Brief an Europa: Lettre aux Français*es

, von  Gesine Weber

Brief an Europa: Lettre aux Français*es
Courage - Mut: Auf den Straßen von Paris nach den Anschlägen im November 2015 Foto: Gesine Weber, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

Heute vor einem Jahr ereigneten sich in Paris blutige Terroranschläge, bei denen über 130 Menschen starben und mehr als 300 verletzt wurden. Aus diesem Grund widmet unsere stellvertretende Chefredakteurin Gesine Weber den „Brief an Europa“ heute den Französinnen und Franzosen.

+++Version française en bas+++

Françaises, Français,

ich erinnere mich sehr gut daran, was ich heute vor einem Jahr gemacht habe: Mit meinen deutschen und französischen Freunden schaute ich im südfranzösischen Aix-en-Provence das Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Frankreich, entspannt auf dem WG-Sofa mit französischem Wein und deutschem Bier. Während der ersten Halbzeit kam die Nachricht einer Explosion am Stadion – für viele von uns kein Grund zur Sorge, Pyrotechnik gibt es in Stadien immer wieder. Immer mehr Nachrichten über Explosionen, Schießereien und eine Geiselnahme meldeten unsere Nachrichten-Apps, Unruhe machte sich breit, Sorge um Bekannte in Paris, gefolgt von Fassungslosigkeit, Entsetzen, Angst. Ich erinnere mich genau an die Ansprache von Staatspräsident Hollande, die Erklärung des Ausnahmezustands und der Grenzschließung. Terroristen haben Frankreich in sein Herz getroffen, im bunten Pariser Ausgehviertel République Menschen gnadenlos niedergemetzelt. Es war kein Wahrzeichen des Staates, sondern ein Ort, an dem sich jeder Pariser an diesem Abend hätte aufhalten können. 11/13 ist Europas 9/11 geworden– ein Angriff auf das freie Leben.

Nach diesem Schock im November wurde es jedoch nicht besser: Im vergangenen Jahr habt ihr, liebe Französinnen und Franzosen, viele Anschläge erleben müssen, und die Terroristen schlugen immer dort zu, wo sie euren freien, quirlig-liebenswürdigen Lebensstil am härtesten treffen konnten. Damit haben sie ihr Ziel erreicht: An jedem größeren Gebäude werdet ihr kontrolliert, Militär auf den Straßen gehört zum Alltag, und einige von euch sehen in einer Frau im Burkini am Strand eine Selbstmordattentäterin. Die Terroristen haben es geschafft, euer gesellschaftliches Klima mit Angst und Misstrauen zu vergiften.

Und was, liebe Französinnen und Franzosen, macht ihr? Ihr springt darauf an, viel zu viele von euch, übernehmt rechtes Gedankengut und werdet nach aktuellen Umfragen einer rechtsextremen Marine Le Pen im April eure Stimmen bei der Präsidentschaftswahl hinterherwerfen. Derzeit ist sie die einzige Kandidatin, die sich sicher im zweiten Wahlgang sehen kann, von ihren rassistischen Parolen lasst ihr euch regelrecht verführen. Ihr drängt euer System nach rechts: Diese „droitisation“, den Rechtsruck, unterstützen nicht wenige der vermeintlich Linken, ganz vorne dabei eure Regierung, die Geflüchtete jahrelang in illegalen Lagern wie Calais unter menschenunwürdigen Bedingungen hausen ließ anstatt sie zu integrieren. Wenn ihr dann abends den Fernseher anschaltet und Bilder von den Ausschreitungen und Zuständen in Calais seht, kommt euch Le Pens Säuselstimme im Kopf natürlich plausibel vor – was auch Sarkozy und Co. bewusst ist, die mit fast denselben, aber rhetorisch geschickter verpackten Inhalten bei euch punkten. Rechts ist bei euch gerade très chic, aber es steht euch überhaupt nicht.

Vielleicht erinnert ihr euch an die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den Anschlägen in Paris: „Unser freies Leben ist stärker als jeder Terror.“ Ich bin sicher, dass sie in diesem Punkt Recht hat, und ihr solltet das auch sein. Allerdings vergesst ihr, die ihr euch so stolz auf „la liberté“ mit weltweitem Anspruch beruft, in meinen Augen viel zu oft, dass Freiheit kein exklusives Gut für weiße Menschen mit französischem Pass und christlichem Glauben ist. Ja, ihr habt das Privileg eines freien Lebens – und genau deshalb solltet ihr euch dafür einsetzen, dass Menschen unabhängig ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe, ihrer religiösen Ansichten und ihrer Herkunft an diesem Privileg teilhaben, denn Freiheit bedeutet im Umkehrschluss Toleranz und Respekt. Je mehr ihr von dieser Toleranz und diesem Respekt aufgebt, wie Marine Le Pen und ihre rechten Freunde es euch vormachen, desto mehr gebt ihr euer freies Leben auf. Perfekt nicht nur für Rechtspopulisten, sondern auch für den islamistischen Terrorismus – denn so vergiftet ihr euer gesellschaftliches Klima ganz von allein.

Es macht mich traurig und wütend, viele von euch und euer politisches System nach rechts driften zu sehen. Wenn ihr im kommenden Frühjahr wählt, habe ich Angst, dass sich das Wahldesaster der USA vor wenigen Tagen à la française widerholt und wir transatlantischem Populismus par excellence zuschauen dürfen. Nicht nur das: Die Menschen, die am 13. November vergangenen Jahres in Cafés oder im Bataclan den abscheulichen Attentaten zum Opfer gefallen sind, haben das Privileg eines freien Lebens ausgekostet, das haben sie mit ihrem Leben bezahlen müssen. Ich empfinde es als beschämend, dass so viele von euch ihren Mördern mit euren Sympathien für rechte Ideologien in die Hände spielen.

Wie auch die Menschen, die am 13. November in Cafés, Restaurants oder dem Bataclan unterwegs waren, geht ihr, liebe Französinnen und Franzosen, weiterhin gerne an République und auch an allen anderen Orten aus – die Anschläge haben darauf laut Umfragen kaum Einfluss gehabt. Ihr esst in kambodschanischen Restaurants und trinkt auf Terrassen französischen Weißwein, ihr lebt wie Gott in einem multikulturellen und modernen Frankreich. Ihr besteht auf diesen Teil des freien savoir vivre, und das ist gut so. Das sollte ihr euch nicht von Angst und Misstrauen kaputt machen lassen, sondern viel eher eure Überzeugung von „liberté, égalité, fraternité“ täglich ausleben, auch gegenüber Menschen, die nicht weiß und katholisch sind. Ja, unser freies Leben ist stärker als jeder Terror – auch, wenn das manchmal Mut erfordert. Deshalb möchte ich euch ein Zitat von Martin Luther King mit auf den Weg geben: „We must build dikes of courage against the floods of fear – Wir müssen Deiche des Muts bauen gegen die Flut der Angst.“

Très cordialement aus eurer wunderschönen Hauptstadt,

Gesine

++++++

Il y a un an que les attentats terroristes sanglant ont eu lieu à Paris, laissant 130 morts et plus de 300 blessés. C’est pourquoi notre deuxième éditrice en chef Gesine Weber s’adresse aux Français et Françaises par la « lettre à l’Europe ».

Françaises, Français,

je me souviens exactement de la soirée du 13 novembre 2015 : Je regardais le match de foot entre la France et l’Allemagne avec mes amis français et allemands dans leur appartement à Aix-en-Provence, nous étions tous détendus, buvant du vin français et de la bière allemande. Pendant la première moitié du match, nous apprîmes qu’il y avait eu une explosion au stade – sachant que les pièces d’artifices trouvent parfois un chemin dans les stades, cela ne nous inquiéta guère. Or, dues aux informations sur les explosions, fusillades et une prise d’otage rapportées par nos applis, s’est répandue une certaine inquiétude, des soucis à cause des proches à Paris, suivis de stupeur, peur, puis horreur. Je me souviens du discours du président Hollande, la déclaration de l’état d’urgence et la fermeture des frontières. Les terroristes ont frappé le cœur de la France en massacrant des hommes dans le quartier République de Paris, connu pour ses bars et cafés – un endroit où tout Parisien aurait pu passer sa soirée. 11/13 est devenu le 9/11 de l’Europe – une attaque sur notre vie en liberté.

Or, une consolidation après ce choque de novembre n’a pas eu lieu: Vous, Françaises et Français, ont dû faire face aux autres attentats commis en France, toujours frappant aux lieux qui représentent le mieux votre style de vie libre et remuant. Cela les a aidé à atteindre leur objectif : Où que vous ailliez, il y a de la police ou du militaire, les contrôles sont omniprésents, et il y a des personnes entre vous qui craignent que la femme en burkini ne soit une kamikaze. Bref : Les terroristes ont réussi à empoisonner votre société.

Alors, Françaises et Français, qu’est-ce que vous faites ? Nombreux sont ceux parmi vous qui réagissent en sympathisant avec l’idéologie de l’extrême-droite dans la mesure où vous allez accabler Marine Le Pen de vos votes pour les élections en avril. Selon les sondages, elle est la seule candidate assurée à participer au second tour des présidentielles, quels que soient ses adversaires, et vous vous laissez facilement séduire de ses paroles racistes. Ainsi, vous provoquez une droitisation de votre système : Même quelques personnes se-disant gauches la soutiennent, en premier lieu votre gouvernement par sa politique migratoire, acceptant la création des camps de réfugiés illégaux et des conditions de vie précaires pour ces personnes vulnérables au lieu de les intégrer dignement. Quand vous allumez votre télé le soir et vous voyez les images de Calais ou les campements autour de la station de métro Stalingrad, il est facile de comprendre que la voix douce de Marine Le Pen dans vos têtes vous paraît tout à fait logique. Bien sûr, Sarkozy et ses amis de la droite sont très intéressés de tirer profit de cette tendance, tout en adaptant les paroles FN et les emballant dans une rhétorique élégante. Il me semble que voter droite, c’est très chic en ce moment, mais ça ne vous va pas bien du tout.

Vous vous souvenez peut-être du discours de la chancelière allemande après les attentats de Paris : « Notre liberté est plus fort que la terreur. » Je suis convaincue qu’elle a raison, et vous devrez en être aussi convaincus. Or, bien que vous n’hésitiez jamais à assigner une portée universelle à la liberté , j’ai souvent l’impression que vous oubliez trop souvent que cette liberté n’est pas un bien exclusif pour les blancs avec un passeport français et la confession chrétienne. Pourtant, cette vie en liberté devrait porter l’obligation de vous engager pour que toute personne, quel que soit son sexe, sa couleur de peau, sa religion ou origine, puisse participer à ce privilège, comme la liberté indique de la tolérance et le respect. Au moment où vous donnez cette tolérance et ce respect en offrande au populisme de l’extrême-droite, vous abandonnez une grande partie de votre liberté. Ceux qui en profitent, ce sont Marine Le Pen et ses amis FN en France, mais aussi les terroristes islamistes – vous empoisonnez votre société sans qu’ils aient besoin de vous y aider.

En effet, il me rend triste et furieuse de voir basculer vers la droite vous ainsi que votre système politique. Face aux élections en avril, j’ai peur que le désastre américain auquel nous avons assisté cette semaine se répète à la française et nous planche dans un monde de populisme transatlantique. Ce qui m’attriste de plus, c’est que les Hommes victimes des attentats en novembre 2015 avaient vécu leur vie en liberté, ce qu’ils ont du payer de leur vie. Il est honteux de la part de beaucoup de personnes parmi vous de jouer dans les mains de leurs meurtriers en sympathisant avec l’idéologie de l’extrême-droite.

Tout comme les personnes qui se trouvèrent dans les cafés, les restaurant ou au le Bataclan le 13 novembre 2015, vous, Françaises et Français, aimez bien sortir dans le quartier République ou n’importe où – selon les sondages, les attentats n’ont guère eu une influence sur cette habitude. Vous mangez dans un restaurant cambodgien et buvez du vin français, heureux comme Dieu dans une France moderne et multiculturelle. Cette une partie du savoir-vivre sur laquelle vous insistez, et c’est bien ainsi ! Ainsi, ni la peur ni la méfiance ne devraient vous priver de cette partie importante de votre culture, c’est plutôt votre conviction de « liberté, égalité, fraternité » qui devrait guider votre comportement : Elle le fait souvent, mais vacile de plus en plus , mais vous tous – pas seulement une partie de vous ! – qui vous êtes Français*es devraient vivre ces valeurs au quotidien à l’égard de n’importe qui. C’est juste : Notre liberté est plus forte que la terreur, même si cela exige parfois du courage. Que cette citation de Martin Luther King vous accompagne pour l’avenir : « We must build dikes of courage against the floods of fear - Nous devons construire des digues de courage pour contenir le déluge de la peur . »

Très cordialement, Gesine

Ihr Kommentar
  • Am 25. November 2016 um 15:22, von  Anne Als Antwort Brief an Europa: Lettre aux Français*es

    Ein toller und berührender Brief! Sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch sehr ausdrucksstark! Auf dass ihn viele Franzosen lesen werden uns ins Nachdenken kommen. Liebe Grüße aus China!

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