Trotz des Scheiterns der COP25 (UN-Klimaschutzkonferenz) in Madrid bleibt 2019 ein entscheidendes Jahr für den Gesinnungswandel über die Tragweite des Klimawandels. Dies ist insbesondere auf die Mobilisierung der Zivilgesellschaft – auch der Jüngsten – zurückzuführen.
Fortschritte in der energiepolitischen Integration
Seitens der europäischen Institutionen gibt es einige Fortschritte in Richtung einer gemeinsamen Klima- und Energiepolitik. Letzten Juli hat die Europäische Investitionsbank (EIB), die „Bank der EU“, bekannt gegeben, über eine neue Politik der Energiefinanzierung nachzudenken. Dieser Vorschlag, der von den Aktionär*innen der Bank im November angenommen worden ist, soll fossile und nukleare Energie von den Investitionen der Bank ausschließen. Im November hat das Europäische Parlament den Klimanotstand in Europa ausgerufen, eine Premiere für ein Gebiet dieser Größe, allerdings ohne verbindliche Konsequenzen. Anfang Dezember haben sich das Parlament und der Rat der EU auf ein „Klassifikationssystem für nachhaltige Investition“ geeinigt: eine harmonisierte Liste von Investitionen, die als besonders umweltfreundlich gelten. Während fossile Energieträger von dieser Liste ausgeschlossen sind, ist es im Falle der Atomenergie weniger eindeutig.
Die Ambitionen des Green Deal nicht verschwenden
Die Präsentation des „Europäischen Grünen Deals“ am 11. Dezember 2019 war der Höhepunkt eines ganzen Jahres gespickt mit zahlreichen Ankündigungen unterschiedlicher Klimaschutzvorhaben. Der Deal muss die bereits existierenden europäischen Ambitionen in den Bereichen Energiewende, Mobilität, Landwirtschaft und internationalem Handel zusammenführen. Die erste konkrete Initiative wird im März 2020 der Vorschlag eines Klimaschutzgesetzes, verankert im europäischen Recht, mit dem Ziel der CO2-Neutralität des europäischen Kontinents bis 2050. Die politischen Reaktionen auf die Vorstöße von der Leyens waren insgesamt positiv, auch wenn einige konkrete Vorschläge hinterfragt werden. Philippe Lamberts, Co-Präsident der Grünen/EFA im Europaparlament, zeigte sich wiederum skeptisch. „Wir wissen, dass, wenn Frau von der Leyen es mit dem Green Deal ernst meint, sie nicht mit der Unterstützung aller Abgeordneten von EVP [der Rechten], S&D [der Linken] und Renew Europe [den Liberalen] rechnen kann.“ Die Grünen hatten einen Gegenvorschlag unterbreitet, in dem sie eine Verringerung der Treibhausgase zwischen 65% und 70% bis 2030 vorschlugen, entgegen 50% bis 55% nach aktuellen Plänen.
In Richtung europäischer Föderalismus: die Regierungsfunktion der Institutionen stärken
Allein der gute Wille der Kommission wird nicht ausreichen, um ihre ambitionierten Ziele einhalten zu können. Es wird eine grundlegende Reform der europäischen Regierungsstrukturen brauchen, nicht nur im Bereich der Energiepolitik. Die EU wird föderalere Strukturen entwickeln müssen. Aktuell haben die Mitgliedstaaten noch einen erheblichen Handlungsspielraum, ihre Energiepolitik trotz europäischer Vorgaben zu gestalten. Ohne einen verbindlichen Rahmen, wie er für die gemeinsame Handelspolitik existiert, werden viele Länder ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, weil es an abschreckenden Sanktionen mangelt. Die europäischen Institutionen müssen also mit mehr Macht zwingenden Charakters ausgestattet werden, damit sichergestellt ist, dass sich die Gemeinschaft der Mitgliedstaaten an die Ziele und Pflichten des Green Deals hält.
Eine föderale Haushaltspolitik, um Zentraleuropa zu beschwichtigen
Während des Europäischen Rates vom 12. und 13. Dezember 2019 haben die Staats- und Regierungschefs – mit Ausnahme von Polen – das Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 formell festgeschrieben. Polen, und im Grunde alle Länder Zentraleuropas, befürchten negative ökonomische und soziale Konsequenzen der Energiewende und insbesondere des Kohleausstiegs. Der Green Deal versucht diese Länder zu besänftigen, indem ein „Mechanismus für einen gerechten Übergang“ geschaffen werden soll. Dieser sieht einen Fonds für einen gerechten Übergang in Höhe von jährlich 100 Milliarden Euro vor, um denjenigen Regionen zu helfen, die von einer industriellen Neuorientierung betroffen sind. Um einen wirklich föderalen Haushalt aufzustellen, wird man allerdings weiter gehen müssen. Der europäische Haushalt ist immer noch zu klein und zu rigide (er wird für eine Periode von sieben Jahren verabschiedet und darf nicht ins Defizit geraten), dafür dass er 25% seine Ressourcen für die Energiewende bereitstellen soll. Die Umverteilung zwischen den Mitgliedstaaten ist, insbesondere seit der Finanzkrise 2008, nicht effizient. Wir brauchen daher, um die beträchtlichen Summen zur Erfüllung des Green Deals bereit stellen zu können (1115 Milliarden Euro jährlich laut dem europäischen Rechnungshof, um die Klimaziele 2030 zu erreichen, vor allem für den Verkehr) einen europäischen Haushalt, der diesen Namen verdient und der ins Defizit geraten darf. Dieser ermöglicht eine harmonische Entwicklung innerhalb der EU, insbesondere im Bereich der Energiegewinnung. Ein erster Schritt in diese Richtung ist bereits vollzogen, indem die Möglichkeit geschaffen wurde, grüne Investitionen von den europäischen Haushaltsregeln auszunehmen, denen die nationalen Haushalte verpflichtet sind.
Steuerpolitik – ein nationales Totem, das es zu besiegen gilt
In den Europäischen Verträgen ist verankert, dass in der Steuerpolitik, welche auch energiepolitisch von Bedeutung ist, allein die Staaten entscheiden. Das Parlament hat hier lediglich eine Konsultativfunktion - das heißt, sie darf nur beraten, nicht agieren. Nichtsdestotrotz ist die Kommission gerade dabei, die Energiesteuerrichtlinie von 2003 zu überarbeiten, um die Mitgliedstaaten anzuhalten, fossile Energie nicht weiter zu subventionieren und die Entwicklung sauberer Energien anzuregen. Dabei gilt es, keine Politik der „technologischen Neutralität“ anzustreben, denn die Dringlichkeit der Situation erfordert eine proaktive Steuerpolitik, welche die Energiewende im Sinne des Klimaschutzes unterstützt. Der Green Deal sieht vor, dass das Parlament und der Rat einige Fragen der Energiesteuerpolitik mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Diese Entwicklung ist notwendig, um die Frage der Steuern, und damit die Frage der Bezahlbarkeit der Energiewände, aus den alleinigen Händen der Nationalstaaten zu lösen.
Für eine echte europäische Energiediplomatie
Der Green Deal unterstreicht die Rolle der Union auf der internationalen Bühne in den Bereichen Energie und Klimaschutz. Diese muss eine führende Rolle einnehmen, denn sie ist fähig ihre Normen durch einen multilateralen Dialog durchzusetzen. Die Überlegungen über eine europäische Klima- und Energiediplomatie sind alles andere als neu. Das Konzept der „europäischen Energiediplomatie“ ist in den 2000er Jahren während energiepolitischer Spannungen mit Russland entstanden. Die EU hat eine entscheidende Rolle für den Erfolg der COP21 im Dezember 2015 gespielt. Im selben Jahr hat der Europäische Rat eine Strategie vorgeschlagen, welche drei Axen beinhaltet: die Annäherung europäischer Interessen, die Entwicklung von globalen Partnerschaften und die Verstärkung regulatorischer Kooperation. Bis heute kann man den diplomatischen Einfluss der EU im Bereich Energie vor allem auf dem östlichen Balkan und in den ehemaligen Sowjetrepubliken (mit Ausnahme Russlands) spüren, die sich unter der „östlichen Partnerschaft“ zusammen fassen lassen, einer Säule der Europäischen Nachbarschaftspolitik. Energie spielt dort tatsächlich eine große Rolle. Allerdings lassen die nationalen energiepolitischen Interessen, die sich oft diametral entgegenstehen, keine einheitliche Definition der EU-Außenpolitik im Bereich Energie zu. Wenn die EU die globale Vorreiterposition einnehmen möchte, wie es der Green Deal vorsieht, muss sie eine einheitliche diplomatische Strategie entwickeln, eine Voraussetzung sine qua non, um auf der internationalen Bühne mit gemeinsamer Stimme sprechen zu können. Dies beinhaltet auch einen Transfer von Souveränität auf die supranationale Ebene. Ohne diesen wird es keine einheitliche Stimme geben, wie es heute noch der Fall ist.
Eine Frage von Subsidiarität
Zu guter Letzt macht es durchaus Sinn, die Energiepolitik in ein föderaleres Europa einzuflechten. Es würde sogar dem Prinzip der Subsidiarität entsprechen, welches das Fundament des Föderalismus und der EU bildet, wie wir ihn kennen. Alle Entscheidungen werden auf der für sie sinnvollsten Ebene getroffen, sei es regional, national oder supranational. Die neue Klima- und Energiepolitik muss sich also angesichts ihres dezentralen Charakters auf allen Ebenen wiederfinden. Die europäischen Institutionen müssen insbesondere die Kohärenz der unterschiedlichen Politiken sicherstellen und dürfen gleichzeitig regionale Besonderheiten nicht aus den Augen verlieren. Der transnationale Charakter der energie- und klimaspezifischen Fragestellungen spricht darüber hinaus für eine Abgabe nationaler Souveränität in diesen Bereichen.
Ein föderaler Ruck ist erforderlich
Der Green Deal ist eine Querschnittsaufgabe. Diese Tatsache dürfte einen zunehmend föderalen Charakter der EU auch in anderen Politikbereichen zur Folge haben, das Prinzip der Subsidiarität wird dabei weiterhin beibehalten. Aber ohne diesen föderalen Ruck wird die EU den Sprung in das 21. Jahrhundert mit seinen großen Umwälzungen nicht schaffen. Die Entwicklung der internationalen Zusammenhänge erfordert, dass die europäischen Staaten große Teile ihrer Souveränität vergemeinschaften. Klima und Energie können auf diese Weise eine erste Etappe auf dem Weg zu einem echten europäischen Föderalstaat darstellen, vorausgesetzt dass die Nationalstaaten und ihre Bürger*innen verstehen, dass eine Vergemeinschaftung durchaus in ihrem Interesse ist.
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