Ungarn

Das Land der fröhlichen Demonstrationen

, von  László Mérö

Das Land der fröhlichen Demonstrationen
Blick auf die Donau und das Parlament in Budapest: Demonstrationen auf den Straßen Ungarns könnten ein neuer Ort für freie Meinungsäußerung werden. Foto: rauschenberger / Pixabay / CC0 1.0

Viktor Orbán regiert weiter in Ungarn, die Opposition ist de facto abgewählt - in diesem Kontext könnte sich die Straße als Ort der freien Meinungsäußerung etablieren, meint László Mérö.

Wer im Sport haushoch besiegt wird, sollte dafür die Schuld nicht beim Schiedsrichter suchen. Er ist gut beraten, über die Gründe nachzudenken, die zu dieser erdrückenden Überlegenheit des Gegners geführt haben, und warum ihm das nicht schon vor dem Spiel eingefallen war.

Als Orbán in seiner Wahlkampagne erklärte, dass die Wähler in Ungarn eher Lust zum Ablösen der Opposition als zum Ablösen der Regierung hätten, wurde es mir für einen Moment schlecht. Soweit kommt es noch: Er bestimmt sogar die Opposition, die er haben will… Doch seine Analyse der Lage war zutreffend. Mit dem ihm eigenen Zynismus forderte Orbán die Abwahl der Opposition, wohlwissend, dass dies leichter zu erreichen ist, als seine eigene Abwahl zu verhindern.

Um diese Opposition am Leben zu erhalten, genügt es, einige gutbezahlte Abgeordnete im Parlament zu dulden, manches Gerichtsverfahren großzügig einzustellen oder eine Zuwendung zu gewähren, wenn es denn sein muss…Orbán war und ist es bewusst, dass die Opposition sein Schutzschild ist, denn für viele Wähler ist er und seine Fidesz noch das kleinere Übel.

Recht so, man sollte zunächst die Opposition in die Wüste schicken, denn solange kein Nachfolger da ist, kann Orbán nicht abgewählt werden. Alle bisherigen oppositionellen Parteien sollten zukünftig ignoriert werden, bis auf die zwei kleinen, die im ungarischen Parlament noch nie vertreten waren und auch jetzt nicht reinkommen werden. Man sollte die im Parlament vorhandene Opposition ignorieren, egal ob sie Kluges oder Albernes von sich gibt. Man sollte sie nicht befragen, von ihnen kein Interview verlangen. Melden sie sich trotzdem zu Wort, dann sollte man nur noch gähnen. Sie sind keine Gesprächspartner mehr. Mangels Opposition trifft das auch auf das Parlament zu.

Solange der Ministerpräsident Orbán heißt, bleibt als Ausdruck des Aufbegehrens nur die Straße und natürlich das Auswandern als Abstimmung mit den Füßen.

Die Straße könnte sich aber in den größeren Städten als Ort der Meinungsäußerung etablieren.

Die letzten zwei großen Samstagsdemos im Zentrum von Budapest bedeuten einen vielversprechenden Beginn. Diese fröhlichen Demonstrationen mit witzigen Darbietungen könnten sogar zur ständigen europäischen Attraktion werden. Sie könnten das immer schlechter werdende Image von Ungarn in der Welt kompensieren. Solch gute Programme könnten unsere Jugend vielleicht vom Auswandern abhalten…Mehr noch, Budapest würde sich so, Orbán zum Trotz, als fröhliche, sprudelnde, lebhafte Metropole zeigen.

Es gibt aber noch einen weiteren Punkt, in dem Orbán Recht behalten hat. Die landesweite Hetzkampagne gegen den ungarischstämmigen Milliardär und Philanthrop George Soros hat ihre Wirkung nicht verfehlt, obwohl alles reine Lüge war. Wer wirklich geglaubt hat, dass die gesamte Opposition von Soros finanziert war, der hat Soros für einen Vollidioten gehalten. Hätte er wirklich zugelassen, dass sich diese Parteien sowohl gegeneinander als auch gegen sein Geld ins Zeug legen? Mitnichten. Ein Sponsor vom Kaliber Soros hätte nämlich alle oppositionellen Parteien zusammengeschweißt, und damit die finanziellen Möglichkeiten der nunmehr einzigen oppositionellen Partei sogar noch aufgestockt. Dann hätte selbst die absolute Mehrheit für Fidesz gewackelt, von der erreichten Zweidrittelmehrheit ganz zu schweigen.

Die Idee und Durchführung der landesweiten Hetzkampage gegen Soros waren professionell, selbst wenn alles auf Lügen aufgebaut war. Árpád Habony, Orbáns Einflüsterer, wird sich bei Bedarf jederzeit etwas ähnlich Gemeines einfallen lassen. Das wird dann genau so funktionieren wie jetzt die Kampagne gegen Soros.

Dagegen muss man eine ganz neue Antwort finden, vielleicht auf Basis dieser heiteren Samstag-Demos mit vielen jugendlichen Teilnehmern. Verlaufen sich diese Demos nicht im Sand, so könnten sie sich als adäquates Gegenmittel zu den Praktiken von Habony erweisen.

Es wäre sehr zu empfehlen, dass man demnächst eher darüber nachdenken sollte und weniger über irgendwelche Wahlmanipulationen oder das ungerechte Wahlsystem, das Orbáns Fidesz-Partei begünstigt hat. Das wird nicht den Ausschlag geben – prophezeiten mehrere Wahlforschungsinstitute noch vor den Wahlen. Auch mir hat meine Stadt Budapest etwas vorgemacht, denn hier verlor Fidesz 12 zu 6. In der Provinz gewann die Fidesz zwar überlegen, doch gibt es auch dort genug Leute, die auf Fidesz nicht hereingefallen sind.

Also wird es genug Möglichkeiten geben, auf die man nach der Abwahl der jetzigen Opposition bauen kann. Vorläufig bietet sich dafür nur die Straße an. Mit der Zeit verlagern sich diese Aktivitäten mit neuen oppositionellen Parteien hoffentlich auch ins Parlament. Dann wird man es bedauern, dass diese kultivierten, heiteren Demonstrationen gegenstandslos werden. Aus ihnen könnte sich ein wahres, wertvolles „Made in Hungary“ entwickeln, eine demokratische, liberale Antithese zum Orbanismus.

Dieser Artikel ist im Original am 19.04.2018 in der ungarischen Wochenzeitung „Heti világgazdaság“ erschienen und wurde treffpunkteuropa.de zur Verfügung gestellt.

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