Liebe Briten,
keine Sorge: Ich werde euch in diesem Brief nicht sagen, was ihr zu tun oder zu lassen habt. Seit Wochen wird in den Medien nur gebettelt. Oder gewarnt, das ist auch nicht besser. Die Sun warnt vor Migranten und einer Aushöhlung britischer Werte, falls ihr in der EU bleibt. Der Economist fürchtet einen „ernsten und dauerhaften Schaden“ für die britische Wirtschaft, falls ihr die EU verlasst. Sogar der Spiegel mischt sich vor Ort in die Debatte ein. Er hat eine englische Ausgabe veröffentlicht und bettelt auf der Titelseite: „Please don’t go!“ Ich kann mir vorstellen, dass das nervt, liebe Briten. Ihr seid mündige Bürger. Ihr könnt eigene Entscheidungen treffen. Und eine hoch komplizierte Debatte wird nicht einfach, nur weil man sie zu einfachen Schlagzeilen verkürzt. Denn das ist ja ein echtes Problem: dass Politiker und Journalisten klare Fronten aufbauen, wo ein sachliches Pro und Contra nötig wäre.
Ich mag euch, liebe Briten. Ich mag eure Musik, eure Höflichkeit, euer schrulliges Traditionsbewusstsein. Ich mag es, dass ihr Schlange stehen könnt und euch immer auf die rechte Seite der Rolltreppe stellt. Ihr solltet Kurse an deutschen Bahnhöfen geben, ehrlich. Ihr seid eine großartige Nation. Und indem ihr auch politisch auf euer Anderssein pocht, seid ihr ein ernst zu nehmendes Korrektiv für den Rest der EU. Das zeigte euer Premierminister im Februar, als er die Möglichkeit durchsetzte, die Höhe des Kindergeldes davon abhängig zu machen, in welchem Land die Kinder leben – eine sinnvolle und faire Regelung. Ich wünsche mir, dass ihr in der EU bleibt, mit eurer Skepsis, eurer Kritik, eurem Anderssein. Das nervt bisweilen und bremst wichtige Prozesse – aber es ist Teil des europäischen Pluralismus.
Wie ihr euch am Donnerstag entscheidet, bleibt natürlich euch überlassen, liebe Briten. Ich sage euch nicht, was ihr zu tun oder zu lassen habt.
Cheers
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