Brief an Europa: Marine Le Pen, heimlich Feministin?

, von  Gesine Weber

Brief an Europa: Marine Le Pen, heimlich Feministin?
Marine Le Pen, 2012 Foto: Rémi Noyon / Flickr / CC BY 2.0-Lizenz

Am vergangenen Sonntag hat knapp ein Viertel der französischen Wähler*innen im Rahmen des ersten Wahlgangs der Präsidentschaftswahlen für Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National gestimmt, die nun nächste Woche dem parteilosen Emmanuel Macron in der Stichwahl gegenüberstehen wird. Sie ist damit die vielleicht erfolgreichste Frau der französischen Politik – aber leider ist sie rechts.

Sehr geehrte Frau Le Pen,

einen Brief an Sie zu verfassen fällt mir nicht leicht. Sie müssen wissen: Ich zähle zu den Menschen, die Ihre politischen Ansichten strikt ablehnen, weil sie im Gegensatz zu Ihnen proeuropäisch, anti-rassistisch, weltoffen, sozial gerecht, ökologisch nachhaltig und feministisch eingestellt sind. Das, was Sie seit Monaten den französischen Wähler*innen predigen, die ewige Mär des Protektionismus, der für Frankreich angeblich alles besser macht, halte ich für schlichtweg falsch, Ihre rassistischen, hetzerischen Reden, mit denen Sie sich als einzige Verteidigerin der Werte Frankreichs darstellen, finde ich abstoßend und menschenverachtend. In diesem Brief will ich aber nicht die Details Ihres Programms diskutieren, das machen die französischen und auch internationalen Medien derzeit intensiv genug. Denn es gibt eine Sache, die mich wirklich an Ihnen fasziniert – und das ist, dass Sie die erste Frau in Frankreich sind, die eine realistische Chance auf das Präsidentenamt hat und sich damit in die Reihe der mächtigsten Frauen der Welt einreihen könnte.

Wahrscheinlich sind Sie jetzt schon genervt von meinem Brief, weil es um Feminismus geht, Sie aber klassische Rollenverteilung und nicht-gegenderte Substantive viel relevanter finden. Wenn das Thema politisch das Potential hat, Ihnen zu Wähler*innen zu verhelfen, sprechen Sie über Frauenrechte, beispielsweise mit Ihrer Forderung zur Bekämpfung der Lohnlücke oder des Islam zum Schutz französischer Frauen. Für Feminist*innen hat Ihr Programm wenig übrig. Dabei frage ich mich: Sind Sie nicht selbst auch Feministin, wollen sich aber einfach nicht so nennen?

Auch wenn es Ihnen schwerfallen mag, es zu glauben: Man kann auch Feminist*in sein, ohne regelmäßig wie die Gruppe Femen öffentlichkeitswirksam die Hüllen bzw. BHs fallen zu lassen und oben ohne auf die bisher nicht erreichte Gleichstellung aufmerksam zu machen. Wenn ich mir Ihre politische Karriere bis heute anschaue, muss ich sagen, dass das für mich nach einer feministischen Erfolgsgeschichte aussieht: Auch wenn Sie natürlich als Tochter des FN-Gründers gewisse Vorteile und Netzwerkegehabt haben dürften, haben Sie es geschafft, in der am stärksten von (alten) Männern dominierten Partei den Vorsitz zu übernehmen, diesen auch entgegen interner Kritik immer wieder zu verteidigen und im Zweifel diejenigen, die Ihnen zu radikal waren, aus der Partei auszuschließen. Dass Sie sich innerhalb dieser patriarchalischen Strukturen mit pro-feministischen Aussagen selbst ins Aus befördert hätten, versteht sich von selbst. Tatsache ist allerdings, dass Sie heute eine der bedeutendsten Politiker*innen Frankreichs sind und ihr Werdegang potentiell eine Vorbildfunktion für junge Frauen in der Politik haben könnte – wenn Sie nicht rechts wären.

Ich frage mich: Wie bringen Sie Ihre Karriere, die das Bild einer emanzipierten Frau vermittelt, mit Ihren rückschrittlichen und frauenverachtenden Parolen zusammen? Noch eher müsste man diese Frage Ihrer Nichte Marion Maréchal-Le Pen stellen, die als junge, gebildete und ehrgeizige Frau unter anderem leidenschaftliche Plädoyers für Abtreibung und damit gegen einen wichtigen Teil der Selbstbestimmung von Frauen hält. Es ist widersprüchlich, dass Sie für klassische Rollenbilder werben, während Sie selbst als Mutter von drei Kindern berufstätig sind oder waren. Vor allem aber sind Ihre Politik und Ihr Auftreten ein Schlag ins Gesicht für alle Frauen, ganz egal, ob sie schon einmal Diskriminierung auf Grund ihres Geschlechts erfahren haben oder nicht. Feminismus ist okay, solange Sie ihn leben und davon profitieren – für alle anderen gelten unverständlicherweise andere Regeln, genannt Patriachat. Ich kann nicht verstehen, wie Sie als Frau ernsthaft hinter solchen Ideen stehen können. Es macht mich wütend. Aber vor allem bemitleide ich Sie, dass Sie nichts aus Ihrer eigenen Karriere gelernt haben, obwohl sie daraus sehr viel hätten mitnehmen können.

Immerhin hat Ihre Karriere aber ein Gutes, was alle Feminist*innen aus ihr lernen können: Nur weil eine Karriere nach oben von einer Frau gemeistert wurde, heißt das nicht, dass das per se gut oder unkritisch zu loben ist. Nur weil eine Frau an der Spitze einer Partei steht, heißt das nicht, dass man diese Partei als Feminist*in wählen sollte. Denn Fakt ist: Sie sind rechts – und mit ihrer menschenfeindlichen Agenda für Feminist*innen unwählbar. Ich hoffe, dass das die Wähler*innen am kommenden Wochenende erkennen.

Mit freundlichen Grüßen Gesine Weber

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Ihr Kommentar
  • Am 13. Juni 2017 um 14:43, von  K.W. Als Antwort Brief an Europa: Marine Le Pen, heimlich Feministin?

    Liebe Gesine,

    ich finde, du schreibst einen interessanter Artikel und hinterfragst diskutable Inhalte der Politik Marine Le Pens. Konsequenterweise, denke ich, könnten deine Gedanken weiter gesponnen werden, wenn die Frage der Glaubwürdigkeit von Politikern diskutiert werden soll. D.h., inwieweit finden wir in dt./europ. Parlamenten Politiker vor, denen theoretisch vorgehalten werden kann, sie würden entgegen ihren eigenen tiefen innersten Überzeugungen handeln? Muss dies nicht sogar so sein, um das „Mandat der Partei“ zu erfüllen bzw. den dem jew. Abgeordneten auferlegten Fraktionszwang? Sind in unseren politischen / gesellschaftlichen Systemen nicht politische Ämter, die auf den ersten Blick suggerieren, der jew. Amtsinhaber/Politiker würde gegen seine eigene Überzeugung handeln, erst notwendig, um eigene Überzeugungen einer breiten Masse bekannt zu machen? Oder anders ausgedrückt: Ist die partielle Aufgabe der eigenen Position nicht gar notwendig, um für etwas - aus der jew. Sicht des Einzelnen - Größeres, Ganzes eintreten zu können?

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