Der Europäische Rat: Mögliches Herz einer föderalen Union

, von  Cristina Bettati

Der Europäische Rat: Mögliches Herz einer föderalen Union
Staats- und Regierungschefs beim Treffen des Europäischen Rats Foto: European Council / Flickr / CC BY-NC-ND 2.0-Lizenz

Der Europäische Rat hätte das Potential, europäische Identität zu fördern - aber dazu braucht es eine föderale Union, wie es sie derzeit noch nicht gibt. Ein Gedankenspiel

Wenn man die Gründung unserer Union analysiert, ist es kaum zu glauben, wie erleuchtet und weitblickend ihre Gründerväter waren. Beispiel dieser Geistesschärfe ist der Europäische Rat: Eine übergeordnete weltweit einzigartige Institution, die alle europäischen Staats- und Regierungschefs versammelt, um entscheidende Kompromisse zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zu finden und Impulse für die weitere Entwicklung der Union zu setzen.

Vorläufer des Europäischen Rates war der Gipfel von Den Haag im Jahr 1969. Trotz der vielen zeremoniellen Anlässe, die es nach der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957 gab, fand das erste politisch bedeutende Treffen zwischen allen europäischen Staatsvertretern erst 12 Jahre später in der niederländischen Stadt statt. Anlass der Versammlung war die Notwendigkeit, politische Beschlüsse über die bisherigen Integrationsprobleme der Gemeinschaften und deren weitere Entwicklung zu treffen.

Bei dieser Gelegenheit - die unter anderem zu der Kooperation der EG-Staaten im Bereich der Außenpolitik führte, welche die erste Erweiterung der Gemeinschaften um Großbritannien, Dänemark und Irland zur Folge hatte - befürwortete der französische sogenannte „Vater Europas“ Jean Monnet die Einrichtung regelmäßiger Gipfeltreffen. Sein Wunsch ging erst fünf Jahre später in Erfüllung. Auf dem Pariser Gipfel von 1974 wurde schließlich vereinbart, die Treffen unter der Bezeichnung „Europäischer Rat“ nun regelmäßig alle vier Monate zu veranstalten. Es war aber mit dem Vertrag von Maastricht im Jahr 1992 und dem folgenden EU-Vertrag, dass der Europäische Rat seine heutige Rolle als höchstes Entscheidungsgremium in wichtigen Politikfeldern auf europäischer Ebene einnahm. Der jüngste Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2007 stärkt den Europäischen Rat in seiner Funktionsweise; dieser wird zusammen mit dem Parlament, der Kommission, dem Gerichtshof, der Zentralbank, dem Rechnungshof und dem Rat der Europäischen Union eines der sieben Organe der EU.

Viermal im Jahr findet sich heute der Europäische Rat zu einem Gipfel ein. Teilnehmer sind die Staats- und Regierungschefs der 28 EU Mitgliedstaaten, der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk und der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker. Wenn außenpolitische Fragen erörtert werden müssen, ist die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini auch dabei. Im Unterschied zu der fünfjährigen Amtszeit von Juncker und Mogherini wird der Präsident des Europäischen Rates nach dem Vertrag von Lissabon alle zweieinhalb Jahre gewählt.

Anders als der fast gleichnamige Rat der Europäischen Union gehört der Europäische Rat nicht zu den Gesetzgebungsorganen der EU, also verabschiedet er keine EU-Rechtsvorschriften. Viel wichtigere Aufgabe des Europäischen Rates ist die Festlegung der allgemeinen politischen Ziele und Prioritäten der EU auf längere Sicht. Der Europäische Rat hat sich 2014 auf die folgenden fünf Punkte geeinigt, welche das Handeln der EU in den kommenden Jahren beeinflussen sollen: Arbeitsplätze, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit; Befähigung und Schutz der Bürger; Energie- und Klimapolitik; Freiheit, Sicherheit und Recht, und Stärkung der EU als globaler Akteur.

Wenn wir in einem föderalen Europa leben würden - also wenn die EU eine eigene Verfassung hätte, die aber jedem Mitgliedstaat erlauben würde, die Zuständigkeiten zwischen sich selbst und der Union festzulegen -, wäre der Europäische Rat eine wunderbare moderne Agora, die eine herausragende Rolle für das geordnete europäische Zusammenleben und die Ausbildung einer gemeinsamen europäischen Identität spielen würde. Was hingegen heute passiert, ist, dass unsere Union zwar supranationale Souveränitätsrechte besitzt, die aber jeweils durch zwischenstaatliche Verträge der einzelnen Mitgliedstaaten verhandelt werden können.

Daraus geht eine der schärfsten Kritik an dem Europäischen Rates hervor, und zwar dass er kein rein europäisches, sondern ein nationalstaatliches Gremium sei, welches von den Mitgliedstaaten ausgenutzt werde, um die Interessen des eigenen Landes zu verfolgen. Statt eines Instruments für eine weitere Integration und Demokratisierung der EU werde also der Rat für die Renationalisierung Europas gebraucht. In einem föderalen Europa würden wir viele Probleme schneller und gezielter in den Griff bekommen. Denken wir nur an das Migrationsproblem und an den langjährigen Widerstand einzelner Mitgliedstaaten, einer geeinten europäischen Lösung entgegenwirken. Solange die Europäische Union sich wie ein einfacher Staatenverbund verhält, können die Migrationsströme sehr schwierig gesteuert werden. Kein einzelner Mitgliedstaat kann allein die Kosten eines wirksamen Rettungs- und Aufnahmenetzes im Meer und auf dem Festland tragen. Und keine einzelne staatliche Außenpolitik kann einen Stabilisierungsprozess in den Ländern stützen, aus denen die Menschen fliehen. All das kann aber ein Gesamtstaat schaffen, welcher einzelne Mitgliedstaaten zusammenschließt, die über eine gewisse Eigenständigkeit und Staatlichkeit verfügen. In so einem Staat könnte uns alle der Europäische Rat die Liebe unserer Gründerväter für ein vereinigtes Europa wieder spüren lassen.

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