Auf der Suche nach einem europäischen Medienprojekt

, von  Anna Hubert, übersetzt von Stéphanie-Fabienne Lacombe

Alle Fassungen dieses Artikels: [Deutsch] [français]

Auf der Suche nach einem europäischen Medienprojekt
Sendezentrum von Euronews in Lyon. © mgaloseau / Flickr/ CC BY-SA 2.0-Lizenz

Die große Sprachenvielfalt und Diversität der Kulturen wird oft als Argument gegen ein gemeinsames europäisches Medienprojekt angeführt. Eine mediale Informationsplattform für ganz Europa erscheint als ein ambitioniertes Projekt. Vor einem Jahr startete Politico Europe einen Versuch in diese Richtung. Zeit, sich in der europäischen Medienlandschaft umzuschauen.

Einige Indizien sprechen für den Willen, einen europäischen Journalismus aufzubauen: es gibt ein Europäisches Zentrum für Presse- und Medienfreiheit, ein European Journalism Center, einen europäischen Journalistenpreis, sowie Masterprogramme und Vereine. Dennoch hat sich bisher kein europäisches Medium für eine breite Öffentlichkeit etablieren können. Damit sind weder die europabezogene Berichterstattung in den nationalen Medien noch die offiziellen Medienkanäle der EU-Institutionen gemeint. Vielmehr geht es um auf Europathemen spezialisierte Medien, die sich mit den EU-Institutionen sowie der aktuellen Nachrichtenlage in den Mitgliedsstaaten auseinandersetzen - und dies über Grenzen hinweg. Einige Projekte gehen in diese Richtung wie z.B. Europolitique und die Webseiten EurActiv, EU Observer oder Euronews. Dennoch bleiben EU-Themen oft Nischenbereiche in der Berichterstattung. Teilweise sprechen die Publikationen nur ein bestimmtes zahlungskräftiges Publikum an (ein Abonnement des Bulletin Quotidien Europe kostet 1860€ pro Jahr), oder beschränken sich auf einen Vertrieb in Brüssel, Straßburg und Luxemburg. Dass alle Artikel auf Englisch verfasst werden, schließt zudem nicht wenige Leser aus.

Eine elitäre Leserschaft?

Es scheint, als habe sich bisher kein paneuropäisches Presseorgan, das es vielen Lesern ermöglichen würde, sich über EU-Politik und Nachrichten zu informieren, dauerhaft etablieren können. So wurde aus der 1990 gegründeten mehrsprachigen Tageszeitung „The European“ rasch eine britische Zeitung über Europa. In Frankreich wurde 1998 „L’Européen“ gegründet, das Projekt zu europäischer Verständigung dauerte jedoch keine fünf Monate. Euronews, 1993 gestartet, vermittelt Inhalte in 13 Sprachen und beschäftigt 400 Journalisten und muss dennoch mit finanzieller Knappheit kämpfen. So hat das Nachrichtenportal weder eigene Kameras noch genug Mitarbeiter zur Verfügung und muss sich darauf beschränken, Bilder der Agenturen und nationalen Medien zu verarbeiten. Eine objektive Berichterstattung ist so nur schwer möglich, zudem werden nicht alle geographischen Bereiche abgedeckt. Auch der Publikumsdurchschnitt ist männlich, 47 Jahre alt, in Leitungsfunktionen und somit ist Euronews auch ein relativ elitäres Medium.

Ein herausforderndes Projekt

Der europäische Journalismus sieht sich mit mehreren Schwierigkeiten konfrontiert. Es steht zur Debatte, ob es eine europäische Öffentlichkeit aufgrund der Diversität der Kulturen und Alltagsrealitäten überhaupt geben kann. Bei der redaktionellen Arbeit sielt jedoch ein relativ homogenes Publikum, dessen Erwartungen und Interessensgebiete einschätzbar sind, eine große Rolle für die Orientierung der Berichterstattung. Auch die sozio-kulturellen Referenzen sind in Europa sehr verschieden. Das einzige Publikum, das gemeinsame europäische Referenzen teilt, ist meist ein Akademikerpublikum.

Hinzu kommt, dass das Gewinnen von Sponsoren und Anzeigenkunden für ein diffuses europaweites Publikum schwierig werden könnte. Außerdem sind die Gewohnheiten, was den Konsum von Medien betrifft, von Land zu Land verschieden. Im angelsächsichen Raum sind Tabloids weit verbreitet und in Deutschland entspricht rein faktenbasierter Journalismus den Erwartungen der Leser eher als in Frankreich.

Auf Seiten der Redaktionen sind auch die Journalisten unterschiedlich ausgebildet und an verschiedenste Arbeits- und Schreibweisen gewöhnt, wobei es jedoch keine spezielle ortsbezogene Zielgruppe gäbe und alle für das gleiche Publikum arbeiten würden. Hier zu empfehlen ist die Arbeit von Olivier Baisnée. Der Brüsseler Journalist Jean-Paul Marthoz beklagt, dass bereits existierende europäische Medien nicht investigativ genug arbeiten würden.

Eine neue europäische Öffentlichkeit

Die junge Generation könnte eine neue europäische Öffentlichkeit bilden. Mobil und im Netz aktiv, empfinden sich viele als schlecht über Europa informiert. Eine Nachfrage, der die Fernsehjournale kaum engegenkommen, dominiert nationale Berichterstattung doch die Schlagzeilen. Jedoch ist eine transnationale Sichtweise bei gemeinsamen Herausforderungen wie der Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit oder Flüchtlingsbewegungen von großem Interesse.

Einige junge Projekte bewegen sich in diese Richtung: die Seiten von treffpunkteuropa.de, Le Taurillon & Co, oder auch „Café Babel“ sind das beste Beispiel dafür. Partizipativer Journalismus und Übersetzungen bilden die Basis der internationalen Medienprojekte. Auch wird grenzüberschreitende Kooperation zwischen Journalisten immer häufiger. Im letzten Jahr unterzeichneten Redaktionen aus sieben Ländern die „Leading European Newspaper Alliance“, eine Vereinbarung, die den Ausstausch von Artikeln sowie gemeinsame EU-weite Recherchen ermöglicht.

Seit 2015 mischt nun auch eine US-amerikanische Webseite mit. Ursprünglich widmete sich Politico der US-amerikanischen Politik. Mit sieben Millionen monatlichen Aufrufen ein großer Erfolg. Seit April 2015 berichten nun amerikanische und europäische Journalisten auf Politico.eu auf Englisch über europäische Nachrichten. Obwohl die meisten Artikel eher pro-europäisch geprägt sind, hält das Blatt an seiner neutralen Stellung zur EU fest und erklärt, „weder für noch gegen“ die EU zu sein. Eine originelle Position, die das Publikum auch für Europakritiker öffnet. Das Businessmodell der Seite ist interessant. Politico Europe arbeitet mit dem deutschen Mediengroßkonzern Axel Springer zusammen. Mit dem Kauf von „The European Voice“ hat die Redaktion Zugang zu Archiv- und Datenmaterial erhalten können. Regelmäßige Veranstaltungen ermöglichen den Journalisten Networking und Kontakte. „Politico Pro“ bietet weitere kostenpflichtige Inhalte zu den Bereichen Energie, Telekommunikation und Industrie an, die vor allem die europäischen Entscheidungsträger interessieren dürften. Die Webseite finanziert sich größtenteils über diesen Newsletter und findet in der jungen Leserschaft ein interessiertes Publikum. Wenn sich junge neue Medien etablieren, bildet sich vielleicht auch bald ein europäische Öffentlichkeit.

Ihr Kommentar
  • Am 1. August 2016 um 00:23, von  Jürgen Schuft Als Antwort Auf der Suche nach einem europäischen Medienprojekt

    Unsere Website zur Stärkung der europäischen Öffentlichkeit steckt noch in den Kinderschuhen - aber wohin die Reise gehen soll, müsste ganz gut erkennbar sein. Was haltet Ihr davon? Siehe: http://voicesofeurope.net

  • Am 1. August 2016 um 15:00, von  Marcel Wollscheid Als Antwort Auf der Suche nach einem europäischen Medienprojekt

    Lieber Jürgen Schuft,

    danke für Ihr Interesse & den Hinweis. Können Sie das Konzept der Seite genauer erläutern?

    Beste Grüße, Marcel Wollscheid

  • Am 5. August 2016 um 13:05, von  duodecim stellae Als Antwort Auf der Suche nach einem europäischen Medienprojekt

    Ich habe Treffpunkteuropa zuletzt bisschen vernachlässigt. Das rächt sich nun: Hier wird ein Artikel über genau mein Kernthema veröffentlicht und ich kriege es nicht mit. Vorweg nochmal ein allgemeines Lob an Stephanie Lacombe, dafür dass sie sich einsetzt Treffpunkt/Taurillon/NewFederalist/Eurobull/nuevofed ein wenig zu „synchronisieren“. Danke nochmal an dieser Stelle an sie und Anna Hubert für das schreiben des Artikels.

    In meinen Augen ist eigentlich die Politik gefragt: Wir brauchen ein „Erstes Europäisches Fernsehen“ als öffentlich rechtlichen Sender mit gleichem Content in verschiedenen Sprachen (wie bei Arte oder Euronews)! Mein Ansatz um dafür zu sorgen, dass dieser Sender auch gesehen wird wäre radikal und würde sicher einige Leute erzürnen. Ich schlage vor einige nationale ÖR sender einzumotten, wie z.B. ZDF, France 2, Rai 2... und sie zu einem Sender zu fusionieren. Wichtig dabei ist, dass man die Quotenstärksten Programme aus den nationalen Quoten in den neuen Sender übernimmt und so das Publikum „zwingt“ den neuen Sender zu schauen, wenn sie ihre Liebilgssendung weiter sehen wollen. Natürlich muß der neue Sender auch den exklusiven Sendeplatz behalten, den der alte nationale ÖR Sender hatte. Man hätte dann einen Mix aus Unterhaltung (Film, Serien, Sport), Kunst/Kultur und Nachrichten, vielleicht kann man sogar mehrsprachige Talkshows auf die Beine stellen, oder Unterhaltungsshows. Wichtig dabei ist, dass man international besetzte Redaktionen hat, die das Programm zusammen gestalten. Das Programm muß merhsprachig sein, die Übersetzer zu beschäftigen wird viel Geld kosten. Deshalb muß man sich zunächst neben Englisch auf die großen Sprachgruppen konzentrieren: Deutsch (DE, AT, Lux: ca. 90 Mio), Französisch (FR, BE, Lux: ca. 70 Mio), Italienisch (ca. 60 Mio), Kastilisch (ca. 40 Mio), Polnisch (ca. 35 Mio), Rumänisch (ca. 22 Mio), Niederländisch (NE, BE: ca. 20 Mio)...

    Aber selbst wenn man das Programm nur auf Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch hätte, könnte man einen Medienmarkt abdecken, der ungefähr so groß ist wie die USA. Das ist Stichwort nummer zwei: Wenn die Politik weiterhin eine europäische Kulturpolitik verpennt, dann sollte zumindest aus dem Privatsektor eine Initiative kommen. Ich wiederhole: Ein Medienmarkt so groß oder größer als der US-Markt. Da gibt es Cashcows zu melken, aber keiner traut sich an den Euter. Man könnte mit entsprechenden Konsumenten Zahlen ein Medienimperium aufbauen, so groß wie das von selbsterklärtem EU-Hasser Rupert Murdoch. Und das Argument die nationalen Konsumgewohnheiten oder Lebenswirklichkeiten wären zu unterschiedlich zählt doch nicht mehr in Zeiten des globalen PokemonGo-hypes. Mit einem vernünfigem Mix aus Unterhaltung und anspruchsvollem Journalismus könnte man sogar die Bürger über die Europäische Politik informieren und Vorurteile ausräumen, aber auch kritisch über einzelne Politiker und Fehlverhalten berichten...

  • Am 5. August 2016 um 13:05, von  duodecim stellae Als Antwort Auf der Suche nach einem europäischen Medienprojekt

    ... Aber es geht hier nicht um Propaganda.

    Nummer drei: wenn es die Politik nicht macht und das Big Biz auch nicht, dann müssen wir ehrenamtliche engagierten europäischen Journalisten, kleine Blogger oder um den arroganten Hans Ulrich Jörges zu zitieren „Loserjournalisten“ es in die Hand nehmen. Ich habe gerade einen Twitteraccount gestartet, der Mehrsprachig news und anderes zu Europa twittert. @12stellae Ich rufe alle auf, die Sprachbegabt und Europatechnisch engagiert sind mich über twitter zu kontaktieren. Lasst uns Ideen sammeln um Grassrootsmäßig ein paneuropäisches mehrsprachiges Medium über das Interner auf die Beine zu stellen. Egal ob Blog, Youtubechannel, Twitter. Wichtig ist gute Vernetzung und Ambition auf aggressives Publikumswachstum, damit man eine kritische Masse erreicht, die von Relevanz ist.

    Wir brauchen diese Europäische Wahrnehmung, weil sie die Grundlage für eine gemeinsame Öffentlichkeit und Identität ist. Der Mangel an Europäischer Identität in der Bevölkerung ist letzlich der Grund, warum die Eurokrise nicht gelöst wurde, warum die Flüchtlingskrise nicht gelöst wurde und letzlich auch der Brexit passiert ist. Wir brauchen um das Europäische Projekt und damit unser aller Wohlstand und Sicherheit zu retten nicht weniger als eine Europäische Kulturrevolution. Förderung von Mehrsprachigkeit, europapolitische Bildung in den Schulen („wie funktioniert das EU-System“) und europäisches Fernsehen für die breiten Massen. Wenn dies nicht in Angriff genommen wird, wird das Siechtum weiter gehen, bis die Europäische Union das Schicksal des Römischen Reiches oder der Sowjetunion erleiden wird. Jedenfalls ging es den Bürgern jener politischen Gebilde nach deren Zerfall deutlich schlechter, das ist ein historischer Fakt, der jeden beunruhigen sollte, selbst notorische EU-Hasser wie Farage.

  • Am 18. August 2016 um 21:43, von  Stéphanie-Fabienne Lacombe Als Antwort Auf der Suche nach einem europäischen Medienprojekt

    vielen Dank Michael für deine engagierten und ambitionierten Vorschläge! Das Treffpunkt(Le Taurillon/The New Federalist/Eurobull/El Nuevo Federalista-Team setzt sich in diese Richtung ein. Die Leserschaft wächst, ein gutes Zeichen für den europaweiten Journalismus, aber dennoch ist da noch Luft nach oben!

Ihr Kommentar
Vorgeschaltete Moderation

Achtung, Ihre Nachricht wird erst nach vorheriger Prüfung freigegeben.

Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom