Das Amazon für Europa - Online-Handel youro im Interview

, von  Hendrik Heim

Das Amazon für Europa - Online-Handel youro im Interview
Die Konkurrenz zu Amazon, Temu und co. heißt Youro. Foto: Michelle Kujawa, Logo: youro

Die Plattform Youro aus Köln will den Online-Handel in Europa revolutionieren. Nachhaltige Produkte. Qualitätsmarken mit echten Werten. Made in EU. Rechnet sich das? Und kann sich das jeder leisten? Wir haben Michelle Kujawa, Gründerin von Youro, gefragt.

Welchen Sinn hat ein rein europäischer Onlinehandel in einer globalisierten Welt?

Wir wollen mit Youro die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb Europas fördern. Aktuell wandern immer mehr Produktionskapazitäten und Knowhow ab. Das macht es für Marken zunehmend schwieriger, in Europa zu produzieren, weil Kapazitäten und Expertise fehlen. Dadurch entstehen wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten von Drittstaaten. Gleichzeitig sinkt die Vielfalt für Verbraucher*innen. Wenn lokal hergestellte Produkte nicht sichtbar oder zugänglich sind, können sie auch nicht gekauft werden. Am Ende sehen wir dann fast nur noch Importware – und die lokale Produktion hat keine Chance mehr, langfristig zu bestehen.

Alle Produkte, die bei euch gelistet sind, müssen in der EU produziert worden sein. Eure Marken könnten ja auch zu Amazon gehen. Welchen Vorteil haben Unternehmen, sich bei Youro zu vermarkten?

Bei Youro findet kein Preisdumping statt und die Ausgangsvoraussetzungen der Unternehmen sind ähnlich. Außerdem können die Marken bei Youro ihre Geschichte erzählen. Jedes Unternehmen, das in der Europäischen Union produziert, hat einen Grund, warum es nicht nach Fernost abwandert. Das sind oftmals ethische Beweggründe. Ein hoher Qualitätsanspruch zum Beispiel. Oder der Wille, aus Tradition Arbeitsplätze zu erhalten und die lokale Wirtschaft zu fördern. Deswegen steht unter jedem Produkt auf Youro ein Teamfoto und ein kurzes Statement der Marke, sowie drei sogenannte „Unique Impact Points“. Die geben an, worauf die Marke in der Produktion besonders achtet. Viele nutzen recycelte Materialien, bieten einen Reparaturservice an oder legen Wert auf geringen Plastikverbrauch. Die Konsumierenden können so aktiv entscheiden, was sie mit ihrem Geld machen. Sie können ihre Wirtschaft mitgestalten. Wir schaffen damit Markttransparenz. Unsere Marken können ihre Produkte aber trotzdem auch auf Amazon und Co. verkaufen.

Was macht denn den Wirtschaftsstandort EU für euch so besonders? Auch hier finden Massentierhaltung und Ausbeutung am Arbeitsplatz statt.

Global gesehen ist die Europäische Union ein relativ starker Wirtschaftsraum mit überdurchschnittlichen Standards. Gerade beim Arbeitsrecht oder Klimaschutz hat die EU Regelungen, die in anderen Produktionsregionen gar nicht existieren – oder nicht durchgesetzt werden. Viele Unternehmen, die in der EU produzieren, tun das nicht nur, weil sie müssten, sondern weil sie genau diese Standards mittragen wollen. Ihnen sind faire Arbeitsbedingungen, Umweltschutz oder kurze Transportwege wichtig. Im Moment importieren wir aber einfach an all diesen Standards vorbei. Und die Konsumierenden bleiben dabei außen vor, weil sich das Angebot am Markt kaum verändert. Wir wollen das ändern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Produkt verantwortungsbewusst gefertigt wurde, steigt, wenn man weiß, wo es herkommt. Gerade im Onlinehandel, wo keine verpflichtende Herkunftsangabe gilt.

Lokale Produkte sind oftmals auch teurere Produkte. Auf Youro findet man ein Frühstücksset für 88 Euro oder eine Kerze für 40 Euro. Das kann sich nicht jeder leisten. Bleibt euer Projekt so nicht elitär?

Man muss irgendwo anfangen. Perfektion darf dabei nicht der Maßstab sein. Sonst könnte man viele gute Initiativen gleich bleiben lassen. Natürlich ist das nicht für alle gesellschaftlichen Schichten machbar. Im Moment sprechen wir vor allem Menschen an, die ohnehin Markenprodukte kaufen. Für diejenigen bedeutet der Umstieg keinen Preisunterschied. Diese Zielgruppe hat ein gewisses Qualitätsbewusstsein – und wir wollen sie bestärken. Mit jedem Kauf unterstützt man nachhaltig denkende Unternehmen und hat ein langlebiges Produkt. Langfristig braucht es einen gesellschaftlichen Wandel im Konsumverhalten. Weg vom schnellen, impulsiven Kauf – hin zu bewussterem Konsum. Weniger, dafür besser. Das ist eine große Aufgabe, aber auch eine Chance.

Woher kommt deine eigene Liebe zu Europa?

Meine Familie kommt aus Polen. In meiner Kindheit sind wir oft nach Polen gefahren, um die Familie zu besuchen. Ich habe noch strenge Grenzkontrollen miterlebt, bin bilingual aufgewachsen und habe mich immer in Deutschland und Polen zu Hause gefühlt. Europa ist unglaublich vielfältig. Und es gibt hier immer noch sehr viel zu entdecken!

Aus deinem Entdeckerdrang ist ja auch die Idee für Youro entstanden.

2020 wollte ich mit einem Van durch Europa reisen und habe beim Ausbau festgestellt, wie schwierig es ist, lokal produzierte Produkte zu finden. Ich wollte bewusst einkaufen – also beispielsweise Materialien im Fachhandel oder Baumarkt vor Ort. Aber wenn ich dann die Produkte umgedreht habe, stand trotzdem „Made in China“ drauf. Mir wurde bewusst, wie schwer es überhaupt ist, lokal produzierte Produkte zu finden. Dann bin ich mit dem Van auf Europareise gegangen: Polen, Tschechien, Italien... Ich bin großer EU-Fan und schätze diese Freiheit sehr – dass man einfach von einem Land ins nächste fahren kann, ohne sich um Visa oder Ähnliches kümmern zu müssen. Ich habe mich gefragt, wie das sein kann – wir haben diese großartige europäische Idee, diese Werte, Gesetze – aber wirtschaftlich importieren wir komplett daran vorbei. So entstand die Idee zu einer Plattform für Produkte, die in Europa hergestellt werden. Produkte mit Geschichte, mit Gesicht, mit Nähe.

Aktuell gibt es wieder Kontrollen an den deutschen Außengrenzen. Ist das auch in euren Produktionsabläufen oder im Versand spürbar?

Im Moment sind wir ausschließlich in Deutschland tätig. Das bedeutet, dass der Versand innerhalb Deutschlands passiert oder von anderen europäischen Ländern nach Deutschland. Darum kümmern sich die Marken dann selbst. Der Versand zwischen anderen Ländern, also z. B. von Portugal nach Griechenland, ist aktuell noch nicht möglich. (Anmerkung d. Redaktion: mittlerweile ist der Versand EU-weit möglich). Aktuell arbeiten wir mit etwa 50 Marken zusammen und haben rund 1000 Produkte online. Bis Ende des Jahres wollen wir auf über 100 Marken wachsen und unser Sortiment entsprechend erweitern. Nächstes Jahr wollen wir auch einen Local Store Finder einführen – also eine Übersicht, wo man unsere lokal produzierten Produkte auch offline findet. Pop-up-Stores oder stationäre Präsenz sind für uns ebenfalls ein Thema. So wollen wir lokal sichtbarer werden – nicht nur digital, sondern auch physisch.

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