Brief an Europa: An alle freiheitsliebenden Katalanen

, von  Daniel Batel

Brief an Europa: An alle freiheitsliebenden Katalanen
Carles Puigdemont i Casamajó kämpft für die Unabhängigkeit Kataloniens. Er wurde in der vergangenen Woche von der deutschen Polizei auf Antrag der spanischen Justiz festgenommen. Foto: thierry ehrmann / Flickr / CC BY 2.0

Erst vor wenigen Tagen hat der Katalonien-Konflikt mit der Festnahme Puigdemonts in Deutschland wieder Fahrt aufgenommen. Der katalanische Wunsch nach Unabhängigkeit wird überall diskutiert und das Thema ist dort angekommen, wo die Anführer der Bewegung ihn haben wollen: Auf der ganz großen weltpolitischen Bühne.

Liebe Katalanen,

ihr lebt in einer der schönsten Regionen Europas und seid mit Recht stolz auf die reiche Historie und Kultur Kataloniens. Die Metropole Barcelona, die Costa Brava und das sanfte hügelige Hinterland sind nur einige der Highlights dieser Gegend. Die faszinierenden Bauwerke Antonio Gaudís sind weltberühmt, genauso wie die Gemälde Salvador Dalís. Und der „Clasico“ zwischen Madrid und Barcelona ist schon allein im Fußball ein brisantes Duell.

Es ist der Wunsch nach Selbstverwirklichung, der euch antreibt. Ihr seht euch als eigene Kulturnation, nicht unbedingt als eigene Ethnie. Aber die historischen, kulturellen und sprachlichen Unterschiede zu Spanien sind erkennbar. Dennoch frage ich mich, warum so wenig darüber gesprochen wird, was inzwischen schon alles erreicht wurde? Die katalanische Sprache ist sogar über die autonome Gemeinschaft hinaus in Valencia, Andorra und den Balearischen Inseln regionale Amtssprache. Vorbei die Zeiten unter dem Diktator Franco, in denen der Gebrauch von „Catalán“ noch unterdrückt worden war. Die spanische Zentralregierung in Madrid hatte sie nach der Demokratisierung erlaubt. Sogar eine nahezu eigenständige katalanische Bildungspolitik wurde ermöglicht.

Spanische Demokratie ist schützenswert

Gerade Katalonien, das schon im spanischen Bürgerkrieg für eine Republik gekämpft hatte und diesen Kampf 1939 gegen Franco verlor, hat ein Interesse an einer vitalen Demokratie in Spanien. Bei allem Verständnis für eure Sehnsucht nach einem eigenen Staat, müsst ihr euch auch die Frage stellen: Stärken oder schwächen wir die politische Stabilität unserer Region damit? Es gibt immer noch einige, vor allem ältere Spanier, die meinen, der Staat müsse hart durchgreifen. Sollte die Regierung um Mariano Rajoy nun zulassen, dass aus der autonomen Gemeinschaft Katalonien ein eigener Staat entstünde, wäre dies Wasser auf die Mühlen der Hardliner. Die spanische Demokratie ist eine der jüngeren in Europa. Sie hat viele Bewährungsproben hinter sich. Es wäre nicht im Interesse Kataloniens, zu einer erneuten Verrohung im politischen Madrid beizutragen.

Stattdessen liegt es – einerseits im gesamteuropäischen wie auch im Katalonischen – Interesse, dass die Demokratie in Madrid stabil bleibt. Auch der Euro wäre von einer Schwächung Spaniens direkt betroffen. Es gab bei den Protesten der vergangenen Monate sicher auch Fehler der Polizei und der militärisch organisierten „Guardia Civil“, die nicht immer den richtigen Umgang mit Demonstranten an den Tag gelegt hat. Unter die überwiegend friedlich demonstrierenden Menschen mischten sich aber auch jene, die zu Gewalt bereit waren. Jede Situation in dieser aufgeheizten Stimmung ist mit Besonnenheit zu analysieren. Natürlich sind die Differenzen zwischen einander groß. Die Missachtung spanischen Rechts wie 2015 bei der Planung einer katalanischen Botschaft in Wien oder der Ankündigung Puigdemonts nach den letzten Wahlen, aus Brüssel eine Exil-Regierung zu bilden, verschärfen den Konflikt. Die entgegenkommenden Maßnahmen der vergangenen Jahre aus Madrid hin zu mehr Autonomie waren ein Zeichen des Verständnisses. Es ist aber auch wichtig, liebe Katalanen, sich in die schwierige Lage Madrids in diesem Konflikt hineinzuversetzen. Ein Auseinanderbrechen der spanischen Nation wäre ein Tiefschlag mit unabsehbaren Folgen.

Puigdemont keinen Heiligenschein verleihen

Carles Puigdemont gilt als ehemaliger und de-facto wiedergewählter Regionalpräsident Kataloniens seit einigen Jahren als der Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. In den Augen vieler Katalanen hat er Großes erreicht und ihm wird zugetraut, die ersehnte Unabhängigkeit herbeizuführen. Aber eines steht leider auch fest: Es gibt handfeste juristische Vorwürfe, etwa Rebellion und Untreue, die Puigdemont zur Last gelegt werden – Verstöße gegen die spanische Verfassung. Nachdem kürzlich ein erneuter europäischer Haftbefehl für Puigdemont ergangen war, wurde er am 25. März in Schleswig-Holstein festgenommen, als er sich auf dem Weg von Skandinavien nach Belgien befand. Aktuell muss die deutsche Justiz prüfen, ob die Vergehen Puigdemonts auch nach deutschem Recht strafbar sind. Sollte dies zutreffen, könnte Puigdemont an die spanischen Behörden ausgeliefert werden. Die Reaktionen auf seine Festnahme waren in der Heimat heftig, vor allem auf den Straßen Barcelonas. Reporter berichteten, dass in der Nacht selbst Menschen auf die Barrikaden stiegen, die zuvor noch in Cafés und Restaurants gesessen hätten. In Katalonien wird wenig darüber gesprochen, dass der inhaftierte Ex-Präsident nachweislich gegen die spanische Verfassung verstoßen hat und sich bis zuletzt nach allen Regeln der Kunst seiner Festnahme entzog. Aus der Untersuchungshaft im norddeutschen Neumünster twitterte der 55-jährige, er werde nicht aufgeben und weiter für seine Sache kämpfen. Sein deutscher Anwalt kündigte an, notfalls vor das Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen, wenn sein Mandant nicht freigelassen werde. Auch die deutsche Politik forderte er auf, sich gegen eine Auslieferung auszusprechen. Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, entgegnete, dass dies eine innerspanische Angelegenheit bleibe.

Derweil beginnt die katalanische Regionalregierung aus Republikanischen Linken und der Partei „Gemeinsam für Katalonien“ allmählich mit der geordneten Regierungsarbeit. Dabei fährt sie eine Doppelstrategie. Diese beinhaltet, weitere Verfassungsbrüche möglichst zu vermeiden, um so gegebenenfalls Spanien vor dem Menschenrechtsgerichtshof verklagen zu können, und die Ernennung des Listenzweiten als Präsidenten anstelle Puigdemonts.

EU als Vermittlerin nur bedingt hilfreich

2017 gab es die Forderung, die EU als Vermittlerin in der Katalonienfrage einzuschalten. Grundsätzlich wäre die Union mit ihrer Kompetenz in solchen Konflikten sicher eine Option. Da es sich aber um einen innerspanischen Konflikt handelt, und Spanien seit 1986 offizielles EU-Mitglied ist, liegt auf der Hand, dass Spanien innerhalb der Union jede potenziell fehlende Rückendeckung verurteilen würde. Darüber hinaus hätte Spanien im Rat der EU aufgrund des Prinzips der Einstimmigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik die Möglichkeit, gewisse Prozesse hin zu einer Unabhängigkeit Kataloniens zu blockieren, sollte dies eines Tages mehrheitsfähig werden. Es wäre deshalb hilfreich, liebe Katalanen, immer mit dem nötigen Realismus weiter an einer größeren Freiheit Kataloniens zu arbeiten. Vielleicht ist und bleibt es ein schwer umsetzbarer Traum, einen eigenen Staat, zumal einen Staat als vollwertiges Mitglied der EU, aufzubauen. Sicher, Madrid wird Zugeständnisse machen und sich bewegen müssen. Die zähen aber letztlich erfolgreichen Verhandlungen rund um das veränderte Autonomiestatut von 2006 könnten ein Beispiel sein, wie dies auch in Zukunft funktionieren könnte. Außerdem sollten Nationalstaaten heute in einer globalisierten Welt, die Teil eines starken Bundes wie der EU sind, vielleicht nicht mehr das entscheidende Element für selbstbestimmtes Leben und Identifikation sein. Auch innerhalb der heutigen Strukturen, die sich durch einen beständigen und friedlichen Kampf für mehr Autonomie noch verbessern können, ist es möglich, sich frei zu fühlen. Mir ist bewusst, dass die Menschen in Mitteleuropa dies möglicherweise nicht so gut verstehen können wie ihr Katalanen. Manche unserer Analysen mögen auch nicht uneingeschränkt zutreffen. Als überzeugter Europäer, der von einem geeinten Europa ganz ohne nationale Hürden träumt, denke ich aber ohnehin in anderen Dimensionen. Ein „Europa der Regionen“ ist hinsichtlich vieler Fördermittel bereits heute Realität. Vielleicht ist das der Kampf, den es zu kämpfen gilt, um innerhalb Europas, wo auch immer dies ist, frei und unabhängig sein zu können. Im 21. Jahrhundert sollte die Vision doch lauten: Keine Grenzen mehr, statt mehr Grenzen.

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