Seit Februar 2010 balanciert Präsident Viktor Janukowitsch die Ukraine zwischen den Interessenskonflikten hin und her, hat er sich doch als Prioritäten eine gute Beziehung zu Russland sowie eine Annäherung an die EU gesetzt. Beide Parteien fordern nun jedoch eine Entscheidung, welche sich in der Unterzeichnung des EU-Abkommens am 28. und 29. November auf dem Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft im litauischen Vilnius zeigen wird.
Beziehung zwischen EU und Ukraine
Das Assoziierungsabkommen zwischen Brüssel und Kiew soll die Ukraine politisch und wirtschaftlich näher an die Europäische Union heranführen. Die EU-Gesetzgebung soll hierfür übertragen werden. Der Vertrag stellt hauptsächlich ein Freihandelsabkommen dar, welches das 1998 in Kraft getretene Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) ablösen soll. Wirtschaftlich sind die EU und Ukraine bereits eng verbunden, 29 Prozent des ukrainischen Exports gehen in Europäische Mitgliedsstaaten. Damit ist die EU nach Russland der wichtigste Handelspartner für die Ukraine. Im vergangenen Jahr wanderten mehr als 28 Milliarden Euro an Handelsgütern über die Grenze, davon wurden auch europäische Waren im Wert von 24 Milliarden Euro in der Ukraine umgesetzt.
Weiter schlossen Brüssel und Kiew 2008 ein Visumerleichterungsabkommen (VEA) ab, welches das Visaverfahren einfacher gestalten soll. Seit 2009 ist die Ukraine auch einwohnerstärkster Staat der Östlichen Partnerschaft im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP), durch welche die Beziehungen zu Nachbarstaaten der EU gestärkt werden sollen.
Die Verhandlungen bezüglich des Assoziierungsabkommens sind bereits seit dem EU-Ukraine-Gipfel im Dezember 2011 abgeschlossen, jedoch erfüllte die Ukraine zu diesem Zeitpunkt nicht die EU-Standards. An Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fehlte es, die Menschenrechte wurden nicht ausreichend geschützt. Doch sind diese Mängel eineinhalb Jahre später vollkommen aufgehoben?
In den Bereichen selektives Vorgehen der Justiz, Wahlreformen sowie Justizreformen stellte Brüssel Kriterien auf, welche die Ukraine für ein Zustandekommen des Vertrages umsetzen muss. Nach dem 16. Gipfeltreffen der EU-Ukraine im Februar dieses Jahres äußerte sich Herman Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rates, in einer Pressemitteilung positiv über eine mögliche Vertragsunterzeichnung: „Lassen Sie mich wiederholen, dass die Europäische Union darauf hofft, das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zu unterzeichnen und zu ratifizieren.“ Verbesserungen in einigen Bereichen seien sichtbar, doch müsse man die selektive Justiz weiterhin besorgt betrachten, so Rompuy.
Bei der selektiven Justiz handelt es sich vor allem um den Fall der ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko, der international viel Aufsehen erregte. Nachdem sie im Oktober 2011 wegen Machtmissbrauch zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, kritisierte die EU den Prozess als „politisch motiviert“.
Timoschenko ist eine mögliche Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen 2015. Anfang dieses Monats haben zwei EU-Gesandte ein Gnadengesuch für Timoschenko bei Präsident Janukowitsch eingereicht, welches ihr eine Behandlung in einem anderen Land ermöglichen soll. Die Reaktion aus Kiew gilt nun als ausschlaggebend für die Unterzeichnung des Assoziationsabkommen im November.
Russlands Rolle im Entscheidungsprozess
Wie auch die EU wünscht sich Russland die Ukraine als Handelspartner und drängt auf deren Beitritt in die Zollunion. Diese besteht bereits aus Russland, Kasachstan und Weißrussland. Die Ukraine als wichtiges Transitland nach Europa würde die Union bereichern. Kiew wendet sich jedoch immer mehr von Putins Plan ab und lässt deutlich werden, dass eine Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit Brüssel erwünscht sei.
Damit entscheidet sich Janukowitsch klar gegen die Zollunion. Russland droht nun verstärkt die Handelsbeziehung zwischen den Ländern einzufrieren, sollte es einen Abschluss des Abkommens mit der EU geben. Protektionistische Maßnahmen müssten in Moskau ergriffen werden, um die eigene Wirtschaft zu schützen. Jedoch lassen sich diese Maßnahmen, wie beispielsweise Importverbote, aus langfristiger Sicht nicht durchzusetzen, da Russlands Wirtschaft vom Exporthandel lebt und so die auf Gegenseitigkeit beruhende Handelsbeziehungen kappen würde. Außerdem ist die Ukraine wichtigstes Transitland für Gas- und Ölexporte nach Westen.
Eine wirtschaftliche Isolation wäre demnach schädlich, da sich Russland somit vom europäischen Markt abschneiden würde. In den vergangenen Monaten versuchte Russland die Ukraine mit Handelsbeschränkungen und Blockaden einzuschüchtern, doch erklärte der ukrainische Ministerpräsident Nikolai Asarow laut euronews: „Wir sind an Drohungen schon gewöhnt. (…)und wir hoffen auf die Unterstützung der Europäischen Union.”
Einer Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen Brüssel und Kiew scheint demnach nur noch die Begnadigung Julia Timoschenkos im Weg zu stehen. Inwieweit Russland mit seinen Drohungen ernst macht, wird sich nach dem Gipfeltreffen Ende November zeigen. Experten prognostizieren jedoch, dass Putin einen sanfteren Kurs als angekündigt einschlagen wird und ein Handelskrieg zwischen EU und Russland ausbleiben wird.
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