Warum der 2. Juni?
Der 2. Juni ist ein doppeltes Datum für die Republik: Es ist sowohl der Jahrestag des Referendums, das die Italiener dazu veranlasste, sich ein für alle Mal für eine republikanische, statt einer monarchischen Staatsform zu entscheiden, aber auch der Todestag von Giuseppe Garibaldi, de facto einer der Gründerväter des Nationalstaates Italien.
Ohne zu viele Worte zum 2. Juni zu verlieren, zu dem schon viele gesprochen haben, wollen wir hier den Unterschied zur anderen wichtigen Feier hervorheben, nämlich dem 25. April, zu dem es bei Eurobull auch einen Artikel gibt:
Während der Tag der Befreiung von einigen politischen Kräften als eine trennende Feier der nationalen Identität erlebt wird, so marschieren konservative Parteien selten bei den Kundgebungen mit, und für seine Protagonisten der 25. April auch eine besondere Rolle in der föderalistischen Dialektik spielt, scheint der 2. Juni eine Feier zu sein, die das Konzept des Nationalstaates ehrt, ein Tag, an dem man sich mit als Patriot*in fühlen darf.
Genau aus diesem Grund wird sie von vermeintlichen nationalkonservativen Personen oft in irgendeiner Weise als Symbol angenommen. Trotz dieses Diskurses des 2. Juni als Apologismus gegenüber der Vergangenheit, als Feier zur Größe des Heimatlandes und der Nation, kann man den 2. Juni auch als eine Einladung verstehen, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken, und als eine Feier, die auch stolz auf die Gegenwart ist.
Beginnen wir mit dem zweiten Konzept. Der 2. Juni ist das Fest der italienischen Republik, aber nicht nur im historischen Sinne ihrer Entstehung und Gründung, sondern auch in der Darstellung ihrer Ideale, die in ihrer Verfassung zum Ausdruck kommen. Zugleich ist es eine Feier dessen, was die Gegenwart der Nation ist. Es ist kein Zufall, dass es in einigen Fällen besondere „Themen“ für die Parade gibt und gab, wie zum Beispiel das Gedenken an den Ersten Weltkrieg, das kollektive Erinnern an die Erdbebenopfer in der Emilia-Romagna oder aber auch die Feierlichkeiten zu Italiens Präsidentschaft des Europäischen Rates 2014. Der 2. Juni spiegelt immer auch Aktualität wieder und wird dieses Jahr auch im Zeichen der Corona-Krise erkennbar sein.
Auch ist die Parade am 2. Juni nicht ausschließlich eine Militärparade. Zivile Einsatzkräfte, Freiwilligen-Organisationen, Feuerwehrleute, Polizei und auch ausländische Gäste nehmen ebenso an der Parade zur Feier der Republik teil. Es ist ein Anlass, ja, patriotischen Stolzes, aber es ist ein Stolz, der dem am 2. Juni zum Ausdruck gebrachten Willen zur kontinuierlichen Veränderung des Landes innewohnt. Wandel und Zukunft sind die beiden Schlüsselworte am 2. Juni.
Der 2. Juni als Fest der Zukunft und für die Zukunft
Der 2. Juni ist nicht nur ein Gedenken an die statische und monolithische Vergangenheit. Es gibt nichts Statisches und Monolithisches im republikanischen Italien, einem Land, das enorme Veränderungen in seiner Gesellschaft, Wirtschaft, Geschichte und Kultur erlebt hat; das durch schwarzen, also faschistischen, und roten Terrorismus geprägt, durch Parteien, Aufstände, Separatist*innen, Gräuel der Mafia, Wirtschaftswachstum und auch Wirtschaftskrise beeinflusst wurde. Dafür steht auch der Tag der Republik. Die Fähigkeit, sich den Herausforderungen der Geschichte zu stellen, sich aber auch eine andere Zukunft vorzustellen. Der Zweite Weltkrieg hat als historischer Wendepunkt einen starken Fußabdruck hinterlassen, eine unauslöschbare Spur in der Geschichte der Menschheit. Italien war nicht davon ausgenommen, unter diesem Einfluss und all seinen Folgen zu stehen, einschließlich der Situation, sich für einen Präsidenten, statt für einen König zu entscheiden. Wahrscheinlich hätte sich in Bezug auf die bürokratische und fast schon statuenhafte Verwaltung wenig an der Praxis des italienischen Lebens geändert. Man könnte sich ein Italien mit einer konstitutiven Monarchie vorstellen und dennoch der Meinung sein, dass es mehr oder weniger dorthin gelangt wäre, wo wir heute sind. England ist eine Monarchie, ebenso Holland und sogar Schweden. Dies hat ihre demokratischen Wurzeln nicht untergraben und würde auch das italienische System kaum verändern.
Und doch entschieden sich die Italiener*innen, als sie zur Wahl aufgerufen wurden, für die republikanische Form. Ohne die Ursachen, die immer wieder in spezifischen Büchern und Essays zum Thema behandelt werden, im Detail zu untersuchen [1] sollen die Folgen dennoch erwähnt werden: das Exil der Savoyer, der einstigen Herrscherfamilie, die provisorische Regierung, dann die erste republikanische Regierung nach der Verfassung und, kaskadenartig, die Geschichte der italienischen Republik, wie wir sie kennen.
Eine Geschichte, die sich wie ein roter Faden durch jene Institutionen zieht, die aus Europa geboren und durch Europa geformt wurden und die dafür sorgten, dass Italien ein grundlegender Dreh- und Angelpunkt für Europa werden sollte. Beides ist von Natur aus mit der Vorwärtsstreben verbunden, mit der Fähigkeit, mit einer anderen Idee als der der Vergangenheit in die Zukunft zu blicken, mit dem Wunsch nach Erneuerung, nach Loslösung, irgendwie auch nach Hoffnung. Auch der 2. Juni steht für diese Wünsche und diesen Willen. Es stellte den Bruch mit dem monarchistischen Regime und mit dem dar, was als die direkten Folgen wahrgenommen worden war, d.h. Faschismus und Zweiter Weltkrieg; Der 2. Juni war auch Wunsch, ein neues Experiment zu beginnen, das irgendwie den Weg für radikale Veränderungen ebnen würde.
Wenn Feste wie das vom 2. Juni [soziale Verdichter] gibt, in Anlehnung an die (nicht einmal übermäßig falschen) Feiern und Riten der primitiven Gemeinschaften, die Durkheim in seinen „elementaren Formen des religiösen Lebens“ hervorhob, so darf gleichzeitig der Zementierungseffekt nicht mit einer einfachen nationalistischen Verdichtung verwechselt werden. Der 2. Juni ist nicht nur der Tag der Republik, er ist auch der Tag ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft. Drei verschiedene Zeithorizonte also, die zunehmend mit dem europäischen Integrationsprojekt verbunden sind. Beginnend mit der EGKS, die sich zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, dann zur EG und schließlich zur Europäischen Union entwickelte, stand Italien auf diesem Weg im Mittelpunkt einer immer stärkeren Integration mit den anderen europäischen Völkern, unter dem Banner der Freundschaft und der Zusammenarbeit. Ein Weg, der, das kann kein Nationalist leugnen, Europa einen Zustand des Friedens gebracht hat, den viele für unmöglich hielten.
Der Traum derer, die am 2. Juni für diesen 2. Juni gestimmt haben, egal ob sie sich nun für oder gegen die Republik ausgesprochen haben, und der Väter und Mütter der Verfassung, war auf jeden Fall der Wunsch die traurige Fortsetzung der Konflikte, mit allen seinen Folgen wie in den 20 Jahren zuvor, zu vermeiden. Es ist wahrscheinlich die einzige Zukunft, die man sich wünschen kann, und auch die einzige, die am 2. Juni gefeiert werden kann.
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