Der koloniale Schatten der Energiewende

Europas Griff nach der Westsahara

, von  Ramona Schnall

Der koloniale Schatten der Energiewende
Wüste von Westsahara Foto: Pixabay / Konevi / Inhaltslizens

Die Lösung für den Klimawandel für die Energiewende liegt in der Wüste von Westsahara - glauben zumindest europäische Konzerne, die Milliarden in Windkraft- und Wasserstoff Projekte investieren. Doch die Wüstenregion ist nicht nur Sand und Sonne, sondern Schauplatz marokkanischer Kolonialisierung, Überwachung und Verschwindenlassen von Menschen. Seit Jahrzehnten ist das Land illegal besetzt. Heute jedoch mischen sich europäische Konzerne in den Kampf um die Ressourcen ein und ignorieren somit nicht nur koloniale Realitäten - sie schreiben sie fort.

Das Land, das nur für Firmen existiert

Westsahara – Wenn man diesen Namen hört, denken die meisten von uns wahrscheinlich an den Westen der Sahara-Wüste. Wir würden jedoch vermutlich nicht an ein von Marokko kolonialisiertes Land denken. Doch schon seit 1975 ignoriert Marokko die UN-Resolution, die Westsahara das Recht auf Selbstbestimmung zuschreibt. Stattdessen marschierte das Nachbarland im selben Jahr in Westsahara ein und installierte einen Sicherheitsapparat, der israelische Überwachungstechnologie importiert. Bis heute wird Marokko von NGOs wie Amnesty International Folter sowie das Verschwindenlassen von Sahraoui-Menschenrechtsktivist*innen vorgeworfen. Es ist ein System, das dazu dient, jeden Protest gegen die marokkanische Kolonisierung zu unterdrücken. Es ist auch ein System, das dazu dient, jede Berichterstattung oder akademische Forschung zu unterbinden, die Menschenrechtsverletzungen oder sogar nur Westsahara thematisieren.

Trotz der Newsblockade und den Literaturlücken, Westsahara existiert – mitsamt seinen rollenden Sanddünen und seiner Sahraui-Bevölkerung, die in ihren Knochen indigenes Beduinen-Erbe tragen.

Obwohl Marokkos Bemühungen erfolgreich waren, wenn es um das Ausradieren der Existenz Westsaharas aus dem öffentlichen Bewusstsein geht - von einer anderen Gruppe wird die Region mit umso größerem Interesse beäugelt. Für internationale Unternehmen stellt das Gebiet enormen Profit dar. Wie so oft geht es um Bodenschätze: reiche Küstengewässer entsenden verheißungsvolle Lockrufe für die Fischereiindustrie - und seine Phosphatvorkommen hat es sogar auf die Website des Earth Observatory der NASA gebracht. Laut dieser beherbergt Westsahara 70 % der weltweit bekannten Phosphatreserven. Mit diesen 70 % flirten die EU besonders stark, bilden sie doch die Grundlage moderner Düngemittel für europäische Landwirtschaft.

Bild: Pixabay

Europas Lechzen nach dem grünen Gold

In Zeiten des Klimawandels und der drängenden Energiewende gibt es neue Ressourcen auf dem Spielfeld. Die Schlagwörter hier sind Solar- und Windenergie und Wasserstoffprojekte, für welche die Bedingungen in der Westsahara ausgezeichnet sind. Marokko zeigt strategisches Kalkül für Westsaharas Wert mit seinem Plan, insgesamt 81 % seiner Wasserstoffprojekte in der besetzten Region anzusiedeln, insbesondere in die Surfdomizile Ad-Dakhla und El-Ayoun. Einfach erklärt: Wasserstoff ist für die Energiewende essentiell, da er als Energiespeicher für überschüssige Energie dient und als emissionsfreier Brennstoff genutzt werden kann. Deshalb gilt Wasserstoff als eine der Schlüsselinnovationen für unsere Klimaziele.

Es scheint also logisch, dass Westsahara voller „frei verfügbarer“ Ressourcen nicht nur von Europa begehrt, sondern aktiv von europäischen Firmen erschlossen wird. Unternehmen wie Enel, ENGIE, der weltweit führende Windkraftanlagenhersteller Siemens Gamesa sowie die französischen Konzerne MGH Energy und HDF investieren massiv in die Ausbeutung dieser Ressourcen. Siemens beispielsweise arbeitet an millionenschwerer Energieinfrastruktur in der Region, wie großzügig angelegten Windparks. Das französische Unternehmen HDF plant Produktionskapazitäten von acht Gigawatt (GW) an Wind- und Solarkraftwerken, die Tochtergesellschaft von MGH Energy Janassim von 2,2 GW sowie Produktionsstätten für 500.000 Tonnen e-Methanol und e-Jet pro Jahr. E-Fuel und die Energiewende sind fast unzertrennbar, weil sie Treibstoffe für die Dekarbonisierung schwer elektrifizierbarer Sektoren wie der Schiff- und Luftfahrt sind.

Bild: Pixabay

Das Gesetz versus EU und Macron

Westsahara in das erneuerbare Ressourcenparadies umzuwandeln, dass von Europäischen Firmen erschlossen werden kann, schafft Marokko jedoch nicht allein. Die anvisierten Infrastrukturprojekte - notwendig, um die Ressourcen in die EU zu transportieren - bewegen sich im Millionen- bis Milliardenbereich. Ohne politische und finanzielle Unterstützung könnte Marokko das nicht stemmen – will es und muss es auch gar nicht. Emmanuel Macron hat bei seinem Besuch in Marokko letzten Oktober verlässliche Unterstützung versprochen. Wir reden von zehn Milliarden Euro für den Ausbau der Energieinfrastruktur. In derselben Rede erklärte Macron, dass „die Gegenwart und Zukunft der Westsahara zu Marokko gehören“ und schließt sich somit Trump an, der nichts von der Dekolonialisierungsbewegung in unserer Welt hält.

Damit stemmen sich beide gegen das Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) von 1979 sowie des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Erst am 4. Oktober 2024 bestätigte der EuGH das Selbstbestimmungsrecht der Westsahara und erklärte damit, dass nur das Sahraui-Volk über die Nutzung seiner Ressourcen bestimmen darf. Infolgedessen wurden alle EU-Marokko-Handelsabkommen, die Ressourcen aus Westsahara betreffen, für illegal erklärt – auch die, die von Macron unterstützt werden.

Dennoch scheint der französische Präsident nicht gewillt, sich dem Gerichtshof zu beugen und entscheidet sich somit, Völkern und Menschenrechten ihre Gültigkeit abzusprechen – zumindest wenn es um Sahrauis geht.

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