Serbien nach den Aprilwahlen

Aleksandar Vučićs „Weiter so!“

, von  Aleksandar Abramovic

Aleksandar Vučićs „Weiter so!“
Aleksandar Vučić wurde im April erneut zum Staatspräsidenten gewählt, faktisch ist er Alleinherrscher. Was bedeutet das für Serbiens Zukunft? Foto: Flickr / Morgenbesser / Flickr Lizenz

Aleksandar Vučić prägt die serbische Politik seit nunmehr drei Jahrzehnten mit und ist seit 2012 faktisch Alleinherrscher seines Landes. Wie gelang ihm sein Aufstieg, hat die Demokratie in Serbien noch eine Chance und wie wird sich das Verhältnis zur Europäischen Union gestalten?

Anlässlich der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 3. April 2022 machte Aleksandar Vučić allen Bürger*innen Serbiens Geldgeschenke. Dies überwog bei den Wähler*innen die gegen den 1,98 Meter großen Hünen erhobenen Vorwürfe: Korruption, Verbindungen zum organisierten Verbrechen, gänzliche Vereinnahmung der Presse sowie Erosion der politischen Rechte und Freiheiten der Bürger*innen.

Bekannt wurde Vučić während der 1990er Jahre, als er als Ultranationalist gegen Kroat*innen, bosnische Muslim*innen und Kosovo-Albaner*innen wetterte. Ab 2008 verschrieb er sich der Annäherung Serbiens an Europa und gründete die Serbische Fortschrittspartei (SNS). Nachdem diese 2012 die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte, hielt Vučić als Parteichef die Zügel der Macht in der Hand. 2014 ließ er sich dann zum Premierminister, 2017 schließlich zum Staatspräsidenten wählen.

In seinem Amt als Staatspräsident verwandelte er das formal parlamentarische Politiksystem Serbiens in eine faktische Präsidialdemokratie: Fortan wurden Stellen in Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung mit Parteimitgliedern besetzt, die meisten Medien des Landes auf Kurs gebracht und Steuergelder der SNS zugeschanzt. Zudem unterstellte sich Aleksandar Vučić den Geheimdienst, die Polizei und das Justizsystem. Staatliche Institutionen wandelten sich zu Exekutivausschüssen der regierenden SNS und der Klientelismus blühte. Abhängig blieb Vučić nur noch vom Willen der Wähler*innen den zu beeinflussen er keine Kosten noch Mühen scheute. Als dann auch noch das in Serbien hoch angesehene Russland die Ukraine angriff, stiegen die Popularitätswerte des serbischen Staatsoberhauptes nochmals. So konnte Vučić seinen guten Draht nach Moskau nutzen, um Serbien in unruhigen Zeiten aus Schwierigkeiten herauszuhalten.

Kein Wunder also, dass sowohl die Präsidentschafts- als auch die Parlamentswahl klar an Vučić gingen. So sicherte er sich mit 60% seine Wiederwahl zum Staatschef. Seine Partei, die SNS, hingegen verlor zwar absolut an Stimmen (was wohl auch damit zu tun hatte, dass die Wahlbeteiligung bei dieser Abstimmung deutlich höher war als in der Vergangenheit), konnte aber ihre gemeinsam mit der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) gebildete Mehrheit in der Skupština, dem serbischen Parlament, bewahren. Auch in 13 der 14 Bezirke Serbiens gewannen die Regierungsparteien die Abstimmung. Allein Belgrad hielt sich als Hochburg der Opposition.

Vučić und Putin pflegen seit langem gute Beziehungen. Auch der Krieg in der Ukraine hat daran wenig geändert.
Foto: wikimedia / Lizenz

Zerstrittene Opposition, fehlende kritische Stimmen

Die serbische Opposition hat kaum Aussicht Vučićs Macht in näherer Zukunft einhegen zu können. So kann sie mit ihren Themen medial nicht durchdringen, was vor allem daran liegt, dass, wer sich regierungskritisch informieren möchte, es in Serbien nicht einfach hat. Denn neben den öffentlich-rechtlichen Sendern hat es Aleksandar Vučić geschafft, sich auch die meisten privaten Medien zu unterwerfen. Dies tat er durch den Ankauf ihm wohlgesinnter Unternehmen. Diese erhielten staatliche Gelder und sorgten im Gegenzug dafür, dass die Berichterstattung regierungsfreundlich ausfiel. Die Medienregulierungsbehörde wiederum sah diesem Treiben tatenlos zu, da sie selbst vom Staat und damit von Vučić abhängig war und ist. Was an Medien noch übriggeblieben ist, steht, da vom Westen finanziert, bei den Leser*innen unter dem Generalverdacht des Landesverrats. Auf diese Weise preisen die meisten Medien in Serbien den Staatschef an, während den restlichen nicht geglaubt wird.

Auch von Seiten der Opposition kommt wenig Gegenwind: Sie ist tief zerstritten. Am ehesten könnten der in der politischen Mitte angesiedelte Block „Vereinigtes Serbien“ („Ujedinjena Srbija“) und das links-grüne Bündnis „Wir müssen“ („Moramo“) auf nationaler Ebene koalieren. Allerdings erhielten beide Vereinigungen bei den Wahlen zur Skupština zusammen nur 18%, was weit ab jeder Möglichkeit zur Regierungsbildung liegt. Kaum in Frage kommt eine Koalition mit der rechten Szene: Nicht nur schreckt dessen Nationalismus die Parteien „Vereinigtes Serbien“ und „Wir müssen“ ab, sondern ist diese in sich selbst gespalten und hat kaum Chancen, an dem politischen Willensbildungsprozess Serbiens teilzunehmen. Wer in der Opposition ist und selbst ambitionierte Pläne hat, hat nur die Möglichkeit, sich von Vučić in dessen System kooptieren zu lassen.

Enttäuschung über die Demokratie

Möchte man diese Entwicklung verstehen, muss man in die jüngere Geschichte Serbiens eintauchen: 2000 wurde der Autokrat Slobodan Milošević durch einen Volksaufstand gestürzt. Das Land verschrieb sich nun der Demokratie, allerdings vornehmlich aus der Erwartung heraus, dass diese den Lebensstandard der Bevölkerung auf ein mit Westeuropa vergleichbares Niveau heben würde. Serbien aber blieb ein relativ armes Land. Die Enttäuschung über das demokratische System saß tief und entwickelte sich zu einem Verdruss über den Parlamentarismus. Damit wuchs auch die Bereitschaft, sich wieder hinter einen starken Anführer zu scharen, sofern er nur stabile wirtschaftliche Verhältnisse garantieren könne.

Das nutzte Vučić als Chance. Er schaffte es, was den demokratischen Parteien nicht gelungen war, nämlich durch massive Investitionen den Lebensstandard der Haushalte mit niedrigem bis mittlerem Einkommen zu erhöhen. Zwar beträgt der monatliche Durchschnittlohn in Serbien derzeit nur 500 Euro und liegt damit weit unter dem EU-Durchschnitt. Allerdings werden die Gehälter nun pünktlich gezahlt und die Inflationsrate ist moderat. Verglichen mit den 1990er Jahren, die immer noch ein Trauma darstellen, herrschen in Serbien nahezu paradiesische Zustände. Zur Erinnerung: Während der post-jugoslawischen Kriege war die serbische Wirtschaft unter dem Druck der UN-Sanktionen fast vollständig zusammengebrochen und hatten 80% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze gelebt.

Dieses Trauma, der Wunsch nach Wohlstand und die Enttäuschung über die Demokratie bei breiten Bevölkerungsschichten konnte Aleksandar Vučić nutzen, um sich fest an der Spitze Serbiens zu etablieren. Einer eigentlichen Programmatik scheint der Staatschef indessen nicht zu folgen. Es scheint ihm vorrangig um den reinen Machterhalt zu gehen. Dabei kann er auch auf den Opportunismus seiner Landsleute rechnen: Wer einen der gut bezahlten Arbeitsplätze in den Staatsbetrieben oder der öffentlichen Verwaltung ergattern möchte, benötigt ein Parteibuch der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) und den Nachweis, bei den Wahlen für Vučić gestimmt zu haben.

Eine stabile Wirtschaft, die faktische Nicht-Existenz einer medialen „vierten Gewalt“ und eine handlungsunfähige Opposition sind die wichtigsten Pfeiler von Vučićs Macht. Hat die Demokratie vor diesem Hintergrund in Serbien also noch eine Chance? Nach dem seit 2012 eingesetzten Exodus von einer halben Million Staatsbürger*innen ist das Land kaum in der Lage sich selbstständig zu modernisieren. Dem Präsidenten droht Ungemach nur im Fall, dass die Europäische Union ihre Hilfszahlungen an Belgrad einstellt und die serbische Wirtschaft einen starken Einbruch erlebt. Diese wirtschaftliche Abhängigkeit prägt maßgeblich das Verhältnis zwischen Serbien und der EU.

Haltung gegenüber der EU

Somit ist das serbische Verhältnis zur Europäischen Union ambivalent. Die EU und insbesondere Deutschland sind die wichtigsten Investoren Serbiens. Daher strebt die serbische Regierung den EU-Beitritt an. Andererseits wird der Westen in Serbien teils feindselig betrachtet, was auf die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre zurückgeht. In Serbien wird über die von eigenen Streitkräften verübten Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo nicht gesprochen. Doch um seine Herrschaft nicht zu gefährden, muss Vučić der öffentlichen Meinung Serbiens Tribut zollen und kann in den Verhandlungen mit der Europäischen Union kaum wie von dieser gefordert, den Anspruch auf den Kosovo zurückziehen. So verliefen die 2014 begonnenen Beitrittsverhandlungen mit Brüssel im Sande. Dennoch verstehen die EU-Staaten Vučić als Sicherheitsgarant für einen anhaltenden Frieden auf dem Westbalkan. Aus Sicht der Europäer*innen soll unbedingt verhindert werden, dass Vučić aus Gründen des Machterhalts nationalistische Interessen verfolgt, welche neue kriegerische Auseinandersetzungen entfachen könnten.

Ein Ausblick: Droht eine ultranationalistische Wende in Serbien?

Welche Folgen werden die Aprilwahlen für die Zukunft Serbiens haben? Voraussichtlich wird der serbische Präsident seinen innen- wie außenpolitischen Kurs beibehalten. Eine Gefahr erwächst Vučić allenfalls aus dem russischen Ukraine-Krieg: Brüssel erwartet von Belgrad, sich gegen Russland zu wenden und den gegen Moskau gerichteten westlichen Sanktionen beizutreten. Sollte Vučić die anti-russischen Sanktionen nicht unterstützen, könnte die EU mit dem Entzug der Investitionen in Serbien drohen. Doch eine Wende gegen den Kreml ist für den serbischen Präsidenten aufgrund der historischen Verbundenheit mit Russland innenpolitisch nicht ohne weiteres möglich. Gleichzeitig fürchtet Brüssel, dass die bisherige politische Stabilität Serbiens in eine ultranationalistische Wende umschlagen könnte. Daher wird die EU Vučić, auch wenn er die guten Beziehungen zu Moskau aufrechterhält, nicht allzu heftig unter ökonomischen Druck setzen. Folglich ist es möglich, dass Vučić ein „Weiter so!“ gelingt.

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