Der Frust der französischen Jugend

, von  Henri Oberpaur

Der Frust der französischen Jugend

Trotz Macrons Wahlsieg gibt es aus europäischer Sicht Grund zur Sorge mit Blick auf das Wahlergebnis in Frankreich. Bei jungen Französ*innen zeugen gute Ergebnisse der radikalen Kandidat*innen und viele Nichtwähler*innen von einer Frustration mit der politischen Mitte. Für Europa könnte das zum Problem werden.

Das Wahlergebnis in Frankreich

Am 10. April 2022 wählte Frankreich in der ersten Runde der diesjährigen Präsidentschaftswahl. Das Ergebnis: Frankreich zeigt sich gespalten wie noch nie. Denn auf Amtsinhaber Emmanuel Macron, der mit 27,8% der Stimmen den Wahlsieg in der ersten Runde erlangte, folgen gleich drei Kandidat*innen der extremen Rechten beziehungsweise extremen Linken. Insgesamt vereinen diese über 50% der Stimmen auf sich und geben damit einen Einblick in die Frustration der Französ*innen mit ihrer politischen Mitte.

Junge Französ*innen wählen radikal

In Anbetracht der Stimmen der jungen Wähler*innen wird dieses Bild besonders stark. Unter den 18-24 Jährigen heißt der Wahlsieger nicht Macron sondern Jean-Luc Mélenchon mit seiner Partei La France Insoumise, die der extremen Linken zuzuordnen ist. Mit 34,8 % der Stimmen landet er vor Emmanuel Macron, auf den wiederum Marine Le Pen folgt. Die Führungsfigur der rechtsextremen Partei Rassemblement National erreicht in dieser Bevölkerungsgruppe 18% und ist bei den 25-34 Jährigen mit 30% der Stimmen sogar Wahlsiegerin. Emmanuel Macron muss sich mit dem zweiten beziehungsweise dritten Platz zufriedengeben während die Traditionsparteien der Mitte Frankreichs Les Républicains und Parti Socialiste sowohl im Gesamtergebnis als auch bei den jungen Wähler*innen unter 5% und damit weit unter ihren Ansprüchen landen.

Warum das Ergebnis keine Überraschung ist

Diese Unzufriedenheit mit der politischen Mitte und die starken Ergebnisse der radikalen Parteien innerhalb der jungen Wählerschaft sind nicht überraschend. Vielmehr stellen sie den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung dar, die in Frankreich im Laufe des letzten Jahrzehnts stattgefunden hat. Bis 2017 wurden alle Präsidenten der Cinquième République, wie das Frankreich nach 1958 bezeichnet wird, von der mit der SPD vergleichbaren Parti Socialiste oder der CDU-ähnlichen Les Républicains gestellt. Diese Ära politischer Stabilität fand ihr unrühmliches Ende in der Amtszeit von Francois Hollande, der in Folge wirtschaftlicher Stagnation und hoher Arbeitslosigkeit als unbeliebtester Präsident aller Zeiten betitelt wurde. Dies ebnete den Weg für Emmanuel Macrons Wahlsieg im Jahr 2017. Hollandes Parti Socialiste erzielte ein historisch schlechtes Ergebnis und auch die konservativen Les Républicains schafften es nicht in den zweiten Wahldurchgang, den Macron gegen Marine Le Pen mit eindeutiger Mehrheit für sich entschied. Der ehemalige Wirtschaftsminister versprach mit seiner Bewegung En Marche einen Neuanfang, europaoffen, jung, dynamisch. Das Wahlergebnis dieses Jahres zeigt jedoch, dass Macron es nicht geschafft hat, die junge Bevölkerung von seiner Vision zu überzeugen und ihr Vertrauen in die Politik wiederherzustellen.

Woher kommt die Frustration mit der politischen Mitte?

Es sind ähnliche Themen wie in Hollandes Amtszeit, die bei der Jugend Frankreichs auch jetzt eine Frustration mit der politischen Mitte schaffen und damit eine politische Radikalisierung provozieren. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Frankreich bei 18% und hat sich damit seit 2017 zwar verbessert aber ist im Vergleich zu Deutschland (7%) immer noch extrem hoch. Außerdem sind die Gehälter in den verfügbaren Jobs schlecht, die Kinder der „Generation Perdue“ (frz. Verlorene Generation), wie sie in der Presse schon teils genannt wird, müssen im Schnitt zweieinhalb Jahre länger studieren und müssen einen höheren Abschluss erwerben, um das Gleiche zu verdienen wie ihre Eltern. Die französische Jugend ist frustriert von Perspektivlosigkeit und dem Gefühl, in ihrem Frust, in ihren Sorgen nicht gehört zu werden. Denn Frankreichs Politik ist geprägt von einem alten, konservativen Establishment. Der Präsidenschaftskandidat von Les Républicains aus dem Jahr 2017, Francois Fillon, saß beispielsweise über 25 Jahre im Parlament und ist damit Symbol einer überalterten französischen Elite, die die Probleme der Jugend nicht ausreichend wahrnimmt.

Wie Le Pen und Mélenchon überzeugen

Auch Emmanuel Macron, der mit seinem jungen Alter als Hoffnungsträger der Jugend galt schaffte es nicht die genannten Probleme zu beheben. Mit seiner wirtschaftsliberalen, europaoffenen Politik bekam er schnell den Spitznamen „Präsident der Reichen“, den er bis heute nicht losgeworden ist. Die Folge: Ein starkes Wahlergebnis Jean-Luc Mélenchons und Marine Le Pens im ersten Durchgang und über 40% Enthaltungen bei Wähler*innen unter 34. Dabei gibt es einen starken Unterschied zwischen ländlichen und städtischen Regionen. Mit seiner linksradikalen Sozial- und Wirtschaftspolitik begeistert Mélenchon vor allem junge Menschen aus städtischen Regionen. Er ist entschiedener Gegner Macrons wirtschaftsliberaler Einstellung und fordert eine Erhöhung des Mindestlohns, die Senkung des Rentenalters und eine Deckelung des maximalen Gehalts innerhalb eines Unternehmens. In industriell geprägten und ländlichen Regionen hingegen erfreut sich Le Pen größerer Beliebtheit. Ihre sozialpolitischen Vorschläge ähneln zwar eher linken Forderungen, beispielsweise die Rente mit 60 und höhere Sozialleistungen. Diese ergänzt sie jedoch durch das Leitthema einer restriktiven Migrationspolitik. Die rechtsextreme Kandidatin verspricht das Ende des Droit du Sol, also des automatischen Erhalts der französischen Staatsbürgerschaft nach Geburt auf französischem Boden sowie extreme Einschränkungen des Islams in Frankreich in Form von einem Trageverbot für Kopftücher. Damit erreicht sie junge Französ*innen die sich abgehängt fühlen und auch in der Einwanderungspolitik einen Grund dafür sehen.

Mögliche Folgen für Europa

Aus europäischer Sicht ist das Wahlergebnis Le Pens und Mélenchons bei jungen Französ*innen besorgniserregend. Denn die beiden Kandidat*innen sind zwar an entgegengesetzten Enden des politischen Spektrums anzuordnen, sind sich aber in einem Thema einig: Frankreich soll sich mehr auf sich selbst konzentrieren. Damit punkten sie auch bei jungen Menschen. Einen EU-Austritt forderte unmittelbar vor der Wahl zwar weder Mélenchon noch Le Pen, beide bedienen sich aber des Feindbildes der repressiven, totalitären EU und versprechen eine systematische Veränderung der Union. Diese könnte das Ende gemeinsamer europäischer und vor allem auch deutsch-französischer Projekte in Klimaschutz, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik bedeuten und für starke Unruhe in einer, speziell seit Beginn des Ukraine-Krieges, geschlossen auftretenden EU sorgen. Am Sonntag den 24. April konnte Emmanuel Macron die Stichwahl gegen Kontrahentin Marine Le Pen für sich entscheiden und wurde damit erst als dritter französischer Präsident der Cinquième République wiedergewählt. Viele, speziell junge Menschen, haben sich dabei aber nicht für ihn, sondern gegen eine rechtsextreme Kandidatin entschieden. Zudem ist das Ergebnis der zweiten Runde wesentlich knapper als es 2017 der Fall war. Für ein geeintes Europa wird es also von großer Bedeutung sein, dass Macron in den nächsten 5 Jahren auch die jungen Französ*innen überzeugt, die in seiner ersten Amtszeit enttäuscht von ihm und seiner Politik waren, dass er Perspektiven für junge Menschen schafft und damit verhindert, dass die schon als solche betitelte „Generation Perdue“ für die Politik wirklich verloren geht.

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