Liebe CDU-Mitglieder,
neben all den Aufregungen um die SPD während und nach den Koalitionsverhandlungen müssen wir uns wieder mit uns und unserer Partei beschäftigen. Zu lange haben wir uns von unseren Herausforderungen in der CDU ablenken lassen.
Die Regierung wird stehen, nicht wegen, sondern trotz der SPD. Sie hat es fast geschafft, das Projekt Groko III ungeachtet des wahrscheinlich sozialdemokratischsten Koalitionsvertrags seit Willy Brandt noch in Gefahr zu bringen. Bei der Basis wird letztlich die Vernunft gewinnen.
Der Anfang vom Ende einer Volkspartei
Angela Merkel hatte recht, als sie sagte, dass die Bundes-SPD auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig sein würde. Fast wären die Verhandlungen in letzter Minute gescheitert. Nachts saß man sich schweigend gegenüber, weil die SPD um Posten schachern musste. CDU und CSU haben eingelenkt. Jetzt kann wieder Stabilität in Deutschlands Regierungshandeln einkehren, man kann sich wieder in Deutschland und Europa darauf verlassen.
Doch der Preis, den die CDU dafür gezahlt hat, ist groß. Die Ausgangslage ist katastrophal. Bei der Wahl im September haben wir das schlechteste Ergebnis seit 1949 eingefahren, am rechten Rand macht uns eine rechtspopulistische Partei konservative Wähler streitig und die Jamaika-Verhandlungen waren krachend gescheitert. Das kratzt gewaltig am Selbstverständnis der Partei. Wir haben nicht nur Wähler verloren, sondern auch unsere Regierungs- und Koalitionsfähigkeit – das Ende der CDU als Volkspartei.
Nimbus der Europapartei verflogen
Nach außen wirkt die CDU wie eine lustlose Partei, ohne Ideen und Visionen, ohne klar erkennbare Ziele. Machtbesessen hielt Merkel an der Kanzlerschaft fest und warf dafür noch die letzten konservativen Ideale über Bord. Die Bevölkerung in Deutschland kann keine christdemokratische Handschrift im Koalitionsvertrag erkennen.
Mit dem Verzicht auf das Finanz- und Außenministerium haben wir uns der letzten Möglichkeit beraubt, Europapolitik praktisch zu gestalten. Nicht erst seit der Abstimmung um transnationale Listen im Europäischen Parlament dieser Woche wird die CDU als antieuropäisch und rückständig gesehen. Es wurde in den letzten Jahren verpasst, ein Zeichen der Erneuerung Europas zu senden, so wie es Macron getan hat. Auch der Nimbus der Europapartei hat so Schaden genommen.
Aufarbeitung und Erneuerung jetzt!
Doch bisher hat keine schonungslose Aufarbeitung der Wahlniederlage stattgefunden. Wir haben weder personelle noch strukturelle Konsequenzen gezogen. Dabei sollten wir uns dringend Gedanken machen, wo wir hinwollen und wofür wir stehen. Dazu brauchen wir gerade Euch! Die Mitglieder der CDU und JU haben viel zu lange stillgehalten, wollten die Koalitionsverhandlungen nicht stören. Dass sich gerade jetzt immer mehr Stimmen erheben und den Koalitionsvertrag, die Ressortverteilung und das Handeln der Bundeskanzlerin kritisieren, ist kein Zufall.
Es ist auch absolut notwendig, jetzt Signale aus der Basis der Partei zu senden, um unserer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen, aber, viel wichtiger, auch um Veränderungen und einen Erneuerungsprozess zu erzwingen. Wir müssen wieder stärker um Positionen streiten, uns klarer von der SPD und der AfD unterscheiden, unseren eigenen Stil (wieder)finden.
Dazu werden wir auch neue Persönlichkeiten an der Parteispitze finden müssen. Menschen, die die neue CDU auch verkörpern können, die nicht als von Inhalten und Überzeugungen befreit wahrgenommen werden. Wir müssen Angela Merkel als Parteichefin spätestens in zwei Jahren abwählen.
Europa ist der Weg
Um wieder als Volkspartei wahrgenommen zu werden, brauchen wir eine neue Europapolitik. Dies könnte die Chance sein, unser Profil als konservative Partei der Mitte zu stärken und die Unterscheidbarkeit zu anderen Parteien wiederherzustellen.
Nicht erst Bundeskanzler Kohl wusste von den Abhängigkeiten zwischen Europas Entwicklung und Deutschlands Stärke. Um unsere Zukunft zu sichern, brauchen wir weitere Integrationsschritte in der Europäischen Union. Die Euro-Zone muss auch politisch stabilisiert werden, um Finanzkrisen besser begegnen zu können. Die Ablehnung der transnationalen Listen war vielleicht die richtige Entscheidung. Doch um eine Wahlreform kommen wir nicht herum, wenn nicht 27 Wahlsysteme unser Europäisches Parlament bestimmen sollen. Die unkontrollierte Einwanderung nach Deutschland musste gestoppt werden, aber angesichts der gemeinsamen Außengrenzen der EU brauchen wir auch eine gemeinsame Migrations- und Asylpolitik.
Es gibt viele europapolitische Themen, in die wir unsere Wertevorstellungen und Ideale einbringen können. Lasst uns konstruktiv europäische Politik gestalten und nicht nur die Europawahlen 2019 erfolgreich bestreiten, sondern auch die nächsten Bundestagswahlen – eventuell auch schon vor dem Ende der Legislatur – mit einem neuen Kanzlerkandidaten, konservativ und europäisch, so wie unsere Partei.
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