Auf dem Weg zu einer feministischen EU-Außenpolitik: Jenseits der Hallen der Macht

, von  Irene Queralt Santamatilde, übersetzt von Nikolas Kockelmann

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Auf dem Weg zu einer feministischen EU-Außenpolitik: Jenseits der Hallen der Macht
Ursula von der Leyen nach ihrer Wahl zur ersten EU-Kommissionspräsidentin, 2019. Foto: Europäisches Parlament / Fotograf*in unbekannt / Europäische Union, 2019

Im Jahr 2020 war das Thema Gender sehr präsent in Diskussionen rund um die Europäische Union (EU). Sowohl Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyens Einsatz dafür, „Diskriminierung zu bekämpfen und Geschlechtergerechtigkeit zu fördern“ (2020), als auch die neue „Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter“ der EU-Kommissarin Dalli scheinen Gender in den EU-Institutionen und in der Politik zu etablieren.

Auch in der Diskussion um die Rolle der EU als globaler Akteur spielt das Thema Gender eine zentrale Rolle. Im August letzten Jahres legten Ernest Urtasun und Hannah Neuman, grüne Abgeordnete im Europäischen Parlament (EP), einen mutigen und notwendigen Bericht vor, in dem sie die EU aufforderten, eine feministische Außenpolitik zu betreiben. (Dieser Bericht basiert auf einer Studie, die beim Centre for Feminist Foreign Policy in Auftrag gegeben wurde. Die vollständige Studie können Sie hier lesen) Ihr Vorschlag zielte darauf ab, die Gleichstellung der Geschlechter als integralen Bestandteil der Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu betrachten.

Der Bericht ist nicht verpflichtend, stellt aber einen Fahrplan, um die Gleichstellung der Geschlechter durch die Außenpolitik zu erreichen und dadurch sowohl die Repräsentanz von Frauen im Feld als auch den Zugang zu finanzieller Hilfe zu erhöhen. Ihre Herangehensweise bezieht Gender in die Formulierung der Außenpolitik ein, mit besonderem Augenmerk auf Themen wie sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt in Konflikten, Migrationspolitik (wie die Bekämpfung von Belästigung und Gewalt, Asylpolitik, Sexhandel) und die Aufnahme von Gender-Kapiteln in Handels- und Investitionsabkommen mit Drittstaaten. Darüber hinaus wird hingewiesen, dass es notwendig ist, den Waffenhandel zu beenden, eine geschlechtsspezifische Analyse von Konflikten anzuwenden, Schulungen zur Geschlechtergleichstellung durchzuführen sowie Quoten für Mitarbeiter*innen und Delegationen des Europäischen Auswärtigen Dienstes aufzunehmen.

Doch was bedeutet es, eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik zu betreiben? Und warum ist sie wichtig?

Feministische Außenpolitik außerhalb des weiblichen Universalismus verankern

Feministische Außenpolitik wurde von unterschiedlichen Ländern wie Schweden, Kanada, Mexiko und zuletzt auch von Spanien übernommen. Alle sind dabei einerseits durch motiviert, einen Mangel an außenpolitischen Gender-Analysen und andererseits durch die Notwendigkeit, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu bekämpfen. Dabei haben sich einige wie Schweden auf die Erhöhung der Repräsentation von Frauen in diplomatischen Delegationen konzentriert, während andere wie Kanada sich auf die Rolle des Handels und des Privatsektors konzentriert haben.

Es ist fast unmöglich, eine universelle Einigung über die Bedeutung von feministischer Außenpolitik und die damit verbundenen politischen Maßnahmen zu erzielen. Ebenso ist es kaum möglich, feministische Außenpolitik oder ihren Erfolg zu messen. Das liegt teilweise an der Komplexität feministischer Außenpolitik sowie an der Bandbreite der Themen, die es ansprechen soll. Das macht es schwierig, eine Einigung über ihren Fokus oder ihre Priorität zu erzielen. Ein weiterer Grund dafür kann auch sein, dass die grundsätzlichen Feminismen in der Gesellschaft sehr verschieden sind, wodurch sie unterschiedliche Herangehensweisen und Ziele mitbringen.

Die Vielfalt an Herangehensweisen der feministischen Außenpolitik ist jedoch nicht als Problem zu sehen. Stattdessen ist es entscheidend, von einem universellen Verständnis wegzukommen. Wir sollten unsere Annäherung an feministische Außenpolitik damit beginnen, unsere Vorstellung von Feminismus zu hinterfragen und sicherstellen, dass sie sich von dem privilegierten weißen Feminismus, der in der westlichen Welt vorherrscht, wegbewegt. Andernfalls besteht die Gefahr, ein exklusiver weißer Frauenclub zu werden, der andere unterdrückerische Attribute an Frauen als universell reproduziert.

Genauso wie wir neutrale Formulierungen von Außenpolitik überdenken müssen, welche die unterschiedlichen Geschlechter nicht berücksichtigt haben, dürfen wir nicht denken, dass eine „standard-feministische“ Außenpolitik durch die bloße Einbeziehung von Frauen in außenpolitischen Positionen zu einer emanzipatorischen Politik führen wird. In der Tat führt eine größere Anzahl von Frauen in Machtpositionen nicht unbedingt zu einer feministischeren und friedlicheren Welt.

Vielmehr sollten wir sicherstellen, dass feministische Außenpolitik als Antwort auf die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern aufgebaut wird. Sie soll darauf abzielen, historische und strukturelle Machtverhältnisse, anzugreifen und zu verändern, welche durch jene Ungleichheit aufrechterhalten wird.

Machtbeziehungen grundsätzlich ändern

Das Mainstreaming von Frauen in der Außenpolitik reicht nicht aus, um Ungleichheiten wirklich zu verändern und zu beenden. Es birgt außerdem die Gefahr, dass der Feminismus dazu benutzt wird, ein hierarchisches, ungleiches und ausgrenzendes System der Außenpolitik zu legitimieren. Feministische Außenpolitik sollte über einen rein reaktiven Ansatz, der die Geschlechterdimensionen als analytisches Instrument anerkennt, hinausgehen. Die richtige Richtung wäre eine Herangehensweise, die darauf abzielt, alle zusammenhängenden Schichten und Strukturen zu verändern, die zu einer ungleichen Machtverteilung beitragen.

Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den Ursachen von Ungleichheiten, gefolgt von der Anerkennung der verschiedenen strukturellen, historischen und institutionellen Dimensionen von Ungleichheit. Das ist durch eine Machtanalyse bei jedem Schritt der Implementierung feministischer Außenpolitik möglich. Feministische Außenpolitik soll nicht nur Machtstrukturen identifizieren und ihre Auswirkungen begrenzen, sondern aktiv auf Dekonstruktion und Transformation diese Strukturen hinarbeiten.

Der Wechsel von Bewusstsein zu Transformation ist besonders relevant für Akteure wie die EU, die auf einer tiefgreifenden kolonialen Geschichte aufbauen. Es erfordert in dieser Hinsicht ein tiefergehendes Verständnis der Rolle, die Außenpolitik bei der Verfestigung dieser kolonialen Narrative in unseren Beziehungen zu anderen Ländern bisher spielte. Um dieses Paradigma zu verändern, sollte feministische Außenpolitik daher auch einen selbstkritischen Ansatz verfolgen, der sich damit auseinandersetzt, auf welche Art und Weisen Außenpolitik zur Aufrechterhaltung von Ungleichheiten und Unterdrückung beiträgt. Wenn eine außenpolitische Strategie den Waffenhandel mit solchen Ländern verfolgt, welche die Rechte von Frauen und nicht geschlechtskonformen Menschen verletzen - wie können wir dann darauf vertrauen, dass diese Außenpolitik sich für den Feminismus einsetzt?

Feministische Außenpolitik muss intersektional sein

Feministische Außenpolitik muss auf einer Überzeugung von Intersektionalität aufgebaut sein. Das bedeutet, es muss die Überschneidung von Geschlecht mit anderen Strukturen der Unterdrückung wie Rasse, Sexualität, Klasse, Kaste, Behinderung, Kolorismus oder Nationalität und weiteren anerkennen. Aber eine intersektionale Sichtweise bedeutet nicht nur, die Repräsentation zu diversifizieren. Das Konzept der Intersektionalität soll die Art und Weise identifizieren, in der verschiedene Schichten von Machtbeziehungen und Strukturen gleichzeitig wirken. Die Außenpolitik sollte diese demontieren und in ein demokratischeres und egalitäreres System umsetzen.

Intersektionalität als Methode oder als „Werkzeug“ für Transformation einzubeziehen, bedeutet darüber hinaus, Raum für lokales Wissen, Einbeziehung der Unterdrückten in Führungsarbeit sowie postkoloniale Erkenntnisse im Zentrum feministischer Außenpolitik zu schaffen. Es muss ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden. So soll die Reichweite der feministischen Außenpolitik erweitert werden, um die Zusammenhänge verschiedener Politikbereiche zu verstehen. Diese Bereiche mögen a priori unverbunden erscheinen, aber müssen als Ganzes angegangen werden (wie sexuelle und reproduktive Gesundheitsrechte, Migration und Sicherheit).

Gegenseitige Abhängigkeit – in der Welt sitzen wir alle im selben Boot

Der Kern feministischer Außenpolitik sollte darin liegen, dass wir zum Überleben uns gegenseitig und unsere Umwelt brauchen. Daher sollte sie auf Zusammenarbeit, Gemeinschaft und gegenseitige Abhängigkeit statt auf Konkurrenz basieren.

Letztlich sollte die Annahme eines gegenseitig abhängigen und gemeinschaftlichen Ansatzes für feministische Außenpolitik die Kluft zwischen Mächtigen und Verletzlichen aufheben. Das ist besonders in der internationalen Sicherheitspolitik und der humanitären Hilfe wichtig. In diesen Bereichen gibt es üblicherweise ein Narrativ, welches eine Figur bestimmter Gruppen schafft, die verletzlich und machtlos sind. Diese Figur habe die Hilfe eines Retters (der die Macht hat) nötig, um geschützt und ermächtigt zu werden, um diese Verletzlichkeit zu überwinden und ein lebenswertes Leben zu führen. Demzufolge kann das, was wie eine Bereitstellung von Sicherheit oder Befähigung erscheinen mag, am Ende weitere Abhängigkeit und Ungleichheit schaffen.

Das soll allerdings nicht heißen, dass es keine geschlechtsspezifische Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen oder Unsicherheit geben muss. Sie ist in der Tat absolut notwendig. Feministische Außenpolitik sollte sich jedoch nicht darauf beschränken, zu verstehen, dass Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit unter den Auswirkungen eines internationalen Konflikts leiden oder sexuell gehandelt werden und deshalb besondere Verfahren benötigen, um Asyl zu beantragen (was sie wirklich brauchen!). Es geht darum, zu erkennen, dass die Macht des Feminismus darin besteht, eine andere Realität zu schaffen. In dieser Realität sind Grenzen nicht so reguliert, wie sie es derzeit sind, Asylverfahren würden nicht Jahre dauern, und es würde Zugang zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsrechten und Sicherheit geben, unabhängig davon, welchen wirtschaftlichen Status man hat.

Jenseits der Machtzentren

Feministische Außenpolitik muss darauf abzielen, unterdrückende Machtstrukturen zu verändern, um eine gleichberechtigtere und gerechtere Welt für alle zu schaffen. Ihre Politik sollte nicht nur darauf abzielen, Frauen zu schützen oder sie zu befähigen, die „Hallen der Macht“ zu betreten, sondern die Art und Weise zu verändern, wie diese „Korridore der Macht“ und ihre „Eingänge“ gebaut sind, oder sie sogar ganz zu abbauen.

Wir können die ersten Schritte in Richtung dieser Veränderung in den ersten Berichten aus dem Europäischen Parlament sehen. Jetzt müssen wir nur weiter darauf drängen, diese Schritte noch feministischer zu gestalten: grüner, antirassistischer, demokratischer, mehr auf Gleichheit als Ziel an sich ausgerichtet, auf eine gegenseitige Abhängigkeit, die im Kern unserer Existenz liegt und auch im Kern unserer Außenpolitik liegen sollte.

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