Deutsche Lebensmittelpolitik

„Aber wie viel ist dir dein Essen wert?“

, von  Ella Witzke

„Aber wie viel ist dir dein Essen wert?“
Unlauterer Wettbwerb: Lebensmittel zu Dumpingpreise zu verkaufen. Foto: Unsplash / Nrd / Unsplash License

„Landwirtschaft ist mehr als nur Wirtschaft. Es geht um eine Kulturlandschaft, um Nahrungsmittel, um Wertschöpfung im ländlichen Raum.“ Das bedeutet dem Kleinbauern Erwin Reinhalter der umfassende Wirtschaftsbereich der Landwirtschaft im Interview mit dem Bayrischen Rundfunk. Seit Jahren beklagen allerdings zahlreiche Bäuer*innen, die besagte Kulturlandschaft und Wertschöpfung seien in den Preisen auf dem Markt kaum noch wiederzufinden. Nach Protesten Tausender Landwirt*innen gegen die Agrarpolitik des Bundes hat Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) im Februar 2020 einen Gipfel im Bundeskanzleramt zu fairen Lebensmittelpreisen einberufen. Wie die Bundesregierung für fairere Bedingung in der Landwirtschaft sorgen will und wie Deutschlands Lebensmittelpreise im EU-Vergleich abschneiden, erklärt treffpunkteuropa.de-Autorin Ella Witzke.

Rechtswidrige Preispolitik ermöglicht Spottpreise

Seit 1999 ist die Anzahl der Betriebe nach Angaben des Deutschlandfunks um rund 44 Prozent zurückgegangen. Einer der Gründe hierfür ist das Preisdumping bei Gemüse- und Fleischprodukten. Unter Preisdumping versteht man eine illegale Preispolitik, bei der das Produkt unter den Produktionskosten verkauft wird. Tausende Landwirt*innen werfen den vier deutschen Lebensmittelgroßhändlern Edeka, Lidl, Aldi und Rewe besagte Preispolitik vor, um neue Kund*innen anzulocken und wettbewerbsfähig zu bleiben. Darüber hinaus sollen die „großen Vier“, denen zusammen knapp 85 Prozent der Marktanteile gehören, noch weitere unredliche Praktiken anwenden. Unter anderem würde die Bestellung verderblicher Ware häufig kurzfristig storniert werden. Auf Seiten der Supermärkte rechtfertigt diverse Lebensmittelgroßhändler*innen die niedrigen Preise von mitunter 2,19 EUR für einen Kilo Hähnchenschenkel mit dem Marktgleichgewicht, bei dem sich Angebot und Nachfrage die Waage halten. Außerdem bemängeln sie, dass eine vom Staat ausgehende Preisregulierung das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft angreife. Ein wirkliches Umdenken durch höhere Preise beim Verbraucher fände voraussichtlich ohnehin nicht statt, da höhere Lebensmittelpreise lediglich ärmere Personen beeinträchtigen würden.

Neue Umweltauflagen, die zu Beginn des Jahres 2020 in Kraft traten, und Werbeslogans wie „Essen hat seinen Preis verdient: den niedrigsten“, den der verantwortliche Großhändler Edeka allerdings mittlerweile zurückzog, trieben die deutschen Landwirt*innen schlussendlich im Vorfeld der Internationalen Grünen Woche im Januar in Berlin auf die Straße. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner reagierten und luden, neben 80 verschiedenen Landwirtschaftsorganisationen, die besagten vier Großhändler Anfang Februar zum Gespräch in das Bundeskanzleramt ein.

Die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln

Einer Umfrage der Süddeutschen Zeitung aus dem Jahr 2018 zufolge legen 78 Prozent der 1000 Befragten Wert auf regionale Lebensmittel. In der Praxis sieht das allerdings anders aus. Über die Hälfte der Befragten gab an, weniger Wert auf die Herkunft als auf den Preis zu legen. Biofleisch ist durchschnittlich vier Mal so teuer wie Fleisch aus konventioneller Produktion.Der Fleischkonsum in Deutschland hat sich seit 2011 bei rund 60 kg pro Kopf eingependelt. Das ist fast doppelt so viel wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt. Grund für die unverhältnismäßig niedrigen Preise ist zudem die fehlende Bepreisung von externen Kosten, wie beispielsweise Umweltschäden. Der CO2-Ausstoß, den ein Schwein durch Verarbeitung und Transport verursacht, wirkt sich also nicht auf den Endpreis aus. Angaben der Augsburger Universität zufolge wäre Milch im Supermarkt unter Einberechnung der externen Kosten doppelt so teuer.

Lösungsansatz: Durchsetzen bereits bestehender Richtlinien

Im Rahmen des Agrargipfels am 3. Februar machte Angela Merkel deutlich, keine staatlichen Eingriffe in die Lebensmittelpreise vornehmen zu wollen. So sei es Aufgabe der Politik, auf dem Markt für faire Handelsbeziehungen zwischen den Akteur*innen zu sorgen und somit ein „auskömmliches“ Gehalt für Landwirt*innen zu garantieren. Merkel erinnerte außerdem an die Molkereien, Großabnehmer*innen oder Fleischverarbeitungsfirmen, die oftmals zwischen landwirtschaftlichen Betrieben und Supermärkten stünden und ebenfalls entlohnt werden müssten.

Konkret forderte die Bundeskanzlerin das Durchsetzen der UTP-Richtlinie. Diese wurde im April 2019 im EU-Parlament beschlossen und untersagt unfaires Agieren innerhalb der Lebensmittelversorgungskette. Sie ist eingeführt worden, um Landwirt*innen ein gerechteres Gehalt zu sichern. Laut Merkel soll sie im Laufe des Jahres geltend gemacht werden. Das verhindere dann zum einen das kurzfristige Stornieren bei Bestellungen verderblicher Ware. Die Landwirt*innen blieben in diesem Fall nicht mehr auf ihren Produkten sitzen und damit auch nicht auf den Herstellungspreisen. Zum anderen käme es zu nicht länger zu verspäteten Bezahlungen des Abnehmenden mehr, was ein Finanzdefizit verhindere. Der Grünen-Agrarexperte Friedrich Ostendorff merkte an, Deutschland habe sich diesen Richtlinien ohnehin schon längst verpflichtet. Neu soll eine sogenannte „Beschwerdestelle“ sein, die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner einführen möchte, an die sich Landwirt*innen bei Problemen oder dem Entdecken von Dumpingpreisen richten können. Zudem soll eine Kommunikationsallianz zwischen Erzeuger*innen und Händler*innen die Lebensmittelwertschätzung unterstützen.

Mangelnde Lebensmittelwertschätzung: Ein deutsches Problem?

Doch ist das mangelnde Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln wirklich nur ein deutsches Problem? Laut dem Preisniveauindex von Eurostat aus dem Jahr 2018, welches das Preisniveau innerhalb der EU vergleicht, liegt Deutschland 2,4 Prozent über den durchschnittlichen europäischen Lebensmittelpreisen, bei Fleischpreisen sogar 5,9 Prozent. Somit sind Lebensmittel in Deutschland durchschnittlich sogar etwas teurer als in der restlichen EU. Der Anteil der Lebensmittelausgaben der Deutschen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) beträgt jedoch lediglich 4,7 Prozent (Stand: 2018). Weitaus geringer als beispielsweise in Rumänien, die 15 Prozent ihres BIP für Nahrung ausgeben. Rumänien liegt bei den allgemeinen Lebensmittelkosten mit 35,1 Prozent unter dem EU-Durchschnitt und bildet damit das Schlusslicht.

Frankreich, ein Land, das für qualitativ hochwertiges Essen bekannt ist, hat mittlerweile einen Mindestpreis per Gesetz festgelegt. Auch hier waren die Bäuer*innen unzufrieden. Hinzu kamen die deutschen Discounter, die sich in Frankreich niederließen und mit niedrigen Preisen den einheimischen Märkten Konkurrenz machen. Getrieben von der Sorge um eine möglicherweise schwindende Esskultur seines Landes, wagte der französische Präsident Emmanuel Macron damit den Schritt, den Angela Merkel unterließ. Er setzte Rahmenbedingungen für den Markt, indem von nun an die Lebensmittelpreise mindestens zehn Prozent über dem Einkaufspreis liegen müssen.

In Deutschland soll der nächste Agrargipfel in gleicher Formation im Herbst 2020 stattfinden. Bis dahin können Bäuerinnen und Bauern die Kommunikation mit Discountern erproben und die UTP-Richtlinie von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Die Opposition kritisiert die Maßnahmen als unzureichend. So fordert Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen, dass „ statt industrieller Großbetriebe (…) Bäuerinnen und Bauern gefördert werden sollten, die sich für Natur-, Umwelt-, Klima- und Tierschutz einsetzen".

Bleibt die Frage, ob die Endverbrauchenden den Wert in einer Lebensmittelpreiserhöhung sehen und somit bereit sind, für die Kulturlandschaft und die Wertschöpfung zu zahlen.

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