kündigte sie einen Umbruch in der Europapolitik von John Major an, dem sie vorwarf, Großbritannien in gewisser Weise an den Rand der Europäischen Union gedrängt zu haben und unter dem Druck seiner euroskeptischen Parteikollegen eine aktive Teilnahme an der europäischen Einigung abgelehnt zu haben.

Nach neidvollen Blicken auf das Duo Frankreich-Deutschland, welches das europapolitische Geschehen beherrschte, zeigte sich Tony Blair wild entschlossen, neben Frankreich und Deutschland auch seinem Land eine wichtige Stellung innerhalb der Union einzuräumen und die Rolle als Schlusslicht aufzugeben. So behauptete er, dass Großbritannien dazu bestimmt sei, „Europa vorwärts zu bringen“ und „einen zentralen Platz in Europa einzunehmen“.

Als sich der Premier bei einer Sitzung in Brüssel an die EU-Abgeordneten wandte um ihnen seine Vision über die Weiterentwicklung Europas während der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft Großbritanniens zu schildern, hielt er eine feurige Rede, in der er sein Bestreben, die Vorgänge in der Union zu „modernisieren“ äußerte und auf jene beschwichtigend einwirkte und ihnen Kompromisse versprach, die mit seiner Vorgehensweise nicht ganz einverstanden waren. Außerdem erklärte er: „Wenn wir 50 Jahre nach der Gründung Neuerungen zulassen, ist das keine Schande“. Trotz dieser Worte behauptete der Premierminister, dass er dem „europäischen Ideal“ nicht untreu werden und „dem sozialen Europa“ nicht den Garaus machen wolle. Als Antwort auf die Anschuldigungen seiner Gegner meinte er sinngemäß: „Ich glaube an das politische Projekt Europa. Ich glaube an ein sozial starkes Europa. Ich werde es niemals zulassen, Europa auf eine einfache Wirtschaftsgemeinschaft zu reduzieren“.

Tony Blair setzte außerdem dem Britenrabatt ein Ende. Zahlreiche Mitgliedstaaten, vor allem Frankreich, hatten das von Margaret Thatcher 1984 ausgehandelte Rabattprinzip in Frage gestellt und schließlich erreicht, dass Tony Blair einwilligte, dem Gesamtbudget 10,5 Milliarden von den 50 Milliarden Euro, die Großbritannien in den nächsten sieben Jahren von der Union erhalten wird, „zurückzugeben“ Dafür erreichte der britische Premier wiederum, dass die Budgets aller Sparten der gemeinsamen Politik, auch der Landwirtschaftspolitik, 2008-2009 noch einmal überprüft werden.

Ein von seiner langen Amtszeit geschwächter Tony Blair kann allerdings auf die traditionelle britische Diplomatie keinen Einfluss mehr ausüben.

Diplomatie ganz im Sinne der britischen Tradition

Drei Elemente bestimmen die Bilanz über Tony Blairs Wirken innerhalb der Union.

Erstens, seine Entscheidung über die Beteiligung Großbritanniens am Irak-Krieg um die Vereinigten Staaten zu unterstützen. Bedenken wir dabei, dass diese Unterstützung zugesagt wurde obwohl sich die britische Bevölkerung dagegen ausgesprochen und die Mehrheit der Mitgliedstaaten ihr Misstrauen gegenüber diesem „Befreiungskrieg“ geäußert hatte.

Weiters ist bedauerlich, dass Blair die qualifizierte Mehrheit im Finanzbereich bei der Regierungskonferenz, die nach der „Erklärung über die Zukunft der Union" einberufen worden war, ablehnte. Diese Weigerung verhindert ein optimales Funktionieren der Europäischen Union in einem wesentlichen Bereich.

Schließlich war die Entscheidung, das Referendum über den Verfassungsvertrag aufzuschieben, sicherlich ein kluger Schachzug um dieses in Großbritannien so heikle Thema zunächst nicht anschneiden zu müssen, gleichzeitig blockiert sie jedoch die Weiterführung des Ratifikationsprozess. Der „Föderalismus-Skeptiker“ ist nach wie vor der Meinung, dass die Macht in den Händen des Staates bleiben soll, da sie dort demokratische Legitimität und Identität erhält. Das Referendum über den EU-Verfassungsvertrag barg ein gewisses Risiko für die Zukunft Großbritanniens in der Union ebenso wie für die politische Zukunft des Premierministers.

Briten würden Europa immer noch gern als Freihandelszone sehen

Abschließend ist anzumerken, dass TTony Blair es nicht geschafft hat, den Kurs der britischen Diplomatie zu ändern, die noch immer eine große Freihandelszone anstrebt. Das ist Blair als negativer Punkt in einer sonst lobenswerten politischen Bilanz zu werten. Dennoch wird Gordon Brown, der wahrscheinlich sein Nachfolger wird, 15 Monate brauchen, um den Kompromiss zu akzeptieren, der von Tony Blair im Dezember 2005 beim Gipfel in Brüssel geschlossen worden war und eine Reduzierung des „Britenrabatts“ vorsieht.

Damals hatte die Einigung, die bei der Konferenz über die EU-Finanzperspektiven 2007-2013 mit den 27 Mitgliedstaaten mühsam ausgehandelt worden war, beim äußerst euroskeptischen Schatzkanzler wenig Anklang gefunden. So wie vieles andere auch.

Werden wir Tony Blair nicht trotz allem vermissen?

Abbildung: Tony Blair aus der Webseite des Britischen Vorsitzes amù Ende 2005

Weiter lesen: Das Leben von Tony Blair auf Touteleurope.fr

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