Brief an Europa: Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo

Leiser Revolutionär in Afrika?

, von  Tobias Gerhard Schminke

Brief an Europa: Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo
Nana Akufo-Addo ist seit einem Jahr Ghanas Präsident. Er hat sich überraschend kritisch zum aktuellen globalen Wirtschaftssystem und zu den Rechten Homosexueller in Afrika geäußert. Foto: Carsten ten Brink / Flickr / CC BY 2.0

Im Brief an Europa adressieren unsere Autorinnen und Autoren Menschen, die ihrer Meinung nach im Rampenlicht Europas stehen sollen. In dieser Woche wendet sich treffpunkteuropa.de an den neuen ghanaischen Präsidenten Nana Akufo-Addo.

Seine Exzellenz Nana Akufo-Addo,

herzlichen Glückwunsch aus Europa! Seit genau einem Jahr nun sind Sie Präsident Ghanas. Viele Menschen auf meinem Heimatkontinent dürften nicht wissen, wo genau Ghana liegt oder wer Sie sind. Der Horizont der meisten Europäer endet am Strand von Kreta oder in den Bierkrügen von Las Palmas.

Dabei ist Ghana kein unbedeutender Player in Westafrika. Das CIA World Factbook schätzt die Einwohnerzahl Ihres Landes auf 27,5 Millionen. Damit leben in Ghana mehr Menschen als in Rumänien. Während die meisten Regime in Afrika wohl kaum als liberale Demokratien bezeichnet werden können, ist Ghana dem Democracy Index des englischen Magazins „The Economist“ zufolge demokratischer als die EU-Mitgliedsstaaten Ungarn und Rumänien. Der Human Development Index, der durch die Vereinten Nationen veröffentlicht wird, listet Ghana als das am meisten entwickelte Land in Westafrika.

Die Indikatoren sind besser als in vielen afrikanischen Staaten, sie sind aber kaum zufriedenstellend. Auch Sie, Herr Akufo-Addo, wollen mehr: „Es kann nicht sein, dass das Gesundheits- und das Bildungsbudget Ghanas sechzig Jahre nach der Unabhängigkeit noch immer vom Segen europäischer Steuerzahler abhängt.“ Beim Gipfel der Afrikanischen und Europäische am 30. November 2017 forderten Sie außerdem geradezu Revolutionäres: Afrikanische Staats- und Regierungschefs sollten sich in der Wirtschaftspolitik mehr an Singapur oder Südkorea orientieren. Der Aufschwung dieser Staaten soll als Vorbild für den schwarzen Kontinent dienen.

Liebhaber des Neoliberalismus im Westen dürften mindestens aufgehorcht haben. Bedeutet das ostasiatische wirtschaftliche Erfolgsmodell doch eine starke staatliche Hand in der Wirtschaftspolitik, die westlichen Großkonzernen meist wenig freundlich gesinnt gegenüber steht: Der Wirtschaftswissenschaftler der Cambridge-University Ha-Joon Chang umreißt die Politik der Ostasiaten im 20. Jahrhundert so: Wirtschaftliche Aufschwung gelingt durch die Industrialisierung der heimischen Wirtschaft. Dafür bedarf es Protektionismus statt Freihandel. Damit sich Unternehmen global durchsetzen können, benötigen sie zunächst eine Phase der Entwicklung, in dem sie nicht dem globalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Ein Beispiel: Will Ghana eine Autoindustrie aufbauen, benötigt das Jahre der staatlichen Förderung von Forschung und industriellen Entwicklung der Automobilindustrie. Damit Ghana dann irgendwann beginnen kann, Fahrzeuge „Made in Ghana“ zu verkaufen, müssen die Importe von Fahrzeugen so hoch besteuert werden, dass es sich für den Ghanaer lohnt, ein möglicherweise zunächst minderwertiges heimisches Modell statt eines Toyota zu kaufen.

Dass dies nicht wahnwitziger Sozialismus, sondern eine ernst zu nehmende wirtschaftspolitische Option ist, hat der Fall Japan in den 1930 Jahren gezeigt. Toyota wurde nach dem gleichen Prinzip aufgebaut, dasselbe gilt für Hyundai-KIA. Außerhalb der Automobilbranche finden sich in Singapur Singapour Airlines oder der südkoreanische Handyhersteller Samsung. Dass das Entstehen von Samsung oder Toyota den mächtigen europäischen und US-amerikanischen Herstellern von Autos oder Handys nicht gefallen haben dürfte, liegt auf der Hand. Sollte Afrika schrittweise dem ostasiatischen Wirtschaftsmodell folgen, könnte dies den Verlust des schnell wachsenden afrikanischen Absatzmarktes für transnationale Konzerne aus Europa und den USA bedeuten. Ein Dorn im Auge der Reichsten der Reichen. Seine Exzellenz, Sie hatten den Mut, den Kampf mit dem wirtschaftspolitischen Teufel aufzunehmen. Dafür Chapeau!

Ebenso mutig ist ihre Aussage zu den Rechten von Homosexuellen und anderen Mitgliedern der LGBTI-Community in Afrika. Was viele in Europa nicht wissen ist, dass Afrikas Mehrheitsgesellschaft im Zuge christlicher und muslimischer Kolonialisierung erzkonservativ ist. Im Sudan, Mauretanien oder im Norden Nigerias werden homosexuelle Handlungen mit dem Tode bestraft. In Sambia, Tansania oder Uganda drohen lebenslange Freiheitsstrafen. Schon die Existenz von Homosexualität in Afrika wird flächendeckend als „westlicher Import“ diskreditiert. Ghana setzt die bestehenden Gesetze zwar nicht mehr durch, Strafen drohen aber dennoch. Schlimmer als die Gesetze ist das erdrückende gesellschaftliche Klima. Homosexualität ist unafrikanisch, so der Tenor. Seine Exzellenz, Sie verwerfen dies. Sie meinen, dass die Unterdrückung Homosexueller ein Ausdruck gesellschaftlicher Unreife darstellt. In Afrika kann man sich mit solchen Aussagen durchaus als Zielscheibe religiös motivierten Terrors machen. Noch einmal, Chapeau!

Seine Exzellenz, der Horizont der meisten Europäer endet am Strand von Kreta oder in Bierkrügen von Las Palmas. Nichtsdestotrotz gibt es auch auf dem zweitkleinsten Kontinent dieser Welt Menschen, die Sie bei Ihren Plänen ermutigen wollen. Lassen Sie Ihren Ankündigungen Taten folgen!

Hochachtungsvoll,

Tobias Gerhard Schminke

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