Das Rahmenabkommen EU – Schweiz immer noch in Verhandlung

, von  Thomas Buttin, übersetzt von Marie Jantsch

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Das Rahmenabkommen EU – Schweiz immer noch in Verhandlung
Allein aufgrund ihrer geografischen Lage hat die Schweiz ein besonderes Verhältnis zur EU. Foto: Unsplash / Eberhard Grossgasteiger / Unsplash License

Die Schweiz gehört nicht zur Europäischen Union, ist aber durch verschiedene Abkommen teilweise integriert. Diese Abkommen ermöglichen es ihr, ein besonderes Verhältnis zu Europa zu pflegen. Umgeben von EU-Mitgliedstaaten mit der gleichen Währung ist die Schweiz auf den Zugang zum europäischen Markt angewiesen. Schweizer Politiker*innen heben jedoch im Allgemeinen Besonderheiten hervor, die mit dem europäischen Projekt nicht vereinbar wären: Föderalismus, Neutralität und direkte Demokratie, aber auch wirtschaftliche Besonderheiten, insbesondere das Bankgeheimnis.

Der Schweizer Bundesrat hat den Abschluss eines historischen Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Schweiz am 7. Juni unter dem Vorwand zusätzlich notwendiger Präzisierungen erneut verschoben. Der Abschluss dieses Abkommens bis Oktober scheint also in weite Ferne zu rücken - wieder einmal.

Die Geschichte einer besondere Beziehung

Alles begann 1992 mit der Weigerung der Schweiz, den Vertrag zum Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum in einem Referendum zu ratifizieren. Dieser Entscheidung folgte seitdem der Abschluss mehrerer Verträge. Tatsächlich hat der Bundesrat 1999 eine Reihe von Abkommen mit dem Titel „Bilaterale Abkommen I“ abgeschlossen, welche die Bereiche Landwirtschaft, freier Personenverkehr, Forschung, Luft- und Landverkehr sowie öffentliche Aufträge betreffen. Seit 2001 konzentrieren sich die Verhandlungen auf die Steuer- und Sparvorschriften, die Betrugsbekämpfung sowie die europäische Grenz- und Migrationspolitik.

Es handelt sich also bisher um einen rein bilateralen Ansatz, der aus mehr als zwanzig verschiedenen Abkommen und Dutzenden von Verträgen besteht. Trotz der Weigerung, dem Europäischen Wirtschaftsraum beizutreten, haben die Schweiz und die Europäische Union besondere Beziehungen und einen privilegierten Dialog gepflegt. Die Beziehung ist auch heute noch für beide Seiten in Hinblick auf die zunehmende Integration der Grenzgebiete von wesentlicher Bedeutung. Der Dialog ist zwar notwendig, erscheint heute aber schwieriger.

Der Rahmenvertrag EU – Schweiz

Seit mittlerweile zehn Jahren bemühen sich die europäischen Institutionen um die Aushandlung eines Rahmenabkommens, das es ermöglichen würde, die verschiedenen bestehenden Abkommen über den Zugang zum Binnenmarkt einheitlicher und effizienter umzusetzen.

Der Bundesrat wünscht sich seinerseits eine optimale wirtschaftliche Integration in den europäischen Binnenmarkt und eine engere Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen, unter anderem beim Grenzschutz, bei gleichzeitiger Wahrung größtmöglicher politischer Unabhängigkeit. Die Schweiz betrachtet den Bilateralismus nach wie vor als das am besten geeignete Instrument zur Umsetzung ihrer Interessen. Aber der Zugang zum europäischen Binnenmarkt ist für das Land unerlässlich. In der Tat gehen 53% der Exporte des Landes in die EU, und 71% der Schweizer Importe kommen aus dem europäischen Markt.

Das derzeit verhandelte Rahmenabkommen oder institutionelle Abkommen wird es ermöglichen, diesen Zugang zum Binnenmarkt langfristig zu gewährleisten und gleichzeitig die politische Zusammenarbeit vertiefen. Es umfasst daher nur Verträge über die Integration der Schweiz in den Binnenmarkt. Mit anderen Worten, es geht nur um Verträge, die mit der Integration der Schweiz in den EU-Markt zusammenhängen. Dabei geht es um die für die Grenzregionen so wichtige Personenfreizügigkeit, den Luftverkehr, die Landwirtschaft und den Landverkehr. Künftige Abkommen werden ebenfalls in diesen Rahmen aufgenommen, wie beispielsweise der sich ebenfalls in Verhandlung befindliche Vertrag über Strom.

Der Rahmenvertrag muss vier Fragen regeln:

  • Die Rechtsentwicklung, das heißt: Mit welchem Verfahren wird die Umsetzung der Abkommen geregelt?
  • Die Überwachung der korrekten Umsetzung der Vereinbarungen
  • Die Auslegung der getroffenen Vereinbarungen, d.h. wie kann eine einheitliche Auslegung des Vereinbarten gewährleistet werden?
  • Beilegung von Streitigkeiten

Zudem soll das Abkommen der EU und der Schweiz auch ermöglichen, ihre internationalen Positionen abzustimmen und leichter zu gemeinsamen politischen Positionen zu gelangen, insbesondere im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Rahmenvertrag EU-Schweiz und der Brexit – der gleiche Streit

Am 9. Februar 2014 wurde die Initiative der rechtsextremen Schweizerischen Volkspartei (SVP) „gegen die Masseneinwanderung“ von 50,3% der Schweizer Stimmberechtigten und von 17 Kantonen in einem Referendum angenommen. Der Text forderte die Wiedereinführung von Quoten für ausländische Arbeitnehmer. Die mit knapper Mehrheit angenommene Abstimmung hat die diplomatischen und institutionellen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU abgekühlt. Dies führte zur mehrmonatigen Aussetzung des Forschungs- und Entwicklungsprogramms Horizon 2020 für Schweizer Forschende, und zur Aussetzung der Erasmus-Austauschprogramme. Dieser Rückschlag hat auch die Verhandlungen über das Rahmenabkommen etwas verlangsamt.

Wie die Brit*innen in den Brexit-Verhandlungen erwarten die Schweizer*innen dasselbe von der Europäischen Union: eine Klausel, die Einschränkungen der Personenfreizügigkeit zulässt. Die 27 Mitgliedsstaaten lehnen diese Idee aber ab, da sie im Widerspruch zur Idee der europäischen Integration, aber auch zum Funktionieren des Binnenmarkts steht. Der Bundesrat, der in den Verhandlungen seine Haltung zu diesem Thema nicht ändern wollte, nahm schließlich die Diskussion wieder auf, nachdem das Schweizer Börsensystem drohte, die Pass-Rechte an die EU zu verlieren.

Der Euro-Pass für den Schweizer Finanzmarkt wurde bis diesen Juni verlängert. Trotzdem gibt es zahlreiche Schwierigkeiten beim Erzielen einer Einigung: Die Schweizer Gewerkschaften wollen nicht verhandeln, der Bundesrat verschiebt immer wieder die Entscheidungsfindung und so weiter. Die EU hat angegeben, unter welchen Bedingungen das Abkommen geschlossen werden kann. Daher ist es nicht sinnvoll, Punkte zu diskutieren, die bereits im Rahmen des Brexits klargestellt wurden, wie die Untrennbarkeit der vier Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarkts.

Die Schweizer*innen beginnen dies nach und nach zu verstehen und fürchten nun das Nichtzustandekommen einer Vereinbarung, das sie teuer zu stehen kommen würde. Zumal einige politische Parteien und Medien im Brexit eine Inspiration sahen und hofften, dass die europäischen Institutionen ins Zittern geraten und allen britischen Forderungen nachgeben würden. Schlimmer noch: Der Bundesrat hoffte, ein Abkommen mit London schließen zu können, um ein Monopol zwischen zwei wichtigen europäischen Finanzzentren zu gründen und damit die Finanzplätze innerhalb der EU zu schwächen. Letztlich ist nichts daraus geworden.

Daher muss der Bundesrat nun wählen, ob er den Zugang zum europäischen Markt verlieren oder Schweizer*innen und Europäische Bürger*innen gleich behandeln will.

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