Doch was kann man gegen ein Erstarken rechter Parteien machen? In Deutschland zeigen regelmäßige Demonstrationen, vor allem seit den Recherchen von Correctiv über rechte Netzwerke in Deutschland, dass es viele gibt, die bereit sind, die Demokratie und ihre Werte zu verteidigen. Und vielleicht lohnt es sich, etwas tiefen zu blicken und sich zu fragen, weshalb Menschen rechts wählen. Nur wenn man das versteht, kann man Menschen dazu motivieren, einen neuen Weg einzuschlagen.
Frankreich: Die Normalisierung rechter Politik
In Frankreich verlor Marine le Pen 2022 knapp die Präsidentschaftswahl gegen Emmanuel Macron. Doch das Ergebnis war für le Pen und ihre Partei Rassemblement National dennoch historisch: Sie erzielte 41 Prozent der abgegebenen Stimmen und erkämpfte ihrer Partei 89 Sitze in der französischen Nationalversammlung. Die Strategie der Partei, die 2018 ihren Namen von “Front National” geändert hatte, schien zu funktionieren: Lenkte die Vorläuferpartei ihren Fokus noch auf Themen wie Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, versuchte Le Pen einen Imagewechsel zur demokratischen Partei zu erreichen. Hintergedanke war hierbei, auch junge Menschen und die Mitte der Gesellschaft anzusprechen. Laut Umfragen aus dem Oktober 2023 liegt der“Rassemblement National” nun mit 28 Prozent als stärkste Kraft vor der pro-europäischen Partei Renaissance des aktuellen französischen Präsidenten Macron. Schon bei der letzten Europawahl 2019 erzielte der Rassemblement National mit 23 Prozent die meisten Stimmen. Das Parteiprogramm folgt dem Prinzip der préférence nationale, also der Bevorzugung des Nationalen und der französischen Bevölkerung, ähnlich der “America First”-Politik unter US-Präsident Trump. Zudem wird eine Beschränkung der Einwanderung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gefordert und eine europaskeptische Haltung vertreten.
Daneben existiert in Frankreich die rechtsextreme Partei Reconquête, die der Identitären Bewegung zugeordnet wird. Diese setzt ebenfalls auf die nationale Souveränität Frankreichs und eine restriktive Asyl- und Immigrationspolitik und ist somit durch ein xenophobes und nationalistisches Wahlprogramm gekennzeichnet. In den Umfragen zur Europawahl 2024 erreicht die Reconquête etwa 6 Prozent. Umfragen, die 2022 vor der Wahl durchgeführt wurden, ergaben, dass ein Konsumbedürfnis ein Faktor bei der Entscheidung, rechts zu wählen, sein könnte. Dass Französ*innen mehr Geld zur Verfügung stehe, trauten diese le Pen am meisten zu. Auch scheint prinzipiell die ökonomische Lage bedeutsam zu sein und eine gewisse demokratiekritische Haltung. Laut dem Politikwissenschaftler Bruno Cautrès bei Zeit Online gaben in Frankreich in den letzten Jahren immer mehr traditionelle Nichtwähler*innen an, für le Pen stimmen zu wollen, besonders Arbeiter*innen, Geringverdienende und Menschen ohne Abschluss.
Rechtsaußen an der Macht: Ungarn unter der Fidesz-Partei
Die Partei Fidesz von Ministerpräsident Victor Orbán erzielte in Ungarn 2022 bei der nationalen Wahl 53 Prozent der Wählerstimmen. Zuvor war Orbán bereits von 1998 bis 2002 Ministerpräsident des Landes und ist seit 2010 wieder an der Macht. 2022 hatten sich Parteien der Opposition von links bis rechts zusammengeschlossen, um gegen die autoritär regierende Partei Fidesz vorzugehen. Diese entstand ursprünglich aus einer Jugendbewegung gegen den Kommunismus und vertritt heute nationalistische Werte wie den Schutz der ungarischen Identität und Tradition sowie eine internationale Verteidigung der ungarischen Souveränität. Kennzeichnend ist auch eine starke Kontrolle der Medien und ein Infragestellen liberaler Grundwerte, also einer Gesellschaft der freien Meinungsäußerung und der Marktwirtschaft. Zwar wird eine Zusammenarbeit mit der EU angestrebt, allerdings soll die Position Ungarns gefestigt und ausgebaut werden. 2021 trat die Partei Fidesz aus der Europäischen Volkspartei (EVP) aus, nachdem es zuvor vermehrt zu Konflikten zwischen Fidesz und der EVP gekommen war und immer wieder ein Ausschluss der Partei in Erwägung gezogen worden war. Bei der Europawahl 2019 kam die Fidesz-Partei auf 53 Prozent der Stimmen.
Inzwischen gilt Ungarn als das korrupteste Land der EU. EU-Abgeordnete sprechen von einer gezielten Strategie der Regierung, Medien, Banken und kleinere Unternehmen unter ihre Kontrolle zu bringen. Nicht nur deshalb verstärkt Europa den Druck auf Ungarn und hält Gelder bis zu 40 Milliarden Euro zurück. Daneben geht Orban gegen die LGBTQ-Community vor: So dürfen beispielsweise Lehrer*innen Sexualität nicht im Unterricht thematisieren und der Verkauf von Büchern mit LGBTQ-Inhalten ist verboten. Auch vor Migrant*innen wird seit Jahren gewarnt und Ängste werden geschürt: 2018 warnte Orban vor einer Islamisierung der Städte Westeuropas und einem Verlust der eigenen Kultur durch Einwanderung.
Rechte Politik auch in Deutschland: Das Erstarken der AfD
Die Alternative für Deutschland (AfD) wurde 2013 gegründet und war damals als rechtsliberale und EU-skeptische Partei bekannt, mit starker Kritik gegen die damalige Finanzpolitik. Seit 2021 wird die AfD vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft, die Jugendorganisation der AfD gilt seit Anfang dieses Jahres als gesichert rechtsextrem. Auf ihrer Homepage spricht sich die AfD für einen „souveränen, demokratischen Nationalstaat“ aus, zeigt eine ablehnende Haltung gegenüber der EU, und betont bezüglich der Migrationsdebatte den Wunsch „den Nachkommen ein Land [zu] hinterlassen, das noch als unser Deutschland erkennbar ist“. Daraus folge, dass „die Grenzen [Deutschlands] umgehend geschlossen werden [müssen]“. Die AfD fordert zudem, „de[n] Erhalt des eigenen Staatsvolks … als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen“ und stellt die wissenschaftliche Fundierung der Rolle des Menschen im Klimawandel in Frage. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die Partei 10,4 Prozent der Stimmen. Laut aktuellen Umfragen käme die AfD in Deutschland auf 18 Prozent mit einer rückläufigen Tendenz seit Ende Dezember 2023.
In letzter Zeit wird der Begriff der “Remigration” mit der AfD in Verbindung gebracht. Dieser bezeichnet laut Bundeszentrale für politische Bildung die Rückkehr von Migrierenden in ihre Heimatländer, wobei diese vor allem dann erfolgt, wenn ein Erfolg oder Misserfolg im Zielland die Rückkehr möglich oder nötig macht. Im wissenschaftlichen Kontext steht dabei meist eine freiwillige Rückkehr im Vordergrund. Seit einigen Jahren wird der Begriff der „Remigration“ aber von rechtsextremen Akteuren genutzt und politisch umgedeutet und geht mit einer Forderung nach massenhaften Ausweisungen von Menschen mit Migrationshintergrund einher. Konkret fordert die AfD eine konsequentere Abschiebung von ausreisepflichtigen Migrierenden und, dass es sich bei einem Aufenthalt grundsätzlich um ein „Recht auf Zeit“ handelt. Insbesondere Menschen aus Afghanistan und Syrien sollen konsequent „rückgeführt“ werden. Zudem sollen Extremist*innen und schwere Straftäter*innen konsequenter abgeschoben werden. Begründet wird dies laut einem Positionspapier von 2024 auf der AfD-Homepage unter anderem damit, dass „die Einwanderung in unser Sozialsystem bei weitem unsere finanziellen Möglichkeiten übersteigt“. Es wird jedoch betont, dass willkürliche kollektive Abschiebungen von der AfD abgelehnt werden. Dennoch werden hierdurch die Ängste typischer AfD-Wähler*innen deutlich: Eine Welt, die aus den Fugen gerät aufgrund von Migration, radikalen Forderungen durch die Klimabewegung, Emanzipation und Globalisierung. Und genau diese Endzeitvorstellungen kann scheinbar nur eine Wahl der AfD verhindern. Das ist zumindest das Bild, das die Partei ihren Wähler*innen vermittelt.
Die Neue Rechte in Italien
Die Partei Fratelli d’Italia (FdI) wurde bei den italienischen Parlamentswahlen 2022 mit 26 Prozent stärkste Kraft. Damit wurde die Parteivorsitzende Georgia Meloni neue Ministerpräsidentin. Die Partei hat einen neofaschistischen Ursprung, vertritt klar rechtsextreme Werte und hat als Ziel, die italienische Kultur, Tradition und Identität zu schützen und zu verteidigen. Konkret fordert sie eine stärkere Verteidigung nationaler Interessen und eine restriktivere Einwanderungspolitik. Auch spricht sie sich dagegen aus, Homosexuellen mehr Rechte einzugestehen. und zeigt sich kritisch gegenüber der Vertiefung einer europäischen Integration. Bei der Europawahl 2019 erreichte die Partei gerade einmal 6 Prozent der Stimmen. Laut aktuellen Umfragen steht sie nun als stärkste Kraft bei 28 Prozent.
Daneben ist die Partei Lega (oder Lega Nord) zu erwähnen, die in Italien besonders durch ihren regionalen Nationalismus bezüglich des Nordens des Landes heraussticht. Sie erreichte bei der nationalen Wahl 2022 9 Prozent der Stimmen, bei der Europawahl 2019 sogar 34 Prozent der Stimmen. Die Partei spricht besonders junge Menschen an und verweist auf die Bedrohung des Arbeitsmarktes durch Migrant*innen. Dementsprechend fordert sie eine restriktivere Einwanderungspolitik und Grenzsicherung Italiens. Die Partei ist antieuropäisch eingestellt.
Dass ein Teil der Italiener*innen rechts gewählt hat, hat unter anderem strukturelle Gründe: Ein kompliziertes Wahlgesetz, das zum Einzug von Kleinstparteien ins Parlament und zu Zersplitterungen führt. Zudem hatten negative Erfahrungen der Bürger*innen mit Politiker*innen - unter anderem der große Korruptionsskandal Anfang der 1990er - schwindendes Vertrauen in die Politik zur Folge. Auch die wirtschaftliche Lage spielt eine Rolle: Aktuell liegt die Arbeitslosenquote in Italien mit 7,2 Prozent deutlich über dem EU-Durchschnitt von 6,0 Prozent und Deutschland mit 3,1 Prozent.
Rechtsextreme Politik in Europa auf dem Vormarsch?
Die dargestellte Übersicht zeigt, dass vermehrt rechtsgerichtete Parteien an die Macht kommen, die ihr nationalistisches Programm durchsetzen und dabei nicht vor den Grundpfeilern der Demokratie Halt machen. Das bedeutet, dass nicht nur immer mehr rechte Parteien regieren, sondern auch, dass immer mehr Menschen diese Parteien wählen, weil sie deren antipluralistisches Gedankengut unterstützen und umgesetzt sehen wollen.
Weiterhin werden viele europäische Länder von sozialdemokratischen, konservativen, grünen oder liberalen Parteien regiert, die gemein haben, dass sie das demokratische System und die Einhaltung der Menschenrechte unterstützen und verteidigen. In den letzten Wochen demonstrierten in ganz Deutschland bis zu 200.000 Menschen pro Tag gegen den Rechtsextremismus. Und nicht alle, die demokratische Werte leben, gehen demonstrieren. Die Sorge vor rechten Parteien ist da und viele kämpfen für Demokratie und die Gleichbehandlung aller Menschen.
Aber warum wählen Menschen denn nun rechts?
Aber warum wählen Menschen rechte Parteien, und welche Hoffnungen und Wünsche stecken dahinter?. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die im Sommer 2022 durchgeführt wurde, sind knapp 49 Prozent der Menschen in Deutschland sehr zufrieden oder ziemlich zufrieden mit der Demokratie. Damit ist etwa die Hälfte der Befragten weniger zufrieden oder überhaupt nicht zufrieden mit dem demokratischen System. Diese Zahlen sind besorgniserregend und erklären möglicherweise, weshalb viele Menschen rechte Parteien wählen. Wichtig ist allerdings: Nur 16 Prozent der befragten Menschen glauben daran, dass es künftigen Generationen etwas oder wesentlich besser als ihnen selbst gehen wird; die große Mehrheit ist davon überzeugt, dass künftige Generationen etwas oder wesentlich schlechter dastehen werden. Dieser sorgengetrübte Ausblick ist sicherlich in Verbindung zu sehen mit den Themen, die den Menschen Sorgen bereiten: Zum Zeitpunkt der Studie zählte dazu besonders die Corona-Pandemie in den Jahren 2020 und 2021, der Ukraine-Krieg ab Februar 2022 und der fortschreitende Klimawandel. Aktuell kommt noch die Zuspitzung des Nahost-Konflikts, Probleme, die mit Migrationsbewegungen zusammenhängen und damals wie heute innenpolitische Probleme wie Arbeitslosigkeit und Wirtschaftslage dazu. Allgemein ist zu sagen, dass die Zufriedenheit mit der Demokratie laut der Studie stark von der ökonomischen Situation der Menschen abhängt. So sind Bürger*innen in Deutschland, denen es finanziell besser geht, deutlich zufriedener.
Die Hans Böckler Stiftung stellt verschiedene Ansätze dar, die rechtspopulistische Entwicklungen in der Gesellschaft erklären. Dabei wird zwischen ökonomischen Ansätzen und solchen, die kulturelle Konflikte in den Mittelpunkt stellen, unterschieden. Bei ersteren wird Rechtspopulismus als Ergebnis verschärfter Verteilungsauseinandersetzungen gesehen. Dabei spielt nicht nur die aktuelle finanzielle Lage der Betroffenen eine Rolle, sondern auch Ängste vor möglichen weiteren Verlusten und einer Statusbedrohung. Diese finanziellen Einschränkungen können laut Verteilungsbericht 2022 der Hans Böckler Stiftung zu einer reduzierten gesellschaftlichen Teilhabe führen. Denn ärmere Menschen müssen auf Güter des täglichen Lebens verzichten, auf kleinerem Wohnraum leben und haben tendenziell einen schlechteren Gesundheitszustand. Dies kann Unzufriedenheit und ein geringeres Vertrauen in die Politik zur Folge haben und letztendlich dann zu rechtspopulistischen Ansichten. Ansätze, die die Ursachen von Rechtsextremismus vor allem in einem kulturellen gesellschaftlichen Konflikt sehen, nennen dagegen gesellschaftliche Modernisierungen als Hauptursachen. Sie gehen davon aus, dass Veränderungen in der Familien-, Umwelt- und Migrationspolitik zu Auseinandersetzungen führen
Auch der Ukraine-Krieg und Verschwörungstheorien scheinen eine Rolle zu spielen: In Deutschland stimmen Wähler*innen der AfD Verschwörungsdenken und Abwertungen Ukraine-Geflüchteter dreimal so häufig zu wie der Durchschnitt der Befragten, wie eine weitere Studie der Hans Böckler Stiftung aus dem Jahr 2022 zeigt.
Es spielen also mehrere bedrohliche Faktoren eine Rolle. Allen gemeinsam ist wohl, dass sich Menschen mit politisch rechten Einstellungen eine bessere Zukunft wünschen. Ein nachvollziehbarer Wunsch - doch ob rechtspopulistische Parteien diesen so einfach erfüllen können, ist fraglich.
Kommentare verfolgen: |