Ob mit oder ohne EU – die Ukraine erlebt schwierige Zeiten. Sie kann sich nicht von der Wirtschaftskrise erholen. Produktion, Exporte und Investitionen gehen zurück. Die ukrainische Regierung sucht verzweifelt nach Geldgebern, um das klaffende Haushaltsloch zu schließen. Zudem werden 2014 Schuldenrückzahlungen fällig. Die strengen Sparauflagen, die Teil des Deals mit der EU sind sowie ein möglicher Handelskrieg mit Russland würden die Lage noch zusätzlich verschärfen. Infolge von Kriegen, Teilungen und Wiedervereinigungen ist der Osten der Ukraine eher pro-russisch, der Westen steht kulturell Europa näher.
Was würde das Abkommen mit der EU der Ukraine bieten, was würde es von ihr verlangen? Die Errichtung einer Freihandelszone ist ein grundlegender Punkt. Die ehemalige Sowjetrepublik mit ihren 45 Millionen Einwohnern würde einen großen Absatzmarkt bieten. Für die Ukraine würde es womöglich den wirtschaftlichen Ruin bedeuten. Europäische Waren könnten inländische vom Markt verdrängen. Die EU würde zwar auch ihren Markt öffnen, jedoch ist der Großteil der ukrainischen Unternehmen nicht in der Lage nach EU-Standards zu produzieren. Bislang exportierte die Ukraine ihre Waren in die GUS-Staaten, vor allem nach Russland, worauf teilweise ganze Branchen ausgerichtet sind. Tragende Industriezweige wie der Maschinenbau würden in Not geraten und jede Menge Arbeitsplätze streichen. Die Angleichung an europäische Standards erfordert Investitionen, die weder die EU noch die Ukraine schultern können. Die Öffnung des europäischen Marktes ist für die Ukraine also kein wirklicher Vorteil.
Noch verheerender erscheinen die Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) nach Sparmaßnahmen. Der Gaspreis für Verbraucher soll um fast die Hälfte steigen, was sowohl Privathaushalten als auch Unternehmen stark zusetzen würde. Der IWF verlangt zudem Kürzungen der Gehälter, Sozialleistungen und Renten, um das Haushaltsloch zu verringern. Die Hälfte ukrainischer Bürger lebt aber bereits unter der Armutsgrenze. In den Dörfern wird mittlerweile häufig mit Holz geheizt, weil die Gaspreise zu hoch sind. Die ukrainische Regierung, so korrupt sie auch sein mag, möchte den Bürgern nicht den griechischen Weg zumuten. Besonders nicht vor den Wahlen 2015.
Hinzu kommt der Druck aus Russland. Die Zollunion mit Russland verspräche jährlich einen milliardenschweren Profit durch Handelsvorteile, Wegfall der Zölle und einen geringeren Gaspreis. Sollte aber Putin die Wareneinfuhr aus der Ukraine stoppen oder Zölle anheben, könnte der Staat rund zehn Prozent seines BIP verlieren. Ukraine ist zudem vom russischen Gas abhängig. Um eigene Vorkommen auszubeuten oder Technologien effizienter zu machen, fehlen die nötigen Investitionen.
Eine Zollunion würde der russischen Machtnostalgie entgegenkommen. Russland träumt seit langem davon, sich wieder seine imperiale Größe zurückzuholen. In einer Zollunionnach russischen Bedingungen würde Putin sein korruptes Regime ausweiten können. Die EU möchte das verhindern und stattdessen ihre Standards nach Osten tragen und dort für Demokratie, Transparenz und Wohlstand sorgen. Noch lässt sich die Ukraine nicht von Russland in die Zollunion locken. Seit Jahren reduziert sie sogar den Handel mit Russland und treibt den mit der EU voran. Eine Annäherung an die Ukraine wäre ein großer Erfolg in der Geschichte der EU-Erweiterung.
Mittelfristig wäre der russische Weg für die Ukraine profitabler. Die Annäherung an die EU könnte jedoch eine neue Perspektive eröffnen. Die Unterschrift des Abkommens wäre ein Signal für Investoren, aber auch für ukrainische Bürger, die in eisiger Kälte am Maidan protestieren, dass sich etwas ändern würde. Verbesserungen der Gesetzgebung, institutionelle Reformen, Modernisierung – all das ist ohne die Union kaum umsetzbar. Unter russischem Gas-Pantoffel lebt es sich derzeit bequemer, dort gibt es keinen Anlass, etwas zu verändern. Wenn die Ukraine sich modernisieren möchte, führt langfristig kein Weg an der EU vorbei. Selbst die pro-russische Regierung von Janukowitsch weiß das.
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