Mythos 1 : Die „Faulen“ (ost- und südeuropäische Länder) wollen sich auf Kosten der „Fleißigen“ (nord- und westeuropäischen Länder) stabilisieren.
Das Bildungsniveau gilt oft als ein Indikator, dafür ob ein Staat eine große wirtschaftsstärke besitzt. Viele süd- und osteuropäische Länder haben ein hohes Bildungsniveau und modernisieren aktiv ihre Wirtschaft, dennoch werden ihnen Faulheit und wirtschaftliche Schwäche nachgesagt. 2023 zeigte eine Studie den Prozentsatz der Bevölkerung in EU-Staaten mit einem Universitätsabschluss : Irland – das „reiche“ Nordwesten – liegt mit 62,7 Prozent an der Spitze, dicht gefolgt von Zypern – dem „faulen“ Südosten – mit 61,6 Prozent. Dies zeigt, dass das Bildungsniveau kein eindeutiger Indikator dafür ist, dass intelligente Länder automatisch „reiche und fleißige“ Länder sind oder umgekehrt.
Zum Vergleich : Deutschland, das in Bezug auf Wirtschaftskraft und Fleiß immer als der große EU-Player gilt, liegt mit 38,4 Prozent gerade mal auf dem 28. Platz und noch unter dem EU-27-Durchschnitt (43,1 %). In den letzten zwei Jahrzehnten hat es in Europa eine starke Bildungsausweitung gegeben, die insbesondere durch große Veränderungen in den südeuropäischen Staaten vorangetrieben wurde.
Die Euopäsiche Union ist ein Geben und Nehmen – kein Spiel, bei dem es nur Gewinner oder Verlierer gibt. Die damit einhergehende Annahme, dass die Erweiterung nur den neuen Mitgliedstaaten zugutekommt, kann deshlab nicht bestätigt werden. Zwar müssen die älteren Mitgliedstaaten möglicherweise vorübergehend mehr zu den EU-Strukturfonds beitragen, als sie am Ende zurückbekommen, doch profitieren letztlich alle Mitglieder von einem stärkeren Binnenmarkt.
Das Märchen vom „Faulenzen“ der einen und „Schuften“ der anderen basiert auf Stereotypen und einer verzerrten Wahrnehmung. Historische Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung, häufige negative Berichterstattung über Korruption und tief verwurzelte Vorurteile verstärken dieses Bild. Solche Urteile ignorieren jedoch die echten Fortschritte, die diese Länder gemacht haben. EU-Integration trägt letzendlich zu noch mehr Wachstum und Stabilität für die gesamte Union bei.
Mythos 2 : Die letzten Erweiterungen erfolgten zu schnell, weshalb die EU nun gegen demokratische Rückschritte ankämpfen muss.
Ein weit verbreitetes Vorurteil ist, dass die jüngsten EU-Erweiterungen zu schnell erfolgten, was dazu führt, dass in einigen Mitgliedstaaten gegen demokratische Rückschritte gekämpft werden muss – die Gründe für diese Wahrnehmung sind vielfältig. Eine häufige Annahme ist, dass eine schnelle Integration neuer Staateb in die Union nicht genügend Raum für die Konsolidierung demokratischer Strukturen ließ.
Die EU-Integration selbst kann jedoch ein stabilisierender Faktor für die Demokratie sein. Denn der EU-Beitritt ist an die Erfüllung strenger Kriterien gebunden, wie demokratische Grundsätze, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte. Diese Bedingungen ermutigen die Kandidatenländer, ihre politischen Systeme zu reformieren und zu stabilisieren. Darüber hinaus bietet die EU verschiedene Mechanismen und Programme zur Unterstützung demokratischer Reformen an, die langfristig zur Stärkung demokratischer Strukturen beitragen können.
Es sind nicht alle neuen Mitgliedstaaten gleichermaßen von demokratischen Rückschritten betroffen, wobei einige Länder zeigen, dass Fortschritte in der Demokratie möglich sind. Beispiele für Staaten wie Kroatien, die erfolgreich institutionelle Reformen umgesetzt haben, zeigen, dass die EU-Erweiterung positive Auswirkungen haben kann, selbst wenn es Rückschläge gibt (wie zeitweise in Polen).
Die Erweiterung von 2004, insbesondere der Beitritt vieler osteuropäischer Staaten, erfolgte vor dem Hintergrund eines politischen Wandels, der mit wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen einherging. In vielen dieser Länder (wie Polen oder Tschechien) waren die Institutionen nach Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft schwach und eine unterschiedliche Auffassungen von Demokratie und der Marktwirtschaft führten zu Verunsicherung. Kritiker argumentieren, dass diese Faktoren durch die rasche EU-Erweiterung noch verschärft wurden, weswegen die Erweiterung als zu übereilt angesehen werden kann. Das bedeutet es jedoch nicht, dass der EU-Beitritt die falsche Entscheidung war.
Mythos 3 : EU-Reform und Erweiterung sind zwei getrennte Prozesse.
Die Aussicht auf einen EU-Beitritt hat in den Kandidatenländern Reformen vorangetrieben, die geopolitische Position der EU gestärkt und die Union dazu veranlasst ihre institutionelle Struktur zu verbessern, um ihre Handlungsfähigkeit zu erhöhen. Während die EU sich auf die Erweiterung vorbereitet, muss sie ihre Funktionalität verbessern. Erweiterung und Reform schließen sich jedoch nicht gegenseitig aus – sie sind voneinander abhängig und gehen Hand in Hand.
Die Geschichte zeigt, dass Erweiterungsrunden oft von Änderungen der EU-Verträge begleitet wurden. Die Änderungen des Vertrags von Amsterdam (1997) und des Vertrags von Nizza (2001) ermöglichten die Erweiterungen im Jahr 2004. Doch seit dem Vertrag von Lissabon (2007) ist der Vertiefungsprozess ins Stocken geraten und die Verträge wurden nicht überarbeitet. Der neue institutionelle Zyklus der EU (2024–2029) steht vor einer entscheidenden Herausforderung : sowohl die Erweiterung als auch die Vertiefung der Union. Die aktuelle politische Lage lässt jedoch wenig Begeisterung für interne institutionelle Reformen erkennen. Die Mitgliedstaaten wollen die Einstimmigkeit bei Abstimmungen im EU-Rat nicht aufgeben. Zur Vorbereitung auf eine mögliche EU-Erweiterung hat die Kommission politische Überprüfungen vor der Erweiterung vorbereitet und betont, dass alle Parteien sich vorbereiten müssen, um alle Vorteile einer EU-Mitgliedschaft nutzen zu können.
Hand in Hand in eine europäische Zukunft
Durch die Aufschlüsselung dieser Mythen und Vorurteile wird deutlich, dass die EU-Erweiterung auf gegenseitiger Unterstützung beruht. Die verschiedenen Herausforderungen und Chancen, die sie mit sich bringt, fördern die langfristige Stabilität und Sicherheit in der Region – was letztlich allen Mitgliedstaaten zugutekommt.
Die Heterogenität und die unterschiedlichen Interessen innerhalb der EU werden mit der Erweiterung zunehmen und die Entscheidungsfindung komplexer machen. Ein vereintes Europa, das Solidarität und Vielfalt schätzt, schafft jedoch langfristige Vorteile für alle Seiten. Bis heute ist die EU ein stabiles Bündnis für Frieden und Zusammenarbeit.
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