Der Maidan im portugiesischen Urlaubsort

, von  Isabel Lerch

Der Maidan im portugiesischen Urlaubsort
Die Kolumne „Wir in Europa“ erscheint jeden Sonntag auf treffpunkteuropa.de. Autoren berichten im Wechsel über ihre persönlichen Erlebnisse mit der EU, was es bedeutet, Europäer zu sein und welche Ängste und Hoffnungen sie mit der Gemeinschaft verbinden. Foto: © European Commission / 2004

Die Krim-Krise hält die ganze Welt in Atem. Während sich Russland im Säbelrasseln übt und Kiew einen militärischen Angriff vorbereitet, trauern die Ukrainer weiter um die erschossenen Demonstranten auf dem Maidan. Damit sind sie nicht allein: Überall in Europa bekunden die ausgewanderten Ukrainer ihre Solidarität. Eine Momentaufnahme aus dem Süden Portugals.

Es ist ein sonniger Tag. Der Himmel strahlt in sattem blau und nur wenige Wolkentupfer zeichnen sich ab. Der frische Wind streicht durch mein Haar. Seit ein paar Tagen bin ich nun hier – an der südlichen Küste Portugals, der berühmten Algarve. Ich lasse die Seele baumeln und gebe mich ganz den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings, dem Strand und dem Meer hin.

An diesem Nachmittag schlendere ich durch die Altstadt des kleinen portugiesischen Touristenorts Albufeira, als ich plötzlich etwas „Außergewöhnliches“ entdecke. Direkt hinter einer kleinen Mauer, die den Vorplatz einer Kirche umsäumt flattert eine blau-gelbe Fahne – die ukrainische Nationalflagge. Als ich näher komme, erkenne ich zwei weitere. Vor der Kirche haben sich rund 70 Menschen versammelt. Gemeinsam singen sie, und einige von ihnen schwenken ukrainische Fahnen, wieder andere schluchzen leise. Langsam dämmert es mir: Es handelt sich um eine politische Kundgebung. Auf meine Nachfrage hin erklärt mir eine junge Frau, dass die Menschen der getöteten Demonstranten auf dem Maidan in Kiew gedenken.

Die ukrainische Gemeinde in Portugal nimmt Anteil

„Slawa Ukraini“ – „Ehre der Ukraine“ - rufen die Menschen immer wieder gemeinsam. Dieser Schlachtruf war während der dreimonatigen Proteste auf dem Maidan immer wieder zu hören. Frauen, Männer und Kinder haben sich versammelt und hören gemeinsam einer Frau zu, die vor einem Mikrofon steht und laut betet. An einer kleinen Mauer lehnen Glasrahmen mit den Fotos einiger ihrer Helden. Es sind die jungen Männer, die monatelang auf dem Maidan demonstrierten und erschossen wurden.

Zwischen den blau-gelben Flaggen der Ukraine weht auch eine portugiesische Fahne. Viele der versammelten Ukrainer leben schon seit Jahren hier. Sie haben sich gut integriert, sprechen die Sprache und haben Arbeit. Trotzdem verfolgen sie die politischen Entwicklungen in ihrer alten Heimat ganz genau. „Als der Maidan brannte und die Situation Mitte Februar eskalierte, haben wir den ganzen Tag die Nachrichten am Fernseher verfolgt. Wir haben kaum geschlafen und ständig mit unserer Familie und unseren Freunden in der Ukraine telefoniert“, erzählt Viktoria. Sie ist vor zwölf Jahren mit ihrem Ehemann nach Portugal gekommen und hat sich in dem Ort Lagos niedergelassen.

Jeden Sonntag um 15 Uhr treffen sich die ausgewanderten Ukrainer in der Kirche in Albufeira. „Wir sammeln Gelder für die Angehörigen der Opfer und die Maidan-Bewegung in Kiew. Damit möchten wir unsere Solidarität bekunden“, erklärt mir Viktoria.

Die Krise in der Ukraine ist im Urlaubsort angekommen

Es scheint so unwirklich: Dort diese Postkarte-Szene, ein strahlend blauer Himmel, Restaurants in denen sich Touristen verköstigen lassen, den Blick auf das Meer genießen und die Seele baumeln lassen. Hier, direkt vor meinen Augen, diese Aktion nationaler Solidarität, politische Parolen und das gemeinsame Schwenken von Flaggen. Der Kontrast könnte größer nicht sein – die Algarve, Ort der Sehnsüchte und der hedonistischen Weltflucht europäischer Touristen und eine politische Kundgebung, zum Gedenken der Opfer des gewaltsam verlaufenden Konflikts in der Ukraine.

Der Maidan ist im Urlaubsort angekommen. Das ist ein wichtiges Zeichen: Der Krise in der Ukraine geht alle Menschen in Europa etwas an. Mit dem Flugticket in Richtung Süden sind die Geschehnisse im Osten für die Urlauber nicht passé. Ganz im Gegenteil, sie manifestieren sich direkt vor ihrer Hoteltür.

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